Kirche im Gelderland Kirche aus dem Tritt

Gelderland · Das Bistum Münster hat die neuen Zahlen zu den Kirchenaustritten veröffentlicht. Bischof Felix Genn nennt die Missbrauchsvorwürfe als Ursache. Überraschend ist, dass auch die evangelische Kirche leidet.

 Bischof Felix Genn geht auf die Suche nach Lösungen, um mehr Vertrauen in die Kirche zu schaffen.

Bischof Felix Genn geht auf die Suche nach Lösungen, um mehr Vertrauen in die Kirche zu schaffen.

Foto: dpa/Oliver Berg

Der Bischof des Bistums Münster redet nicht um den heißen Brei. Die Zahlen sind schlecht, die Kirchenaustritte viele. 293 mehr Menschen als im vergangenen Jahr haben der Kirche im Dekanat Kleve des Bistum Münsters den Rücken gekehrt. 953 insgesamt, für die eine Zugehörigkeit in der katholischen Kirche keinen Sinn mehr macht, die eine Türe zugezogen haben. „Sicher waren die Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch in der Kirche, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden, bei vielen Menschen das auslösende Moment, um zu sagen: Jetzt reicht es mir endgültig“, lautet die ernüchternde Bilanz des Bischofs.

Zu der Studie: Es gab Untersuchungen zu Geistlichen, die im Zeitraum vom 1. Januar 1946 bis 31. Januar 2015 im Verantwortungsbereich des Bistums tätig waren. 1708 Akten wurden geprüft. Bei 138 Klerikern (Priestern oder Ordensgeistlichen) gab es Beschuldigungen zu sexuellem Missbrauch an Minderjährigen. Das Bistum spricht von 450 Betroffenen. Ab 2016 gab es vier weitere aktuelle Beschuldigungen. „Wir können nur alles in unserer Macht Stehende tun, um die Vergangenheit schonungslos aufzuarbeiten und um Betroffene erfahren zu lassen, dass sie im Mittelpunkt der Aufarbeitung stehen. Und natürlich müssen wir alles tun, um sexuellen Missbrauch zu verhindern“, sagt Genn.

„Die Zahlen lassen sich nicht schönreden. Die Menschen stimmen mit den Füßen darüber ab, ob sie uns für glaubwürdig und vertrauensvoll halten und ob die Gemeinschaft in der katholischen Kirche ihnen grundsätzlich als notwendig für ein gutes und gelingendes Leben erscheint. Für viele gilt das leider nicht mehr. Wir haben an Relevanz für das Leben der Menschen verloren“, stellt Genn ernüchternd fest.

Das merken auch die Kirchen vor Ort. Bei der Fusion 2007 habe man in St. Maria Magdalena Geldern noch über 21.000 Gläubige gezählt, mittlerweile sei man bei 19.000, sagt Gelderns Pfarrer Arndt Thielen. Er bekomme es von Kollegen mit, die in den ersten sechs Monaten dieses Jahres schon so viele Austritte zu verzeichnen haben wie im ganzen Jahr zuvor. „Man kann mit Worten nicht beschreiben, was für ein Elend hervorgerufen wurde“, sagt Thielen angesichts der Missbrauchsfälle. Der Missbrauchsskandal habe zu einem immensen Vertrauensverlust geführt. Man könne immer wieder nur neu um Vertrauen werben, im Kleinen, in den Ortsgemeinden, sagt der Pfarrer über den Umgang mit Gläubigen.

„Früher war der Priesterberuf noch angesehen, heute nicht mehr so“, nennt er eine Veränderung. Auf der anderen Seite sieht er auch eine neue Ernsthaftigkeit in der Kirche. „Die bleiben, das ist Bekenntnis­christentum“, sagt Thielen. Diejenigen, die bleiben, bleiben wegen Jesus, haben sich entschieden, den Weg des Christseins zu gehen. Sie bleiben nicht wegen der Kirche.

Die Unterscheidung Kirche und Glaube, aber auch evangelisch oder katholisch, mancher differenziert da nicht. So erlebt es Pfarrerin Sabine Heimann von der evangelischen Kirche Geldern. „Bei uns treten auch Leute wegen des Papstes aus“, beschreibt sie ihre Erfahrungen. Oft sei es ein emotionaler Anlass, der zum Austritt führt, oder ein monetärer. Wenn es Anfang des Jahres an die Steuererklärung gehe, gebe es oft auch plötzlich mehr Austritte.

Jedem, der die evangelische Kirche in Geldern verlässt, wird ein Brief geschickt, sogar mit Rückumschlag. In einem Fragebogen können die Menschen erklären, was sie gestört hat. „Es kommen schon immer mal welche zurück, vielleicht zehn Prozent. Manche antworten mit einem kleinen Kommentar.“ Oft stehe dort: „Ich habe keinen Kontakt und kein Interesse.“

Der Weg raus aus der Austrittswelle führt nur über ein Aufeinanderzugehen, das persönliche Bekenntnis zum christlichen Glauben. „Wir wollen eine offene, lernfähige und auch demütige Kirche sein“, lautet die Marschroute von Bischof Genn. „Wir wollen eine Kirche sein, die das Leben bereichert und den Menschen dient. Das muss uns besser gelingen als in der Vergangenheit.“

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