Vor Konzert in Oberhausen Es ist an der Zeit, den tollen Elton John zu feiern

London · Elton John hat seine letzte Tournee begonnen. Nun gastiert er in Oberhausen. Eine gute Gelegenheit, einen Giganten zu ehren.

 Das „Too Much“ als Lebensprinzip: Elton John 1975 am Set des The-Who-Films „Tommy“.

Das „Too Much“ als Lebensprinzip: Elton John 1975 am Set des The-Who-Films „Tommy“.

Foto: imago/Prod.DB/imago

Einen Kerl, der nach eigenen Angaben rund 100.000 englische Pfund im Jahr für Blumen-Arrangements ausgibt, muss man einfach mögen. Elton John gönnt sich diesen Luxus, jener Mensch also, der sich selbst nicht so ernst nimmt und von sich sagt: „Abgesehen von der Faulheit habe ich mich jeder der sieben Todsünden schuldig gemacht.“ Manchmal fliegt er über die Schweizer Alpen, und wenn er dann aus dem Fenster sieht, denkt er: „Da unten liegt all das Koks, das du geschnupft hast.“

Sir Elton John, den sie „Captain Fantastic“ nannten und wenig später „Queen Mum des Pop“, ist inzwischen 71 Jahre alt, dem Teufel schon ein paar Mal von der Schippe gesprungen, aber „still standing“, wie eines seiner berühmtesten Lieder heißt. Er ist gerade auf Abschiedstournee, und wie alles in seinem Leben ist auch sie ausufernd und flamboyant, weshalb er sie gleich mal bis ins Jahr 2021 geplant hat. Am Wochenende tritt er in Oberhausen auf, wie die meisten Konzerte ist auch dieses ausverkauft. Man kann das verstehen: Es ist eine der letzten Möglichkeiten, einer der größten Künstlerpersönlichkeiten des Rock Goodbye zu sagen.

Elton John wird ja oft unterschätzt, was womöglich an der Art und Weise liegt, wie er seine Musik verkauft. Mitte der 1970 Jahre sah er aus wie jemand, der sich für eine Rolle in der Realverfilmung der Muppet Show bewirbt. Plateaustiefel, irre Brille, zu langes Resthaar und ansonsten Pailletten, Glitter, Flitter und Goldstaub. Wenn jemand Elton John vor die Wahl gestellt hätte, ob er einen Mantel oder eine Jacke anziehen möchte, hätte er sich stets für ein mit violetter Seide gefüttertes Brokat-Cape entschieden. Das „Too Much“ als Lebensprinzip. Er stieg auf sein Klavier, er warf beim Spielen die Beine von sich, und er war so uncool, dass man die Jungs der Prog-Rock-Band King Crimson gut verstehen kann, die einst seine Bewerbung als Frontmann der Gruppe abgelehnt haben sollen.

Wenn man sich dann aber anhört, was Elton John sang, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu verneigen. Begonnen hat alles, als Reginald Kenneth Dwight, wie Elton John in echt heißt, sieben Jahre alt wurde. Er hatte sich ein Fahrrad gewünscht, aber vom Papa bekam er stattdessen eine Schallplatte: „Songs For Swingin‘ Lovers“ von Frank Sinatra. Da war es dann um den Jungen aus Middlesex geschehen: „Meine Jugendfreunde waren die Stimmen der Lautsprecher.“ Er studierte an der Royal Academy of Music Klavier und Musiktheorie, und er ging durch das Stahlbad des Fun, indem er in Pubs auftrat. Er wurde zum besten Pianisten des Rock. Er ist Engländer, doch geprägt hat ihn die amerikanische Musik: Gospel, Boogie-Woogie, Blues, Country und Rock ’n‘ Roll.

