Stolpersteine in Kempen (6) Polnische Zwangsarbeiter aufgehängt

Kempen · Wegen "Verkehrs mit deutschen Frauen" werden die beiden Kriegsgefangenen Marian Kurzawa und Edward Nizio von den Nationalsozialisten hingerichtet. Sie wurden wegen angeblicher "Rassenschande" denunziert.

 Der Historiker Dr. Hans Kaiser (vorne rechts) mit Realschülern kürzlich auf Spurensuche in der Kempener Altstadt. Vor dem Haus Engerstraße 21 erläuterte er das Schicksal des polnischen Kriegsgefangenen Marian Kurzawa.

Der Historiker Dr. Hans Kaiser (vorne rechts) mit Realschülern kürzlich auf Spurensuche in der Kempener Altstadt. Vor dem Haus Engerstraße 21 erläuterte er das Schicksal des polnischen Kriegsgefangenen Marian Kurzawa.

Foto: Kaiser

September 1939: Ohne vorherige Kriegserklärung marschiert die deutsche Wehrmacht in Polen ein. Wenige Tage später werden die ersten Kriegsgefangenen nach Deutschland zur Arbeit gebracht. Ihr Einsatz ist von langer Hand vorbereitet. Mitte März 1940 kommen die ersten 300 Polen in den Landkreis Kempen-Krefeld. Überall, wo es Arbeit gibt, verwendet man sie: in Werkstätten, Fabriken, vor allem aber auf Bauernhöfen. In Kempen hausen 1940 schon 121 Gefangene in fünf "Polenlagern".

Ab Mai 1940 werden die meisten in den Status von Zivilarbeitern überführt. Die Wehrmacht hat am 10. Mai den Krieg im Westen begonnen und braucht in den Lagern Platz für französische Gefangene. Die polnischen Zivilarbeiter müssen ein aufgenähtes P auf der linken Brustseite tragen. Es ist die erste öffentliche Kennzeichnung von Menschen im so genannten Dritten Reich. Private Kontakte zur deutschen Bevölkerung sind den Fremdarbeitern verboten. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen sie nicht benutzen, nachts dürfen sie nicht ausgehen. Ihre Entlohnung muss niedriger sein als die der deutschen Arbeiter.

Die Aufsicht über die Polen geht damit auf die Polizei über, die für ihre straffe Arbeitsdisziplin zu sorgen hat. "Wenn es nottut, sollen sich die Gendarmen nicht scheuen, mit körperlicher Züchtigung vorzugehen", heißt es in einer Anweisung an die Ordnungspolizei vom 23. Juli 1942: "Auch durch Verabreichung einer angemessenen Zahl von Stockhieben." Sexuelle Kontakte zwischen deutschen Frauen und Polen gelten als schweres Verbrechen, denn in der nationalsozialistischen Rassenlehre stehen die Polen als "Slawen" ganz unten. Den Nazis geht es darum, die "deutsche Mannesehre" gegen das Fehlverhalten "ehrvergessener deutscher Frauen" zu schützen. Drei Polen, die in Kempen im Arbeitseinsatz waren, wurden wegen eines solchen "Vergehens" aufgehängt. Zwei dieser Fälle werden im Folgenden dargestellt.

Marian Kurzawa, 1914 geboren, war ein polnischer Kriegsgefangener, der auf dem Hof der Brüder Johannes und Jakob Nopper, Engerstraße 21, arbeitete. Als er es im Dezember 1940 wagt, mit einer deutschen Magd zu tanzen, denunziert ihn der Melker Josef Gessmann, ein Arbeitskollege, wegen "Rassenschande". Er behauptet auch, der Pole und die Deutsche hätten Geschlechtsverkehr miteinander gehabt - was Kurzawa bis zum Schluss energisch bestreitet. Gessmann ist dafür bekannt, dass er die abenteuerlichsten Sachen erzählt, aber das zählt jetzt nicht. Der Pole wird verhaftet und im Ergänzungsamt der Waffen-SS in Düsseldorf rassenbiologisch untersucht.

Das Gutachten ist sein Todesurteil: Er komme, da er "ostisch, ostbaltisch mit leichtem nordischem Einschlag" sei, für "Eindeutschungszwecke" nicht in Betracht. Die Bauern Nopper versuchen, ihn zu schützen, aber der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, ordnet an, Kurzawa vor seinem Hof, Engerstraße 21, zu hängen. Daraufhin kommt es zu empörten Äußerungen unter der Kempener Bevölkerung, und der Pole wird am 21. Juni 1941 nicht in Kempen, sondern im KZ Sachsenhausen bei Berlin erhängt. Die junge Frau aber verurteilt das Krefelder Landgericht zu Gefängnis. Dann kommt sie ins KZ und wird erst im Mai 1945 durch amerikanische Truppen befreit. Schließlich erstattet sie Anzeige gegen Josef Gessmann: Er habe sie damals wider besseren Wissens des verbotenen Umgangs mit polnischen Kriegsgefangenen beschuldigt. Im Mai 1951 wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Krefelder Landgerichts hingegen hat bis heute Bestand.

Der polnische Kriegsgefangene Edward Nizio gelangte nach mehreren Stationen auf den Hof des Landwirts Jakob Bongartz, Klixdorf 17. Dort wendet sich im Juni 1941 die aus Viersen stammende Landwirtschaftsgehilfin Maria P. (26) an einen Soldaten des Wachkommandos, beklagt sich, der Pole habe sie mehrere Male belästigt und zweimal versucht, sie zu vergewaltigen. In beiden Fällen habe sie sich erfolgreich wehren können. Nizio wird verhaftet und verhört. Sein Arbeitgeber, der Bauer Jakob Bongartz sagt aus: "In seinem Wesen war er stets froher Laune und zeigte niemals ein hinterlistiges Verhalten. Lediglich bei seinem Umgang mit weiblichen Personen versuchte er, diese bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit zu necken." Insgesamt soll er seiner Arbeit fleißig nachgegangen sein und zu Klagen keinen Anlass gegeben haben. Am 25. November 1941 "gesteht" Edward Nizio. Ob man Gewalt bei seiner Vernehmung angewendet hat, steht dahin.

Am 8. September 1942 wird er um 19 Uhr im Bönninger Busch hinter der Schule in Klixdorf gehängt. An einem mobilen Galgen, den der Hausmeister der Düsseldorfer Gestapo gebaut hat. Eine zweckmäßige Konstruktion, vielfach verwendbar. Zwei polnische Zivilarbeiter führen die Exekution durch. Ob sie sich freiwillig meldeten oder gezwungen wurden, ist nicht bekannt. Nach der Hinrichtung werden 44 polnische Zivilarbeiter und 36 polnische Kriegsgefangene an der Exekutionsstätte vorbeigeführt. Einigen wird anschließend schlecht.

Nachdem der Stadtrat einen ersten Antrag auf Verlegung von Stolpersteinen abgelehnt hatte, haben jetzt Kempener Schulen, die evangelische Kirchengemeinde und eine Initiative die Verlegung der Gedächtniszeichen in der Stadt Kempen erneut beantragt. Die RP erinnert an einige der NS-Opfer, deren Andenken sie dienen würden.

(hk-)
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