Interview mit Erkelenzer Referendar Lukas Esser Zum Nachdenken anregen

Erkelenz · Lukas Esser ist Referendar am Cusanus-Gymnasium. Er hat sich für die Neuntklässler eine Besonderheit ausgedacht und die AG „Holocaust-Gedenktag“ gegründet.

 Lukas Esser ist Referendar am Cusanus-Gymnasium. Dort hat er für die Schüler die Arbeitsgemeinschaft „Holocaust-Gedenktag“ gegründet. Mit der AG der angehende Lehrer viel vor.

Lukas Esser ist Referendar am Cusanus-Gymnasium. Dort hat er für die Schüler die Arbeitsgemeinschaft „Holocaust-Gedenktag“ gegründet. Mit der AG der angehende Lehrer viel vor.

Foto: Anke Backhaus

27. Januar 1945. Es ist der Tag, an dem die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz, in dem die Nationalsozialisten mehr als 1,5 Millionen Menschen ermordeten, befreite. 75 Jahre ist das nun her. Längst ist dieser Tag zum offiziellen Gedenktag geworden. In Erkelenz hat Lukas Esser, seit November Referendar am Cusanus-Gymnasium, eine Besonderheit auf den Weg gebracht: Der angehende Lehrer für Geschichte und Sport schickt die Neuntklässler des CGE auf einen Spaziergang durch die Stadt, der zum Nachdenken anregt.

Was steckt hinter Ihrer Idee dieser Stadtführung?

Esser Geprägt hat mich da sicherlich die Zeit nach meinem Studium, die ich als Freiwilliges Soziales Jahr in der Erinnerungs- und Gedenkstätte Villa ten Hompel (Münster) genutzt habe. Dort habe ich mich mit Formaten der Gedenkstättenpädagogik auseinandergesetzt, weil ich wissen wollte, wie sich außerschulische Lernorte aufbauen und nutzen lassen. Daraus ist der Spaziergang entstanden, den rund 200 Neuntklässler des Cusanus-Gymnasiums am 27. Januar unternehmen werden. Dieser Spaziergang wiederum hat sich in einer Arbeitsgemeinschaft entwickelt.

Um was geht es genau in der Arbeitsgemeinschaft?

Esser Ich lief bei der Schulleitung und der Fachkonferenz Geschichte offene Türen ein, an der Schule die Arbeitsgemeinschaft Holocaust-Gedenktag aufzubauen. Gut, der Name der AG klingt nicht spektakulär, sondern mehr funktional. Auf freiwilliger Basis sind in der AG 25 Schülerinnen und Schüler der Q1 und Q2, also der Oberstufe, aktiv. Wir haben mit unterschiedlichem Material gearbeitet, eine Basis war etwa das Buch Spurensuche jüdischen Lebens, das Hubert Rütten, bekannt vom Heimatverein der Erkelenzer Lande, geschrieben hat. Ich habe die Schülerinnen und Schüler der AG nach der Sichtung gefragt, welche Fragen sie besonders interessieren, was sie motiviert. Interessanterweise ist es ihnen wichtig, das Thema mit lokalem Bezug aufzuarbeiten.

Wie erklären Sie sich das?

Esser Das große Ganze des Themas Nationalsozialismus hat eine große Täterzentrierung. Man erfährt zu selten etwas über die Betroffenen

dieser Zeit und ihre Sicht auf die Geschehnisse. Oder anders ausgedrückt: Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sich die Geschehnisse nicht nur in großen Städten

abspielten, sondern auch hier bei uns vor Ort. So wird das Thema viel greifbarer. Darüber hinaus sorgt es dafür, dass die Schülerinnen und Schüler Empathie für die Opfer und Betroffenen entwickeln.

Nennen Sie bitte ein konkretes Beispiel.

Esser Fangen wir doch mal bei den Konzentrationslagern an – es gab diese ja nicht nur in Auschwitz. Zu den Deportierten zählte auch der hier bekannte Leopold Leyens, der etwa ins Transitghetto Izbica im südlichen Polen gekommen ist. Oder nehmen wir Ernst Weinberg, dem das Gebäude, in dem das Kaufhaus Martini untergebracht ist, gehörte. Es war seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Familienbesitz, ehe es 1937 verkauft werden musste. In der AG wurden die Biografien erarbeitet, um so etwa wieder einen klareren Blick auf die Zeit zu bekommen. Wir haben uns die Menschen vor der Nazi-Zeit, während und danach angesehen. Unterm Strich: Wir wollen die Betroffenen und deren Geschichten ins Bewusstsein rücken, damit die nicht vergessen sind.

Was erwartet die Neuntklässler nun bei den Stadtführungen?

Esser In der AG sind vier Stationen erarbeitet worden: Die erste führt zu den Stolpersteinen der Familie Weinberg am Kaufhaus Martini. Die zweite führt zum Standort der früheren Synagoge, die dritte beschäftigt sich mit Emigration, die vierte mit Deportation. Während der Stadtführung stellen sich die Schülerinnen und Schüler Fragen wie: Wohin würden wir fliehen, was würden wir mitnehmen? Was bedeutet es für einen Ladenbesitzer, wenn die Menschen nicht mehr bei ihm einkaufen? Und warum hat niemand etwas dagegen getan?

Wie werden die Neuntklässler des Cusanus-Gymnasiums auf die Stadtführungen vorbereitet?

Esser Dies geschieht im Rahmen des Geschichtsunterrichts. Die Klassen werden auch von den jeweiligen Geschichtslehrern begleitet.

Abschließend: Warum sind Ihnen außerschulische Lernorte so wichtig und denken Sie, dass die AG in diesem Bereich noch mehr etablieren kann?

Esser Schule braucht heutzutage mehr denn je außerschulisches Lernen. Die Schulen müssen aktiv werden in diesem Bereich und stehen in der Pflicht. Und: Vor Ort prägt sich der Lernstoff besser ein, die Motivation am authentischen Ort ist meist höher. Und sicherlich könnten wir mehr machen, doch zunächst wollen wir bei der Stadtführung bleiben.

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