„Familien sind verunsichert und verärgert“ Internetschule für kranke Schüler wirft NRW-Schulministerin Wortbruch vor

Bochum/Düsseldorf · Die Web-Individualschule mit kranken Schülern aus ganz Deutschland hat mit Abschlussprüfungen zentral an einem Ort gerechnet. Sie wirft der Schulministerin vor, sich nicht an eine Zusage zu halten – das Ministerium widerspricht.

 Ein Lehrer skypet mit einem Schüler (Symbolfoto).

Ein Lehrer skypet mit einem Schüler (Symbolfoto).

Foto: dpa/Ina Fassbender

Die Web-Individualschule als reine Internetschule für kranke Kinder aus ganz Deutschland wirft dem Düsseldorfer Schulministerium bei den im Mai anstehenden Abschlussprüfungen Wortbruch vor. Die fast 70 Jugendlichen sollten nun überraschend an verschiedenen Orten in NRW geprüft werden, sagte Schulleiterin Sarah Lichtenberger. Eltern seien von den Bezirksregierungen in Arnsberg, Münster, Köln und Düsseldorf informiert worden, dass man dort für ihre Prüfungsanträge zuständig sei. Das entspreche nicht der Zusage von Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Das Ministerium in Düsseldorf wies das zurück.

„Die Familien sind verunsichert und verärgert. Das ist ungerecht unseren kranken Schülern gegenüber, und wir können so nicht arbeiten“, sagte Lichtenberger der Deutschen Presse-Agentur. Der Schule sei zugesichert worden, dass die „Externenprüfungen“ für alle zentral über die Bezirksbehörde in Arnsberg laufen sollten. Nun stehe etwa eine Lehrerin, die seit längerem vier Schüler unterrichte und eng betreue, vor der Frage, wen sie bei der Prüfung begleite - allen Vieren seien unterschiedliche Orte zugeteilt worden.

In der Webschule werden Kinder und Jugendliche einzeln online unterrichtet, denen wegen psychischer oder körperlicher Erkrankung kein regulärer Schulbesuch möglich ist. Zuletzt waren jedes Jahr bis zu rund 100 Schüler zum Haupt- oder Realschulabschluss geführt worden. Sie müssen laut Schulleitung auch bei den Prüfungen eng betreut werden und brauchen teilweise ganz besondere Bedingungen am Prüfungsort.

Es sei organisatorisch nicht möglich, alle Prüfungen in einer einzigen Bezirksregierung durchzuführen, hieß es auf dpa-Anfrage aus dem Ministerium. Das habe man der Webschule auch nicht zugesichert. „Einige der Prüflinge, die von dem Institut digital auf ihre Prüfungen vorbereitet wurden, haben daher in anderen Bezirksregierungen entsprechend ihres Wohnortes einen Antrag auf Zulassung zur Externenprüfung gestellt.“ Das Schulministerium habe Vertretern der Webschule in einem Gespräch am 1. Februar nicht in Aussicht gestellt, dass alle zugelassenen Prüflinge ihre „Externenprüfung“ am selben Ort durchführen könnten.

„Gleichwohl sind die Bezirksregierungen sehr darum bemüht, die Prüflinge des Instituts auf möglichst wenige Prüfungsorte zu verteilen“, betonte das Ministerium. Gebauer hatte der staatlich nicht anerkannten Web-Schule versprochen, dass man Schülern aus allen Bundesländern 2022 zwar noch ein letztes Mal die „Externenprüfung“ ermöglichen werde. Die Bezirksregierung Arnsberg könne aber „nicht dauerhaft Abschlussprüfungen für das gesamte Bundesgebiet organisieren“. Nach 2022 gelte: Rückkehr zum Wohnortprinzip, „wonach Abschlussprüfungen im jeweiligen Heimatbundesland abgelegt werden“.

Man wolle „im staatlichen Bildungssystem“ künftig ein digitales Alternativangebot zum regulären Schulbesuch schaffen - für jene, denen etwa wegen schwerwiegender gesundheitlicher Gründe kein Schulbesuch möglich sei, hatte die Ministerin erläutert. Ziel sei, Schülern „frei von kommerziellen Interessen perspektivisch eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen oder sie, wo dies nicht möglich ist, erfolgreich zu Abschlüssen zu führen.“

Die Eltern eines Web-Schülers aus Baden-Württemberg mit Autismus und Schulangst wollen nun mit einem Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Arnsberg erreichen, dass er seine Abschlussprüfung doch in Arnsberg machen kann, schilderte Lichtenberger. Ihm habe man vor einer Woche völlig unerwartet mitgeteilt, dass er der Bezirksregierung Köln zugeordnet sei. Der Eilantrag der Eltern sei nun raus. Man hoffe auf Präzedenzfall-Charakter, sodass nicht jeder Betroffene einzeln ein Verfahren anstrengen müsse.

SPD-Bildungsexperte Jochen Ott sagte, dass Anmeldungen für die Prüfungen nun auf verschiedene Bezirksregierungen aufgeteilt werden, sei neu und entspreche nicht Gebauers vorherigen Aussagen. „Gerade die Kinder, die besondere Herausforderungen haben, brauchen mehr Unterstützung“, mahnte der Vize-Fraktionschef. „Die Schulministerin schützt hingegen die Bürokratie, der die Kinder zu viel Arbeit sind.“

Grünen-Schulpolitikerin Sigrid Beer forderte, die Unsicherheiten für die Prüflinge müssten umgehend beseitigt werden. „Es ist heuchlerisch, wenn die Ministerin im Schulausschuss des Landtags im Februar noch davon spricht, dass es zu den grundlegenden Aufgaben eines Staates gehöre, die Schwächsten in unserer Gesellschaft nach Kräften zu unterstützen, um genau den jungen Menschen im März den Boden unter den Füßen wegzuziehen.“

(bsch/dpa)
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