Das Schicksal sandte ihm früh den genialen Songwriter Bernie Taupin, mit dem er über 40 Jahre eine der produktivsten und ertragreichsten Allianzen des Pop-Business aufrecht erhielt: Taupin skizzierte Texte, Elton John sammelte sie, zog sich zwei Mal pro Jahr in die Villa zurück, die er in Los Angeles gekauft hatte und in der einst Joan Crawford wohnte, und dort komponierte er Musik zu den Lyrics. Oft brauchte er nicht mehr als 20 Minuten pro Song. Den Rest des Jahres nutze er dann, um sich „inspirieren“ zu lassen.

Auf diese Weise entstanden Klassiker wie „Tiny Dancer“, „Rocket Man“, „Saturday Night’s Alright For Fighting“, „Your Song“, „Bennie & The Jets“, „Crocodile Rock“, und – na klar – „Candle In The Wind“, die erfolgreichste Single aller Zeiten. Zwischen 1972 und 1975 konnte Elton John sieben Alben auf Platz eins in den USA bringen. Er ist der erfolgreichste Künstler jenes Jahrzehnts.

Was ihn so besonders macht, ist, dass er im Gegensatz zu Leuten wie Mick Jagger, die ja bloß deshalb musizierten, weil sie die Jugend verlängern wollten, Größeres vorhatte: Elton John wollte die Kindheit dehnen. „Looking like a true survivor / Feeling like a little kid“ singt er in „I’m Still Standing“. In seiner Welt regnet es nicht, höchstens Konfetti, seine Brillen haben rosarote Gläser, und wenn er nach einem Stück die Fäuste in die Höhe reckt, hebt er damit den Himmel ein Stück höher. Sein Werk wirkt denn auch wie ein übervolles Spielzimmer, es klimpert und funkelt überall und immerzu. Elton John will gar nicht lässig sein, sondern lustig und albern.

Er hat mit „Madman Across The Water“ (1971) „Goodbye Yellow Brick Road“ (1973) zwei große Alben veröffentlicht. Aber ehrlich gesagt: Er ist kein Album-Künstler. Sein Geschäftsbereich ist der Song, er schreibt für den Augenblick. Auch als er in den späten 1970er Jahren in eine künstlerische Krise geriet, von der er sich erst in den 90er Jahren erholte, brachte er immer wieder tolle Lieder heraus, großartige und bewegende Balladen wie „Sacrifice“ vor allem. Einzig der Hit „Nikita“ (1985) sei davon ausgenommen, der ist wirklich ganz fürchterlich.

Elton John wandelte sich zum Aufklärer. Er sprach über seine Homosexualität, half mit seiner Stiftung, gegen die Aids-Epidemie anzukämpfen. Er überwand schwere Krankheiten und eine Kehlkopf-OP. 1990 machte er einen Drogenentzug, und danach beginnt sein Spätwerk, das ihm 1994 den Oscar für den Titelsong zum Film „König der Löwen“ bescherte. Er nahm 60-jährig erstmals erwachsene Platten auf wie „The Union“ und „Diving Board“, was großartig gelang, weil er eine wunderbare Altersstimme hat. Und allmählich entdecken nun auch nachgeborene Künstler, was für ein großer Songwriter er ist. Michael Stipe von der Band R.E.M. nennt ihn als Vorbild, John Grant lobt seinen Soul, Father John Misty verehrt ihn. Der Rapper 2Pac sampelte auf seinem Stück „Ghetto Gospel“ Elton Johns „Indian Sunset“, und gerade erst baute der junge Rapper Young Thug seinen Song „High“ in das Instrumental von Elton Johns größtem Song „Rocket Man“.

Er hat rund 300 Millionen Platten verkauft, nur die Beatles, Elvis Presley, Michael Jackson und Madonna haben mehr abgesetzt. Warum also setzt sich dieser Mann nun nicht in einen seiner Paläste, genießt den Duft der Blumen, zählt sein Geld und besucht mit seinen acht und sechs Jahre alten Kindern deren Patentante Lady Gaga ist? Weil Elton John nicht ohne das Publikum sein kann. Offenbar braucht er es, andere Menschen glücklich zu machen.

Guter Typ.

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