Der Monat Juli in Etaples „Die Elenden“ vor historischer Kulisse

Etaples · In Etaples Nachbarort Montreuil-sur-Mer wird jeden Sommer das Stück „Les Misérables“ von Victor Hugo aufgeführt.

 Ein fantastisches Bühnenbild bildet den Rahmen für die Aufführung von „Les Misérables“ in Etaples Nachbartort Montreuil.

Ein fantastisches Bühnenbild bildet den Rahmen für die Aufführung von „Les Misérables“ in Etaples Nachbartort Montreuil.

Foto: Christian Plard

Nur wenige Autominuten landeinwärts von Etaples entfernt liegt auf einer Anhöhe das Städtchen Montreuil-sur-Mer. Wie der Hückeswagens Partnerstadt profitierte auch er seit alters her von der Canche, auf der die Handelsschiffe von See her stromaufwärts gelangten und an den Kais der Unterstadt ihre Waren entluden. Auf dem Hügel selbst hatte sich ein Mönchsorden niedergelassen, und weil der Platz an einer der großen Landstraßen lag und für militärische Zwecke bestens geeignet schien, baute man im 16. Jahrhundert die Oberstadt zu einer Festung aus.

Wer hier auf den Wällen entlang spaziert und den Blick auf die weiten Marschwiesen ringsherum genießt, dem mag es ähnlich ergehen wie vor fast 200 Jahren dem Dichter Victor Hugo. Der machte dort 1837 auf einer Rückreise von Belgien Halt und war von der mittelalterlichen Atmosphäre der Altstadtquartiere unterhalb der Zitadelle begeistert. Der Eindruck blieb haften, so dass er 1862 in seinem berühmten Roman „Die Elenden“ die Festungsstadt zu einem Schauplatz der Handlung machte.

„Les Misérables“, wie der französische Titel heißt, war und ist international populär – gestern als dicker romantischer Schmöker mit viel Verwicklung und Gefühl, heute als buntbebilderter Film- und Musicalstoff mit ähnlichen, musikalisch verstärkten Nebenwirkungen. Das mag die Montreuillois bewogen haben, seit 22 Jahren jeden Sommerabend innerhalb der Festungsmauern ihrer Stadt ein Riesenspektakel mit „Son et Lumière“ zu präsentieren. Mit viel Lärm und Lichteffekten also und mit jeder Menge an Statisten – mittlerweile sind es an die 300 – gibt ein Erzähler in Gestalt des Mantel und Zylinder tragenden Victor Hugo die Essenz des Romans wieder.

 Eine Szene aus dem berühmten Stück von Victor Hugo.

Eine Szene aus dem berühmten Stück von Victor Hugo.

Foto: Michael Lachant

Die Bürger von Montreuil, alle in zeitgenössische und selbst gestaltete Gewänder gekleidet und natürlich ehrenamtlich voll bei der Sache, umrahmen die Geschichte eines ehemaligen Galeerensträflings. Hugo, der Montreuil wenige Jahre nach den revolutionären Ereignissen 1830 in Paris besucht hatte, verlegte die Handlung in diese Zeit: Nach fast 20 Jahren Haft und aufgenommen von wohlgesinnten Menschen, gewinnt der Ex-Sträfling Jean Valjean wieder den Glauben an das Gute im Menschen. Er wird wohlhabender Kaufmann und ist bald Bürgermeister von Montreuil-sur-Mer. Sein Mitgefühl gegenüber dem Schicksal der Elenden und Aufbegehrenden, womit die neu entstehende Arbeiterklasse gemeint ist, bringt ihn in neue Verwicklungen mit der Justiz. Victor Hugo schrieb seinen Roman mit viel Sozialpathos. Er war überzeugt davon, dass nur die Liebe die Menschen aus Gewalt, Gemeinheit und Misere retten kann.

Für Regisseur Dominique Martens bietet der Roman reichlich szenische Effekte: Die Massenszenen um die Barrikadenkämpfe sind mit viel Pyrotechnik und Musik akzentuiert und beleben das Handlungsgerüst. Für Visionen und Emotionen werden Tanz und Choreografie eingesetzt, das Ganze eingetaucht in bunt wechselnde Lichteffekte.

Wenn man bedenkt, wie sehr diese Art Darstellung seit Jahren das Publikum nicht nur in Etaples-sur-Mer begeistert und man sich wegen eines ähnlichen Projekts in der Schloss-Stadt Hückeswagen hoch über der Wupper umsieht, stünde für ein ähnliches Spektakel eine passable Kulisse schon bereit. Und an bürgerschaftlichem Engagement dürfte es hier auch nicht fehlen. Also fehlt nur noch an einem Stoff, den ein inspirierter Regisseur finden und umsetzen könnte. Warum also nicht auch in der Schloss-Stadt dem Beispiel von den „Les Misérables“ à la Montreuil-sur-Mer folgen?

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