Kevelaer Von Null auf 110 Sänger

Kevelaer · Türchen Nummer 23 und 24*: Bereits beim ersten Treffen vor zwei Jahren war der Proberaum in Kevelaer zu klein. Heute singt der Theaterchor Niederrhein Stücke von Bertolt Brecht und Jessie J in ausverkauften Hallen.

Als die beiden Frauen den Flyer verteilen, haben sie noch keine Ahnung, was er auslösen wird. "Sing deinen Song", steht dort in großen Lettern mit einer simplen Idee: Christina Derix und Marloes Lammerts wollen einen Chor gründen. Einen "etwas anderen" Chor.

Dann, an einem Dienstag im Oktober 2015, kam die Überraschung. Vor dem Hotel "Zum goldenen Apfel" standen die Kevelaerer Schlange. "Ich erinnere mich noch, wie der Kapellenplatz voller Fahrräder war", sagt die 44-jährige Derix. Am Ende hatten sich 110 Leute in dem provisorisch eingerichteten Proberaum des Hotels versammelt. "Am ersten Abend konnten wir schon zweistimmig singen", erzählt Lammerts. Es war die Geburt des Theaterchors Niederrhein. Schon bald sollten die Kevelaerer die ersten Stücke hören und sehen können.

Chorleiter Tom Löwenthal setzte noch am selben Abend einen Termin für den ersten Auftritt an. Im April 2016 gab der Chor sein Debüt im ausverkauften Theater- und Bühnenhaus und vertonte Werke von Bertolt Brecht und Songs aus dem Film "Les Misérables". Die Performance habe "volle Kanne eingeschlagen", sagt Derix. An der Abendkasse bildeten sich sogar noch Schlangen, als bereits alle Karten weg waren. Interessierte hofften, dass Tickets aus dem Vorverkauf kurz vor Beginn noch zurückgehen würden, berichten die Gründer. Den Niederländer Löwenthal nennt Derix "einen echten Glücksgriff". "Er träumt davon, dass wir eines Tages ein echtes Musical aufführen können", sagt sie über den Komponisten aus Amsterdam.

Bei den Auftritten der Niederrheiner entsteht auf der Bühne mehr Musik als wirkliches Theater. "Wir inszenieren nur kleine Sequenzen", sagt Derix. Man spiele natürlich im Lied, eine klare Geschichte haben die Programme allerdings nicht. Weil für die Vorbereitungen sogar ein Regisseur engagiert wird, kann der Chor pro Jahr nur einen großen Auftritt stemmen. Für Ende Februar steht der nächste Termin. "Wir führen eine Hommage an die Berliner Revue der 20er und 30er Jahre auf", sagt Lammerts. Es solle aber nicht der Eindruck entstehen, man verwehre sich modernen Stoffen. "Das ist jetzt Zufall", sagt Derix. Von Mozart bis zur US-Sängerin Jessie J sei der Theaterchor breit aufgestellt.

Auch im dritten Jahr hat der Andrang am Kapellenplatz nicht nachgelassen. Für die Proben werden die Sänger mittlerweile in Gruppen und Solisten aufgeteilt, damit einzelne Lieder besser einstudiert werden können. "Zwischenzeitlich mussten wir sogar einen Aufnahmestopp verhängen", sagt Derix. Wie der Erfolg zu Stande kam, kann sich der Chor bis heute nicht richtig erklären. "Ich glaube, es gibt da draußen viele Leute, die einfach singen wollen. Sie wissen nur nicht, wo", sagt Derix. Das bestätige auch die Resonanz der Sänger. "Unser ältestes Mitglied ist eine 82-jährige Frau. Sie sagt, bei uns habe sie endlich das gefunden, was sie schon ihr ganzes Leben machen wollte", sagt Lammerts. "Das finde ich wirklich beeindruckend."

Während einige Sänger zum ersten Mal im Chor singen, haben andere jahrzehntelange Erfahrung. "Das war nicht einfach unter einen Hut zu kriegen, aber es hat geklappt", sagt Derix. Im Hotel "Zum goldenen Apfel" sitzt der Chor nach der Probe in großer Runde zusammen. Barbara, seit der ersten Stunde mit dabei, kam damals zufällig zum Chor. "Ich wollte einfach schauen, was mich hier erwartet", sagt sie. "Jetzt weiß ich: Dieser Chor bringt Leute zum Singen, die vorher nicht mal wussten, dass sie das können."

Alle Videos des Adventskalenders können Sie auf unseren Facebookseiten vom Niederrhein noch einmal ansehen, zum Beispiel via: www.facebook.com/rp.geldern/videos Dort finden Sie auch das heutige Türchen. * Türchen Nummer 24 finden Sie morgen als Text unter www.rp-online.de/wesel. Das Video dazu gibt's ebenfalls morgen auf Facebook.

(atrie)
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