ESC-Kandidat für Frankreich Hoffen auf den Conchita-Wurst-Effekt

Paris · Für die Franzosen tritt beim Eurovision Song Contest Bilal Hassani an. Doch selbst im eigenen Land schlägt dem 19-Jährigen wegen seines schillernden Auftretens der Hass entgegen.

 Bilal Hassani, französischer Kandidat für den Eurovision Song Contest (ESC)

Bilal Hassani, französischer Kandidat für den Eurovision Song Contest (ESC)

Foto: dpa/Low Wood

Als erstes hat Bilal Hassani Twitter vom Smartphone gelöscht. Seit seiner Ankunft in Israel meidet der Sänger aus Frankreich die sozialen Netzwerke. Er will nicht wissen, was die Internetgemeinde über seinen Auftritt denkt, wie sie seine Performance bewertet. Er will auch nicht hören, dass er mit seinem Lied „Roi“ (König) inzwischen zu den großen Favoriten des Wettbewerbs gezählt wird.

Zu groß war der Hass und die Häme, die dem 19-Jährigen in den vergangenen Wochen entgegenschlug. Vor seinem Auftritt am Samstag im Finale beim Eurovision Song Contest (ESC) will Bilal Hassani nur eines: sich in Ruhe auf den großen Moment vorbereiten. „Ich verlasse mich auf die Reaktionen, die ich hier direkt bekommen, von echten menschlichen Wesen“, sagt er – eine bemerkenswerte Aussage für einen Youtube-Star.

Fast eine Million Menschen folgen ihm auf der Videoplattform, weit über eine halbe Million auf Instagram. Die Zahlen waren nach seinem Sieg bei der französischen Vorentscheidung für den ESC Anfang dieses Jahres geradezu explodiert – und mit ihnen der Hass im Netz, bis hin zu Morddrohungen. Seine platinblonden, schulterlangen Haare, das androgynes Auftreten und seine offen gelebte Homosexualität sind für einige Menschen offensichtlich eine Provokation. Hinzu kommt seine Herkunft. Bilal Hassani ist in Paris geboren, doch seine Eltern stammen aus Marokko. Immer wieder heißt es, eine solche Person könne Frankreich beim Eurovision Song Contest nicht vertreten.

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Anfeindungen war der junge Mann gewöhnt. Doch nun musste er sich plötzlich für jeden unbedachten Schritt in seinem jungen Leben rechtfertigen. So forderte ein konservativer Senator Bilal Hassani vom ESC auszuschließen. Grund war ein Video, auf dem er auf einer Straße tanzt und singt: „Frankreich hat viel gelitten – Attentate hier, Attentate da.“ Nun lautete der Vorwurf, der Sänger verharmlose die blutigen Attentate von Islamisten in Paris und unterstütze auf diese Weise deren Ideen.

Hassani sah sich zu einer Richtigstellung genötigt. Das Video sei in einem „verrückten Moment“ nach dem Sieg Frankreichs bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Juli entstanden. Es drücke Erleichterung aus, nicht aber Unterstützung für die Islamisten, die seit 2015 in Frankreich mehr als 250 Menschen getötet haben. Ähnliche Videos hätten damals mehrere Personen aufgenommen.

Versuchte Bilal Hassani anfangs noch, den Hass zu ignorieren, entschied er sich am Ende dann doch, gegen die Angriffe wegen seiner Homosexualität oder seiner Herkunft vorzugehen. „Es ist illegal. Wenn du nichts dagegen unternimmst, wird sich nichts ändern“, sagt er. Und: Sein öffentlicher Umgang mit dem Thema habe auch anderen geholfen, sich zu wehren.

Auch mit seinem Lied „Roi“ will er den Menschen Mut machen, die sich nicht in den Mainstream einfügen wollen und bezeichnet die Arbeit an dem Hit auch als eine Art Selbsttherapie. Auch heute noch sei es für Menschen wie ihn ein Kampf, akzeptiert zu werden, sagt er. „Es gibt viel Hass, viele Dinge, die mich schwächen könnten“ – bis hin zur Selbstzensur. Aber er habe sich entschieden, zu sich zu stehen und erhält inzwischen auch viel Unterstützung. „Du machst uns stolz!“, twitterte die Anti-Diskriminierungs-Organisation Urgence Homophobie (Notfall Homophobie) nach seinem Sieg im französischen ESC-Vorentscheid.

Dabei ist Bilal Hassani trotz seiner erst 19 Jahre ein Profi. Musikalisch machte er bereits als 15-Jähriger auf sich aufmerksam. Im Jahr 2015 nahm er an der französischen Version von „The Voice Kids“ mit einer Cover-Version des Liedes „Rise Like A Phoenix“ teil, mit dem die Österreicherin Conchita Wurst 2014 den ESC gewonnen hatte. Der junge Franzose nennt sich denn auch als großes Vorbild.

Seine Unterstützer zumindest hoffen auf den Conchita-Wurst-Effekt, der Bilal Hassani in Tel Aviv zum Triumph tragen könnte. Denn ähnlich wie die deutschen Teilnehmer sind auch die Franzosen in Sachen ESC nicht gerade vom Erfolg verwöhnt. Bilal Hassini wäre der erste Franzose seit 1977, der den Eurovision Song Contest gewinnen würde.

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