Lokalsport Bis an die Grenzen – und darüber hinaus

Duisburg · Anne-Marie Flammersfeld ist als erste Deutsche im gleichen Jahr durch die trockenste, heißeste, windigste und kälteste Wüste gelaufen.

 Anstrengend, beeindruckend, zuweilen aber auch einsam kann der Weg durch die Antarktis sein. Anne-Marie Flammersfeld lief an der Spitze oft ein Rennen ganz für sich alleine.

Anstrengend, beeindruckend, zuweilen aber auch einsam kann der Weg durch die Antarktis sein. Anne-Marie Flammersfeld lief an der Spitze oft ein Rennen ganz für sich alleine.

Foto: privat

Für manchen Hobby-Sportler mag Anne-Marie Flammersfeld vom Wahnsinn nicht mehr weit entfernt sein. Die 34-Jährige bezeichnet ihre Hobbys allenfalls als extrem. Mit diesem Attribut kann die gebürtige Duisburgerin sehr gut leben, die — angesprochen auf ihre besonders ausgeprägte Leidenschaft für sportliche Herausforderungen — ganz schnell auch von ihrem Entdecker- und Abenteuer-Gen erzählt. "So, wie es auch Christoph Kolumbus in sich trug", sagt sie.

 Warm machen vor der nächsten Etappe durch die Wüste.

Warm machen vor der nächsten Etappe durch die Wüste.

Foto: Scott Manthey

Ob der Weltumsegler freiwillig auch durch die vier härtesten Wüsten der Welt gelaufen wäre? Flammersfeld lächelt. "Ich wollte herausfinden, wozu ich körperlich in der Lage bin, und wie sich meine Grenzen verschieben können."

 Keine Sucht, sondern Gewohnheit. Anne-Marie Flammersfeld liebt die intensive Bewegung.

Keine Sucht, sondern Gewohnheit. Anne-Marie Flammersfeld liebt die intensive Bewegung.

Foto: Scott Manthey

Vier Wüsten hat sie beim "4 Desert Race" im vergangenen Jahr im Laufschritt durchquert — als erste Deutsche überhaupt. Sie meisterte insgesamt 1000 Kilometer durch die trockenste (Atacama), steinigste (Gobi), heißeste (Sahara) und die kälteste Wüste (Antarktis) der Welt. Aber nicht nur das: Flammersfeld hat nicht nur als erste Frau alle vier Läufe innerhalb eines Jahres absolviert, sie hat auch alle vier Einzelrennen gewonnen.

Schon jeder Wettkampf für sich klingt da nach Tortur. Die ersten 250 Kilometer rannte die Diplom-Sportwissenschaftlerin in sechs Etappen durch die Atacama-Wüste in Chile. Der Start der 160 Läufer lag auf 3300 Metern über dem Meeresspiegel. Flammersfeld hatte nach der ersten Etappe bereits 32 Minuten Vorsprung auf die nächste Frau. Nach dem letzten Teilabschnitt bauten sie diesen auf fast eine Stunde aus.

Weniger eintönig waren dagegen die vielen Kilometer durch die Wüste Gobi in China. Vorbei an vielen kleinen Dörfern durch beeindruckende Landschaften. Flammersfeld beschreibt in ihrem Internet-Blogg sehr anschaulich wie es ihr dabei erging. "25 Kilometer vor dem Ziel hatte ich Durchfall und mir war übel. Wenn dann drumherum der Sand bläst, fragt man sich schon: Was mache ich hier eigentlich?"

Ohne mentales Training, erklärt Flammersfeld, wäre das nicht gegangen. Mit einer Trainerin hat sie sich speziell vorbereitet. Im Vorfeld der Laufserie hat sich die 34-Jährige viele Techniken angeeignet, die ihr bei Tiefpunkten helfen sollen. Sie hat gelernt, sich zu motivieren — auch wenn es um sie herum außer Sand, Eis oder Steinen nichts gab, was dabei hätte helfen können. "An der Spitze war es oft sehr einsam, da gab es niemanden, mit dem ich hätte reden können. Da musste ich schon alle Register ziehen", erinnert sich die Extremsportlerin. "Der Kopf entscheidet dabei, wie man sich fühlt. Ich habe gesagt: Hallo Krise, schön, dass du da bist. Lass uns doch zusammen laufen."

Dabei habe es ihr geholfen, sich Geschichten auszudenken. Die Selbstgespräche mit der "Wüstenrennsemmel" in der Sahara sind legendär geworden. "Die hatte Arme und lief auf Zahnstochern vor mir her. Das hat mich zum Lachen gebracht", schildert Flammersfeld, der vor allem die Hitze zu schaffen machte. "Auf einer Etappe habe ich 86 Kilometer lang nur daran gedacht, dass ich mich unter den erstbesten Stein setze, um mich abzukühlen. Irgendwann ist dann Abend, man erreicht das Ziel im Dunkeln und es ist immer noch heíß. Aber man ist wahnsinnig glücklich, es geschafft zu haben."

