„Die Faschingsfee“ in Krefeld Operetten-Mauerblümchen blüht auf

Krefeld · Carsten Süss inszeniert die kaum bekannte „Faschingsfee“: Eine Entdeckung für Fans. Es gibt viele Pluspunkte und ein paar Abstriche.

 Janet Bartolova (Mitte) ist die schöne Unbekannte, die als „Faschingsfee“ in der Kellerbar strandet. Damit wendet sich nicht nur ihr Schicksal.

Janet Bartolova (Mitte) ist die schöne Unbekannte, die als „Faschingsfee“ in der Kellerbar strandet. Damit wendet sich nicht nur ihr Schicksal.

Foto: Matthias Stutte

Es ist Nacht. Ein Mann und eine Frau sind mit einer Autopanne gestrandet und landen in einer ausgelassenen Festgesellschaft — nicht nur Rockmusicalfans wissen, dass im Leben der Protagonisten nachher nichts mehr sein wird wie zuvor. So geht es auch Alexandra, einer gut betuchten Witwe, die auf dem Weg zu ihrer Verlobung mit einem standesgemäßen Rittmeister ist und nun mit dessen Chauffeur Hubert „Hubsi“ von Mützelburg in einer Kellerbar unter ausgelassenes Partyvolk gerät. Prompt verliebt sich die Dame in einen mittellosen Fotokünstler, verdreht ihm den Kopf, macht ihm unbeabsichtigt eine Chance auf 5000 Mark zunichte und aus ihrer Identität ein Geheimnis.

Das ist der Stoff, aus dem vor 100 Jahren Operetten gefertigt wurden. Emmerich Kálmán hat Bühnenbestseller wie „Gräfin Mariza“ und „Csárdásfürstin“ geschrieben. Seine „Faschingsfee“ ist kaum noch bekannt. Fürs Gemeinschaftstheater hat Carsten Süss das 1917 uraufgeführte Werk gangbar gemacht, hat die Handlung vom Ende des Ersten Weltkriegs in die Fünfziger Jahre verlegt und den Rost im Getriebe des wenig gespielten Musikwerks nicht mit der Drahtbürste behandelt, sondern mit vielen gewitzten Ideen poliert.

In der Kellerbar „Zum grünen Pinsel“ wird gebechert. Während die Röcke der Funkenmariechen noch züchtig das Knie bedecken, gibt es die ersten Schmalztollen und Petticoats. Die Jugend tanzt zu „Hottentottenmusik“, andere feiern das (Über-)Leben mit einem Lampenschirm auf dem Kopf. Auf der Straße über der Kneipe funzeln Straßenlaternen, in deren Lichtschein eine echte Oldtimerlimousine parkt. Das Künstleratlier hat attraktiven Bohème-Charakter, und das Nobelhotel Regina atmet zwischen Brokat, Tapeten und Ölgemälde-Hirschen den Mief des Ewiggestrigen.

 Ein Paar, das mit Witz, Stimme und tollen Choreografien das Publikum erobert: Gabriela Kuhn als Lori und Markus Heinrich als Hubsi.

Ein Paar, das mit Witz, Stimme und tollen Choreografien das Publikum erobert: Gabriela Kuhn als Lori und Markus Heinrich als Hubsi.

Foto: Matthias Stutte

Süss hat eine Leidenschaft für die Operette, als Tenor und als Regisseur. Das glaubt ihm nach dieser Faschingsfee jeder. Unermüdlich arbeitet er an Grau- und Zwischentönen der Scherenschnitthandlung, lotet menschliche Tiefen aus, lässt soziale Gefälle aufscheinen. Je mehr der Zuschauer sich darauf einlässt, desto mehr wird er entdecken. Nicht alle sind so plakativ wie die an „Dinner for one“ erinnernde Szene des Verlobungsessens, bei der auch noch hinter einem Wagner-Gemälde kurzzeitig ein Hitler-Porträt auftaucht.

In den üppig ausgestatteten Kulissen walzern die Figuren ihrer Glückseligkeit entgegen. Bühnenbildner Siefgried E. Mayer ist für drei reich bestückte Räume allerhand Originelles eingefallen, und auch Dietlind Konold sparte bei den Kostümen nicht an Fantasie. Der Chor ist nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch auf dem Punkt. So viel Aufwand bedeutet Arbeit: In zwei Pausen haben die Bühnenarbeiter mächtig was zu tun. Das zieht den Abend in die Länge, aber es lohnt sich.

Zumal Diego Martin-Etxebarria im Orchestergraben tüchtig Stimmung macht. Er gibt den Niederrheinischen Sinfonikern Anweisung zu einem farbenfrohen Klangkonfetti, das in schönsten Dynamikfarben schillert. Wenn mancher Text trotz Mikroport untergeht: egal, die Musik ist eine Sause. Auch auf der Bühne passiert alles, um das Operetten-Mauerblümchen, das nicht die Hitmelodien vom Mariza-Kaliber hat, aufblühen zu lassen. Janet Bartolova singt die Alexandra voller Eleganz und Grazie und immer mit einer Prise Melancholie. Stimmlich passt sie wunderbar zu der wohltemperierten Tenorlage von Mark Adler als smartem Viktor. Echte Slapstick-Qualitäten haben Markus Heinrich (Hubsi) und Gabriela Kuhn als seine Herzensdame Lori. Auch musikalisch haben sie ausgiebig Gelegenheit, zu glänzen. Den Staatssekretär Mereditt gibt Juan Carlos Petruzziello schnöselig und ölig, aber mit so viel Verve, dass er zu einem Liebling des Premierenpublikums avancierte. Hayk Dèinyans tadelloser Bass und Michael Grosse, der den gehörnten Rittmeister als Gentleman gibt, der weiß, wann er sich zurückzieht, sind kommen ebenfalls gut an. Für Operettenfans ist der dreistündige Abend eine charmante Entdeckung.

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