Vor 100 Jahren Aus dem Krieg zurück nach  Rindern

Kleve · Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Auch Soldaten vom Niederrhein kämpften einst für ihr Vaterland – an der Front oder im Hintergrund. Der Rinderner Alfons A. Tönnissen weiß viel über seinen Vater zu berichten, der 1914 als Mitglied einer Eisenbahn-Baukompanie für Nachschub an den Fronten sorgte. Im Jahr 1918 kehrte er zurück.

 Lambert Tönnissen aus Kleve-Rindern mit preußischer Pickelhaube und Gewehr. Als Mitglied einer Eisenbahn-Baukompanie zog er in den Ersten Weltkrieg. Seinen Nachlass hütet sein Sohn Alfons wie einen Schatz.

Lambert Tönnissen aus Kleve-Rindern mit preußischer Pickelhaube und Gewehr. Als Mitglied einer Eisenbahn-Baukompanie zog er in den Ersten Weltkrieg. Seinen Nachlass hütet sein Sohn Alfons wie einen Schatz.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Wenn sich Alfons A. Tönnissen auf die Spuren seines Vaters Lambert begibt, scheut der 76-Jährige keine Mühen. Auch schreckt er nicht davor zurück, weite Reisen zu unternehmen. Aus seinen Unterlagen zückt der Rinderner ein Bild: Es zeigt ihn bei einem Besuch des rund 230 Kilometer entfernten Dorfes Ottré in Belgien – für ihn nicht irgendein Ort. „Es ist das Dorf, von dem aus sich mein Vater nach Ende des Ersten Weltkrieges auf den Heimweg nach Kleve gemacht haben muss“, sagt Tönnissen. Den Beleg will er in dem kleinen belgischen Dorf gefunden haben: Die Dorfkirche, die auf einem genau 100 Jahre alten Gruppenfoto zu erkennen ist, steht noch heute. Mitten in der Männer-Gruppe: sein Vater.

Der Rinderner geht akribisch auf Spurensuche, sammelt alles, was mit dem Ersten Weltkrieg in Zusammenhang steht. Aus gutem Grund. Denn der Krieg, der vor 100 Jahren endete, ist Teil seiner Familiengeschichte. So gehört auch Ottré gewissermaßen mit dazu, wenn sich Alfons Tönnissen auch nicht so recht erklären kann, wie sein Vater Lambert und die anderen Männer damals in den beschaulichen belgischen Ort gekommen sind. „Dort besteht kein Anschluss an die Eisenbahn“, sagt der Klever, dessen Vater als Zimmerer im Ersten Weltkrieg eigentlich Mitglied einer Eisenbahn-Baukompanie war und praktisch nur dort eingesetzt wurde, wo auch Schienen lagen oder verlegt werden sollten. Das belegt eine in Sütterlin verfassten Eintrag in einen preußischen Militärpass, den der 76-Jährige bis heute aufbewahrt. Darin vermerkt sind zahlreiche weitere Arbeitsstaionen.

                     Der Rinderner  Alfons A. Tönnissen hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs befasst. Sein Vater hinterließ zahlreiche Fotos – und gibt damit Einblick in das Soldatenleben.

Der Rinderner Alfons A. Tönnissen hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs befasst. Sein Vater hinterließ zahlreiche Fotos – und gibt damit Einblick in das Soldatenleben.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Lambert Tönnissen, am 25. November 1887 in Rindern geboren, absolvierte von 1908 bis 1910 eine Ausbildung bei den Eisenbahnpionieren in Berlin-Tempelhof. Vier Jahre später, wenige Tage nach der Kriegserklärung des Deutschen Kaiserreichs an Russland, wurde der damals 26-Jährige eingezogen. Das war kurz nach Ausbruch des Krieges, der vier Jahre dauern und rund 17 Millionen Menschen das Leben kosten sollte. Als Eisenbahnpionier sollte Lambert Tönnissen gemeinsam mit anderen Männern aus der Eisenbahn-Baukompanie 18 die Versorgung derjenigen sicherstellen, die an der Front kämpften. „Den Pionieren kam große Bedeutung zu: Sie mussten die Brücken wieder aufbauen, die die damaligen Feinde bei ihrem Rückzug zerstört hatten“, sagt Alfons Tönnissen. „Mein Vater kam so viel herum und war an mehreren Fronten in fast allen Kriegsgebieten.“ Ausgerüstet gewesen sein soll jene Eisenbahn-Baukompanie etwa mit einem Sägegatter und einer Dampfmaschine. Die Männer fällten Bäume und bauten daraus Behelfsbrücken aus Holz über Flüsse wie die Maas, die selbst schwere Eisenbahnen aushalten mussten. Gleich nach Kriegsbeginn verschlug es Lambert Tönnissen ins Kriegsgebiet nach Luxemburg.