Zum Laufen kam die Wahl-Schweizerin, nachdem es sie vor einigen Jahren beruflich nach St. Moritz zog. Dort leitet sie als Fitness-Trainerin ihr eigenes Unternehmen namens "All Mountain Fitness". Wie der Hang zum Extremen kam? "Ich habe lange Handball gespielt, manch einer bezeichnet das schon als extrem. In St. Moritz gibt es keine Handball-Vereine, also musste ich mir einen neuen Sport suchen", erzählt die Personal-Trainerin.

Dass sie Talent als Läuferin hat, merkte sie spätestens, als sie ihren zweiten Marathon in nur 3:13 Minuten absolvierte. "Das Training hat mir Spaß gemacht, weil ich in der Schweiz eben nicht nur stur geradeaus, sondern auch die Berge hoch- und runterlaufen konnte.

2010 lernte sie in Argentinien dann einen Ultraläufer kennen, der beim "4 Deserts Race" mitmachte und auf dem Weg in die Antarktis war. "Ich war fasziniert von seinen Erzählungen. Bis dahin gab es nur elf Personen, die alle Rennen in einem Jahr gelaufen sind. Das wollte ich unbedingt auch schaffen", schildert Flammersfeld.

Ein ganzes Jahr lang bereitete sie sich auf die Wüstenläufe vor. "Ich wollte herausfinden, wozu ich in der Lage bin, und wie sich meine Grenzen verschieben können", erklärt Flammersfeld ihren Antrieb. "Anfangs habe ich schon gedacht: Wie soll ich jemals 250 Kilometer am Stück schaffen? Also habe ich mich Schritt für Schritt rangetastet und geschaut, wie mein Körper auf diese Belastungen reagiert." Das tägliche Laufen wurde schnell zur Gewohnheit — irgendwann sogar zur Normalität, den eigenen Tag nach dem Training zu organisieren. Und plötzlich relativierten sich auch die Entfernungen. "Es ist erstaunlich, wozu ein Mensch in der Lage ist."

Grenzerfahrungen, sagt Flammersfeld, hat sie mehrfach gemacht. Manchmal hat sie sogar ihre vermeintlichen Leistungsgrenzen noch einmal überschreiten können. "Mit dem richtigen Training kann man Dinge erreichen, die in Gedanken nicht möglich schienen."

Im Training schruppte sie wöchentlich zwischen 150 und 160 Kilometer — nicht selten mit schwerem Rucksack auf dem Rücken. "Ich wollte mich schnell daran gewöhnen, denn in den Rennen musste ich diesen auch tragen", berichtet die Sportlerin.

Der Veranstalter schreibt vor, dass jeder Läufer täglich mindestens 2000 Kalorien an Nahrung im Gepäck haben muss, dazu Kompass, Schlafsack, Wechselwäsche und ein Erste-Hilfe-Paket." Das Training in den Wäldern vor der Haustür mutete mitunter also etwas kurios an. "Um auf das nötige Gewicht zu kommen, habe ich Brennholz oder auch mal Steine in den Rucksack gefüllt. Anfangs zwei bis drei Kilo Holz, dann Tetrapacks und Flaschen oder Pastapakete."

Nach den Hitzeläufen reiste sie in die Antarktis. Die Anreise dauerte fast eine Woche. Die Läufe: beschwerlich. Manchmal sackten die Teilnehmer knieftief in den Schnee. Die Kälte machte Flammersfeld weit weniger zu schaffen. "In St. Moritz ist es manchmal auch bis zu minus 30 Grad kalt", entgegnet sie.

In ihrem neuen Zuhause wird übrigens nicht nur gelaufen. Vom Eisklettern, Snowkiten über Mountainbiken probiert und nutzt die 34-Jährige alles, was die Umgebung zu bieten hat. Was sie als nächstes machen will? "Da gibt es vieles, was mich interessiert. Ich liebäugele mit einer Alpenüberquerung, so wie Hannibal das gemacht hat. Die Wüste Kalahari wäre auch eine Herausforderung. Für dieses Jahr nehme ich mir aber vor, nach Nepal zum Himalaya zu reisen und zu schauen, wie mein Körper auf die Höhe reagiert", sagt Flammersfeld.

Da ist es wieder — ihr Abenteuer- und Entdecker-Gen. Die 34-Jährige lächelt: "Wenn es nach meinen Eltern geht, müsste ich häufiger daheim sein."

(RP)
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