Zufallsfund Lesung: Briefwechsel sorgt für Gänsehaut

ERKRATH    · Dorothea Kühl-Martini hat aus geerbten Briefen einer vom Krieg getrennten Familie eine Lesung inszeniert. Freitag ist Uraufführung im Gemeindehaus Sandheide.

 Theologin Dorothea Kühl-Martini mit dem Briefschatz, den sie nicht mehr weglegen konnte. Sie selbst schreibt für ihr Leben gern, auch Krimis.

Theologin Dorothea Kühl-Martini mit dem Briefschatz, den sie nicht mehr weglegen konnte. Sie selbst schreibt für ihr Leben gern, auch Krimis.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Eine große Wohnung voller Erinnerungen im Berliner Stadtteil Charlottenburg hat Dorothea Kühl-Martini aus Hochdahl-Sandheide im Jahr 2016 geerbt. Der Erblasser Wolfgang Wohlenberg war ein Herr, der mit 90 Jahren verstorben war und bis dahin eine enge, beinahe Generationen dauernde freundschaftliche Verbindung zur Familie seiner Erbin pflegte. „Er war ein genialer Mathematiker und liebte klassische Musik und Literatur“, sagt Dorothea Kühl-Martini.

Sein Vater und sein Großvater waren etablierte Künstler im Berlin des beginnenden 20. Jahrhunderts. Liebermann, Corinth und Slevogt gehörten zu ihren Freunden. Die geerbte Wohnung spiegelte diese über 100-jährige Kultur. Sie ist ein „großer intellektueller Schatz“, sagt die Erbin. Beim Aufräumen stießen sie und ihr Mann Lutz Martini auch auf zwei Pappschachteln mit Briefen. Und genau hier beginnt die Geschichte der szenischen Lesung über den Briefwechsel zwischen Vater Fernand Wohlenberg (Jahrgang 1884) und Wolfgang Wohlenberg (Jahrgang 1926).  Sie wird am Freitag, 29. März, um 19.30 Uhr  unter dem Titel „Deine Briefe sind mir Heimat“ von Dorothea Kühl-Martini im evangelischen Gemeindehaus Sandheide, Hans-Sachs-Weg 1, uraufgeführt.

Die Autorin hat alle Briefe genau gelesen. Es handelt sich um die Korrespondenz zwischen Vater Fernand und Sohn Wolfgang von Mitte 1944 bis März 1945. Gestochen scharf die Schrift beider Männer. Der 18-jährige Sohn wurde in diverse hessische Arbeitslager in Kassel und am Edersee eingezogen, weil die Mutter Jüdin war. Freiwillig war sie nach England emigriert, um Sohn und Ehemann vor Repressalien zu schützen. Der Vater daheim in der ungeheizten Wohnung und verlassen „grämt“ sich um seinen Sohn.

Die Briefe werden so oft wie möglich ausgetauscht. „Wir hungern beide“, schreibt Wolfgang und Fernand ist verzweifelt, weil sein Sohn nichts Warmes anzuziehen hat. Eigentlich dreht sich die gesamte Korrespondenz darum, dass der eine den anderen trösten und ermuntern will. „Du musst mehr Klavier spielen“, schreibt der Sohn. Und der Vater antwortet: „Wie soll ich das bei drei Grad in der Wohnung“. „Siehst Du den Sternenhimmel, die Venus ist so schön“, schreibt Wolfgang. Und Weihnachten malt er einen Eisenbahnzug, der eines Tages beide verbinden möge.

Tatsächlich schafft es Wolfgang erst im August 1945 nach Hause. Es ist sein 19. Geburtstag. Der Vater öffnet die Tür und sagt: „Die Erbsensuppe ist schon vorbereitet“. So viel Gänsehaut wie Dorothea Kühl-Martini beim Lesen der Briefe gespürt hat, so viel möchte sie an ihr Publikum am Freitagabend in Hochdahl weitergeben.

Wolfgang Wohlenberg hat sich gewünscht, dass die Geschichte seiner Familie weiterlebt. Und Dorothea Kühl-Martini hat ihm posthum diesen Wunsch erfüllt. „Eines Tages werde ich ein Buch über diese Wohnung schreiben“, sagt sie.

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