Sein Sohn, der sich intensiv mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, weiß all diese Dinge nicht nur aus Erzählungen seines Vaters, der im Alter von 98 Jahren 1984 gestorben ist. Alfons Tönnissen ist auch im Besitz eines bemerkenswerten Fotoalbums, das fast alle Arbeitsorte dokumentiert, an denen sein Vater zu Kriegszeiten beschäftigt war. Rumänien, Russland, Polen, Frankreich, Belgien – die Liste der Länder ist lang. Besonders interessant: Die Postkarten zeigen nicht nur die von den Pionieren gebauten Behelfsbrücken, sondern auch das Soldatenleben. „Bilder sagen mehr als tausend Worte“, bringt es Alfons Tönnissen auf den Punkt. Das Buch mit dutzenden Fotos sowie eine umfangreiche Sammlung an Feldpostkarten zeichnen ein genaues Bild dessen, was Lambert Tönnissen als Pionier im Ersten Weltkrieg erlebt hat – ein Schatz, den es so, wenn überhaupt, nur sehr selten gibt.

Zu sehen sind auf den Fotos Soldaten, die kameradschaftlich gemeinsam im Gras sitzen und essen, stolz vor fertigen Brückenkonstruktionen aus Holz posieren oder mit den Menschen in den Orten sprechen, in denen sie sich aufhalten. Das Buch, in dem die einzelnen Fotos zu sehen sind, muss in den 1920er Jahren entstanden sein, da ist sich Alfons Tönnissen sicher: „Zu einer Zeit, als die Kameradschaft zwischen den Soldaten noch intakt war.“

Tatsächlich hatte sein Vater Lambert als Mitglied der 18. Eisenbahn-Baukompanie großes Glück. Nie musste er in Schützengräben hocken und direkt an der Front kämpfen. Allein aus Kleve kamen bei den teils über Monate andauernden Kämpfen Dutzende zu Tode. Wenn der Bau der Brücken in den jeweiligen Ländern auch kein einfaches Unterfangen gewesen sein dürfte, so blieb ihm viel Leid erspart. Die Brückenpioniere, so Tönnissen, hätten an der Front als Versorgungseinheit großes Ansehen genossen. Vielerorts hätten sie auch ein gutes Verhältnis zur zivilen Bevölkerung gehabt. Die Fotos in Tönnissens Sammlung belegen das: Ein Bild zeigt etwa eine „Dorfschöne“, eine hübsche Dame, aufgenommen irgendwo in der Walachei.

Und trotzdem: Der Erste Weltkrieg, der als die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts gilt, war auch für Lambert Tönnissen alles andere als eine einfache Zeit. „Mein Vater war ein eigenwilliger Typ, aber der Krieg hat ihn schon mitgenommen“, berichtet der Klever, der vor einiger Zeit beim Umbau seines Hauses in einer versteckten Zwischendecke auf zwei Gewehre gestoßen ist, die aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammen. Sie sind Kriegsbeute, wie sich herausgestellt hat. Die Gewehre mit französischen und kyrillischen Inschriften muss er irgendwo in Europa mitgenommen haben, ehe er sie zuhause vor alliierten Streitkräften versteckte.

Der letzte Eintrag im Militärpass seines Vaters, den Alfons Tönnissen sorgfältig aufbewahrt, datiert vom 19. November 1918. „Rückmarsch zur Heimat“ ist darin vermerkt. Es muss der Tag sein, an dem Lambert Tönnissen sich vom belgischen Ottré aus auf den Weg in seinen damals preußischen Heimatort Rindern machte. „Er ist am 28. November 1918 nach Hause gekommen“, sagt Tönnissen, dessen Sammlung stetig wächst. Die Fotos, die seinen Besuch in Belgien zeigen, werden wohl nicht die letzten sein. Er will sich weiter auf Spurensuche begeben.

Christian Kandzorra

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