Tatverdächtiger aus Bielefeld 18-Jähriger wegen Corona aus U-Haft entlassen - dann soll er 17-Jährigen getötet haben

Bielefeld · In der Nacht zum 1. Mai wird an einer Haltestelle in Bielefeld ein 17-Jähriger erstochen. Am nächsten Tag nimmt die Polizei einen 18-Jährigen fest. Nun stellte sich heraus: Der saß eigentlich in Untersuchungshaft, war aber entlassen worden – unter anderem wegen der Corona-Krise.

Der 18-Jährige war seit Ende Oktober wegen eines Raubdelikts in Untersuchungshaft, das am 3. April vor dem Amtsgericht Bielefeld verhandelt werden sollte, wie ein Gerichtssprecher sagt. Ende März wurde der Mann aber aus der Haft entlassen, weil eine Richterin den Verhandlungstermin aufgehoben hat. Zuerst hat das „Westfalen-Blatt“ darüber berichtet. Fünf Wochen später soll er den 17-Jährigen erstochen haben.

Der 18-Jährige war einer von vielen Untersuchungshäftlingen, die entlassen worden waren. Grund dafür war ein Erlass des NRW-Justizministeriums vom 17. März zum Umgang mit dem Coronavirus für den Justizbereich, um die „Funktionsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften aufrechtzuerhalten“, wie es in dem Beschluss heißt. Nicht notwendige Prozesse sollten vertagt werden. „Über die Aufhebung von Verhandlungsterminen sowie die Aussetzung oder Unterbrechung von laufenden Verfahren entscheiden die Gerichte in richterlicher Unabhängigkeit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls“, heißt es im Erlass. Eine großzügige Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten wurde den Richtern empfohlen.

Im Zuge dieses Erlasses hat die Bielefelder Amtsrichterin entschieden, den Prozess gegen den 18-Jährigen aufzuheben. Einen neuen Termin gab es noch nicht. Sie sprach sich nach Angaben des Gerichtssprechers aber auch deshalb für eine Haftentlassung aus, weil die Justizvollzugsanstalt Herford, in der der Mann untergebracht war, einen „sehr positiven Bericht“ über sein Verhalten in Haft vorgelegt hatte. Nach Angaben der Polizei war er zwar „wegen diverser Gewaltdelikte bekannt“, der 18-Jährige hatte aber keine Vorstrafen, wie das Gericht bestätigt.

Zum Tatzeitpunkt des mutmaßlichen Raubes, der am 3. April verhandelt werden sollte, war er zudem erst 17 Jahre alt. Eine mögliche Strafe wäre nach Angaben des Gerichts also sehr wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzt worden. „All das hat die Richterin zu der Überzeugung gebracht, dass die Sitzung nicht dringend durchgeführt werden muss“, sagt der Gerichtssprecher. Spätestens Ende April habe man ihn ohnehin entlassen müssen, da die Untersuchungshaft höchstens sechs Monate dauern darf.

Die Polizei nahm den 18-Jährigen am späten Nachmittag des 1. Mai in einer Wohnung in Bielefeld fest. Bei der Durchsuchung stellten sie blutverschmierte Kleidung sicher, die er vermutlich in der Tatnacht getragen hatte. Die Ermittler gehen davon aus, dass er zunächst versucht hat, den 17-Jährigen auszurauben und dann mehrmals auf ihn einstach.

Der 18-Jährige schweigt zu den Vorwürfen. Er ist nun wieder in Untersuchungshaft – wegen Totschlags. Eine Tatwaffe wurde bisher nicht gefunden.

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