Neue Platte „Rammstein“ Böse Onkels

Berlin · Die deutsche Erfolgsband Rammstein veröffentlicht am Freitag das erste neue Album nach fast zehn Jahren. Es klingt wie gewohnt.

 Ihre Kunstsparte ist das Vulgäre: Die Band Rammstein um Sänger Till Lindemann (M.).

Ihre Kunstsparte ist das Vulgäre: Die Band Rammstein um Sänger Till Lindemann (M.).

Foto: dpa/Jes Larsen

Ach, im Grunde suchen sie doch bloß die Schönheit. Natürlich findet man die heutzutage nicht so leicht, man muss sich durch Schmutz graben, Dreck aufwühlen und die Hinterhöfe der menschlichen Monstrosität durchqueren. Auf ihrer neuen Platte erzählt die Berliner Band Rammstein davon wieder ausgiebig und selbstverständlich mit einiger Lust am Ekel. Aber zwischendurch gibt es eben durchaus Stellen, an denen man merkt, dass die ölverschmierten Kerle ihren „Kleinen Prinzen“ gelesen haben. So singt denn Till Lindemann in dem Stück „Weit weg“ dieses:  „Wieder ist es Mitternacht / Ich stehle uns das Licht der Sonne / Weil es dunkel ist, wenn der Mond die Sterne küsst.“

Sehr lakonisch mit „Rammstein“ ist das neue Album betitelt, und wer nun gedacht hat, dass es in den elf Stücken nach der umstrittenen Vorab-Single „Deutschland“ sicher ordentlich zur Sache geht, sieht sich womöglich getäuscht. Die erste Platte nach neuneinhalb Jahren wirkt wie ein Ausmalbuch für Rammstein-Klischees. Der Sound brummt gewohnt zünftig bis brünftig, und jedes Lied mutet wie der letzte Logbuch-Eintrag eines Kapitäns vor dem Schiffsuntergang an, was das Hören manchmal anstrengend macht, weil man nach elf Havarien dann doch ein bisschen abgestumpft ist. Gegen Ende wird es arg belanglos, mehr Ach und Krach als Saus und Braus, unfreiwillig komisch bisweilen gar. Lindemanns im hohen Ton vorgetragene Lyrik changiert ja stets zwischen Schmerz und Schmarrn, zwischen  Bellissimo und Beckenbodenbereich, und wohin er in dem Song „Tattoo“ tendiert, möge jeder selbst entscheiden: „Zeig mir deins, ich zeig dir meins / Wenn das Blut die Tinte küsst / Wie der Schmerz das Fleisch umarmt.“

Rammstein ist die neben den Toten Hosen erfolgreichste deutschsprachige Band. Ende des Monats füllen sie zwei Mal die Veltins-Arena in Gelsenkirchen – das nur mal als Hausnummer. Man mag sie auch im Ausland, wobei man sie dort eher ironisch betrachtet: als clowneske Helden deutschtümelnder Persiflage. Ein Zirkus der Breitbeinigkeit, eine Revue des rollenden Rs. Die Musiker, die aus der Punk-Szene der DDR kommen, sind  Profis darin, Aufmerksamkeit zu generieren. So teaserten sie die „Deutschland“-Single mit einem Ausschnitt des zugehörigen Videos an, der eine KZ-Szene zeigte. Sie versuchten also, mit der Holocaust-Thematik Platten zu verkaufen. Es wurde von manchem Poptheoretiker nach Veröffentlichung des kompletten Videos sogleich einiges an Auslegungsanstrengung aufgeboten, um herauszuarbeiten, dass das Lied trotz des dumpfen „Deutschland!“-Refrains in Wahrheit das Leiden an diesem Land und das ambivalente Verhältnis des Sprechers zur Heimat dokumentiere. Und man hofft sehr, dass die Jungs mit den Thor-Steinar-T-Shirts, die sich immer mal wieder auf Rammstein-Konzerte verirren, die jeweiligen Artikel auch zu Ende gelesen haben.

Auf „Rammstein“ ist „Deutschland“ nun tatsächlich das baulich gelungenste Stück. Es lohnt übrigens, die Intros der Songs nach Referenzen abszusuchen. Man findet Anne Clark („Deutschland“), Scooter („Ausländer“) und Metallica („Tattoo“). Keyboarder Flake Lorenz legt bunte Klangteppiche unter die düsteren Gitarren, so dass man Rammstein auch bei Junggesellen-Abschieden und auf der Cranger Kirmes spielen kann. Till Lindemann spricht dazu seine Rollenprosa. Einmal raunt er gegen Missbrauch in der Kirche („Zeig her“), dann ist er die kleine Schwester einer Prostituierten, die ermordet wird („Puppe“), dann ein Kinder-Entführer („Hallomann“) und im sarkastischen Rap „Ausländer“ die stereotype Projektion eines Antänzers.

Man sieht schon, textlich wird zwischen Vergewaltigung und Unzucht wieder alles geboten. Finstere Moritaten voller böser Onkels, Babylon ist überall. Der Grusel bleibt künstlerisch allerdings allzu oft Behauptung, es fehlen Kraft und Kreativität, und „Hallomann“ leiht sich von Falcos „Jeanny“ zwar das Thema, reicht aber nie an das Vorbild heran. Deswegen freut man sich über gut abgehangene Zeilen aus Lindemanns Hirnschmiede wie jene in dem Lied „Sex“, die im Kontext gelesen fast schon genial ist: „Besser widerlich als wieder nicht“.

Rammstein haben das Abstoßende und Vulgäre zu ihrer Kunstsparte gemacht, aber wie jedes Extrem nutzt sich auch dieses rasch ab. Am besten sind sie in jenen Liedern, in denen Till Lindemann wie ein Riese auftritt, der alles zwischen seinen großen Fingern zerbricht, was er doch eigentlich liebt. Dann steht er da, so schwer und einsam, und klagt sein Leid: „Dein feines Licht war mein ganzes Sein / Denn was man nicht lieben kann, muss man hassen“. „Diamant“ heißt dieses Lied.

Immerhin: Am Ende haben sie in der Düsternis die Schönheit doch noch gefunden.

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