Niedersachsen Jever und sein gnädiges Fräulein Maria

Fräulein Maria war im 16. Jahrhundert die letzte Regentin des Jeverlandes. Bis heute wird ihr Andenken in Niedersachsen in Ehren gehalten.

Der Sagenbrunnen mit dem Fräulein Maria wurde 1995 von Bildhauer Bonifatius Stirnberg errichtet.

Der Sagenbrunnen mit dem Fräulein Maria wurde 1995 von Bildhauer Bonifatius Stirnberg errichtet.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

An Fräulein Maria kommt in Jever niemand vorbei. Obwohl sie schon seit fast 450 Jahren nicht mehr gesehen wurde. 1575 verstarb die letzte Regentin des Jeverlandes. Zum 400. Geburtstag setzte man ihr ein Denkmal gegenüber des Schlosses.

Doch ist Maria wirklich tot? Jeden Abend um 22 Uhr (im Winter um 21 Uhr) erklingt das Marienläuten vom Glockenturm neben der Stadtkirche, damit das gnädige Fräulein den Weg zurück nach Jever findet. Einst hatte sie selbst das Läuten angeordnet, um den Bürgern das Ende des Tages und den Beginn der Nachtruhe anzuzeigen. Der Sage nach ist Maria in einem Gang verschwunden, der das Schloss mit dem angrenzenden Park verbindet.

An seinem Ausgang steht eine schwarz gekleidete Frau mit weißer Haube. Es ist Dagmar Kennedy, die als Maria verkleidet während einer Führung durch den Ort aufklärt, wie es überhaupt zum „Marienkult“ kam: „Der letzte Häuptling der Region war Marias Vater Edo Wiemken der Jüngere. Seine erste Familie fiel der Pest zum Opfer. Mit seiner zweiten Frau hatte er einen Sohn und drei Töchter.“ Durch diese Heirat schuf er familiäre Beziehungen zur Grafschaft Oldenburg. Wenige Jahre nach ihm verstarb sein Sohn Christoph. „Er könnte vergiftet worden sein, denn Graf Edzard I. von Ostfriesland hatte großes Interesse daran, Jever in seinen Besitz zu bekommen. Nun schloss er einen Vertrag mit Maria und ihren beiden Schwestern“, berichtet die Gästeführerin: „Er wollte seine drei Söhne mit den Wiemken-Töchtern verheiraten. So sollte das Gebiet als Mitgift in seine Gewalt kommen. Aber die Ostfriesen hielten sich nicht an die Abmachung und besetzten die Burg Jever.“ Der eingesetzte Droste (Amtmann) Boing von Oldersum fand Gefallen an Maria, wechselte die Seiten und unterstützte sie. Zur Hochzeit der beiden kam es allerdings nicht. Boing starb bei einer Belagerung des nahen Wittmunds. Seit diesem Tag trug Maria nur noch schwarz.

1536 verlieh sie Jever das Stadtrecht und ließ einen Hafen, die Schlachte, anlegen. Das Schloss geht auf eine Wehranlage des 14. Jahrhunderts zurück. Um den massiven Bergfried ließ das Fräulein ein Renaissancegebäude errichten. Die aus Eichenholz geschnitzte Kassettendecke im Audienzsaal ist noch vorhanden. „Da die Ostfriesen Maria nicht mehr wohlgesinnt waren, beschloss sie, dass das Gebiet nach ihrem Tod an die Grafen von Oldenburg gehen sollte“, erzählt Dagmar Kennedy: „Die Legende vom geheimen Gang hat ihren Ursprung wohl in der Notwendigkeit, Marias Tod so lange vor den Ostfriesen geheim zu halten, bis ihr Nachfolger aus Oldenburg eintraf, um sein Amt anzutreten.“

In Jever verehrt man nicht nur bis heute die letzte Regentin, sondern setzt noch auf eine andere Tradition. In einem Speichergebäude von 1822 kann man sein „blaues Wunder“ erleben. Über Jahrhunderte gab es drei Blaufärbereien, bis sie durch industrielle Fertigung verdrängt wurden. Doch seit mehr als 30 Jahren ist dieses alte Handwerk zurück.

Schneiderin und Modede­signerin Sabrina Schuhmacher übernahm 2021 die Werkstatt von ihrem Vorgänger, Georg Stark, der das Gewerbe zu neuem Leben erweckte. Seitdem bedruckt sie Leinen, Baumwolle und Seide, um daraus Bekleidung, Tischdecken, Kissen, Gardinen oder Wandbehänge herzustellen. Über 600 Druckstöcke oder -modeln aus verschiedenen Epochen füllen die Werkstatt. „Sie bestehen aus Birnbaumholz, in das ein Muster geschnitten wurde, das zusätzlich mit feinen Metallstiften versehen ist“, erklärt die Designerin. Mit einem Pinsel bestreicht sie die Stifte mit einer grünlichen, klebrigen Masse. Danach drückt sie das Model präzise und fest auf einen weißen Stoff. Nachdem er vollständig bedruckt ist, spannt sie ihn auf einen eisernen Kronreifen und taucht ihn in einen tiefen Färbebottich. Schließlich zieht die 26-Jährige ihn wieder aus der Küpe heraus. Der Farbstoff Indigo reagiert mit Sauerstoff. Zunächst leuchtet das Gewebe gelb, dann grün. Plötzlich geschieht das „blaue Wunder“.

 Jevers Wahrzeichen, das Schloss, ließ Maria im Renaissancestil ausbauen.

Jevers Wahrzeichen, das Schloss, ließ Maria im Renaissancestil ausbauen.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Derweil geht draußen vor der Tür die Darbietung der Geschichte Jevers weiter. Der letzte Graf von Oldenburg hatte keine Nachkommen. Deshalb erbten die Fürsten von Anhalt-Zerbst 1667 das Territorium. Die Gästeführerinnen Katharina Nawratil alias Frau von Bernstädt, Gattin eines Beamten aus Zerbst, und Frauke Büsing-Gerdes als Frau Eden schlendern in Kostümen des 18. Jahrhunderts durch die Gassen der Kleinstadt, in der zahlreiche alte Bürger- und Amtshäuser erhalten geblieben sind. Frau Eden hat acht Kinder und ist die Gemahlin eines wohlhabenden friesischen Bauern. Sie ist immer noch froh, dass das Fräulein Maria sich einst für den Deichbau einsetzte. So wurde das Land vor Überschwemmungen von der Nordsee geschützt, was den Bewohnern einigen Wohlstand brachte. Frau von Bernstädt hingegen rühmt die Veränderungen durch die Zerbster Fürsten. Seit dieser Zeit trägt der Schlossturm eine barocke Zwiebelhaube. Sie ist mächtig stolz darauf, dass eine Zerbster Prinzessin zur Kaiserin Katharina II. von Russland gekrönt wurde. Und tatsächlich wird jene durch Erbschaft bis zu ihrem Tod auch noch Herrin von Jever.

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