Neue Fotoausstellungen in Düsseldorf Bilderflut im NRW-Forum

Das Haus zeigt Arbeiten von Bieke Depoorter, Wolfgang Tillmans, Natascha Schmitten und zehn jungen Fotografen.

Man sollte die Ausstellung nach einigen Wochen noch einmal besuchen und sehen, was die Leute von Bieke Depoorters Bildern halten. Die Fotografin hat nämlich im ersten von fünf Kabinetten ein Fotoalbum ausgelegt, und wer mag, darf ihre Bilder kommentieren. Stifte liegen aus.

So hat es Depoorter auch gehalten, als sie vor zwei Jahren Ägypten bereiste. Im Gepäck hatte sie ebenfalls ein Album, ein Muster für ein geplantes Fotobuch. Es enthielt Arbeiten, die sie bei vorherigen Ägypten-Reisen gemacht hatte, und nun bat sie die Menschen, ihre Bilder zu kommentieren. Das 2017er-Album haben sie im NRW-Forum seitenweise an die Wände gehängt. Gleich aufs erste Foto hatte jemand geschrieben: „Ich glaube, du solltest mit dem Buch noch mal von vorne anfangen.“

Das ist der Auftakt zu Bieke Depoorters Schau im NRW-Forum. Es ist eine von drei neuen Ausstellungen, die soeben eröffnet wurden. Das sind zum einen „Gute Aussichten“, ein Überblick preisgekrönter junge Fotografen; eine Gegenüberstellung von Arbeiten der Malerin Natascha Schmitten und des Fotokünstlers Wolfgang Tillmans und eben Depoorter, deren Ausstellungsflügel in fünf abgeschlossene Räume unterteilt wurde. Dafür wurden Wände eingezogen, Türen installiert, allein die Ausstellungsarchitektur macht Eindruck.

Depoorter stammt aus Belgien, sie ist Jahrgang 1986 und seit 2015 Mitglied der berühmten Foto-Agentur Magnum, damals als jüngstes Mitglied aller Zeiten. Nun ist sie ein paar Jahre älter und eigentlich immer noch jung. Trotzdem hat sie schon so viel Output, dass Kurator Joachim Naudts die Schau auf eine Schaffensphase begrenzt hat. Ausstellungstitel: „2015-2019“.

In diesen Jahren begann Depoorter demnach eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit, sie versuchte sich ihrer Rolle als Fotografin bewusst zu werden, und sie tat, was Künstler in solchen Fällen gerne machen: das Medium hinterfragen. Das Tolle ist, dass das in diesem Fall gelingt. Es beginnt mit ihren Ägypten-Bildern und geht weiter mit einer raumfüllenden Installation, für die sie ins französische Sète reiste. Dort gab man ihr ein Stipendium und drei, vier Wochen Zeit für ein Buchprojekt. Depoorter, zweifelnd, lief zwei Wochen durchs Städtchen und brachte kein einziges Foto zustande, bis ihr ein Zugang gelang: Sie machte die Bewohner dafür zu Akteuren ihrer eigenen Geschichten.

Der dritte Raum ist Agata gewidmet, einer jungen Frau, die Depoorter in einem Pariser Stripclub kennenlernte, seitdem umkreisen die beiden einander. Depoorter möchte herausfinden, wer Agata wirklich ist. Agata möchte anhand der Bilder das Gleiche über sich erfahren. Das klingt total verkopft, ist aber total toll. Im NRW-Forum hat Agata die Wände bekritzelt mit dem, was sie von Depoorters Aufnahmen hält, und so erfährt man auch, was sie selbst über sich meint. Ein Spiegelkabinett.

Raum vier: ein Kurzfilm, Raum fünf: eine Arbeit namens „Michael“ – ein Herr, den Depoorter in Portland kennenlernte. Der zeigte ihr seine Bleibe, mit Fotos beklebte Räume. Er schickte ihr drei Koffer mit Collagen und Notizen, und als sie ihn besuchen wollte, war er verschwunden. Deporter hat ihm nachgespürt, sie erzählt davon in Bild und Schrift. Die Arbeit soll auf wahren Begebenheiten beruhen. Sie hat daraus eine Geschichte gesponnen.

Es gibt eine Videoinstallation, die Livestream-Bilder aus den USA per Gesichtserkennung mit den Bildern Michaels abgleicht, es gibt eine Höhle, in der die Künstlerin ihre Recherche vom Fußboden bis an die Decke präsentiert. Und es stellt sich irgendwann die Frage, ob sie das eigentlich darf. Michael soll bipolar gewesen sein, womöglich bräuchte er Hilfe und keine Ausstellung. Die Fotografin sagt, er habe gewollt, dass sie seine Geschichte erzählt, er habe ihr schließlich die Koffer überlassen. „Ich fühle mich nicht schuldig.“ Bis heute ist nicht bekannt, wo er abgeblieben ist, aber „Michael“ wandelt an der Schmerzgrenze.

Ein paar Türen muss man öffnen, bis man zurück im Foyer ist. Im gegenüberliegenden Flügel sind „Gute Aussichten“ zu sehen. Das ist ein Wettbewerb für Absolventen einschlägiger Hochschulen. Ausgestellt werden Arbeiten von zehn jungen Fotografen.

Marco Mehringer hat die Einschusslöcher in einer Ruine in Sarajevo zur Öffnung einer Art Lochbildkamera umfunktioniert. Es ist ein Ort von dem aus geschossen wurde und der zugleich beschossen wurde. Seine Bilder sollen das sichtbar machen. Markus Seibel hat Geflüchtete entlang Europas Grenzen begleitet und daraus eine Dokumentation erstellt. Lisa Hoffmann hat hunderte Bilder aus Krisen- und Kriegsgebieten übereinandergelegt und zeigt, dass es nicht die eine Perspektive gibt.

Komplettiert wird der Reigen im Obergeschoss von Natascha Schmitten und Wolfgang Tillmans. Sie ist Absolventin der Kunstakademie, er ein internationaler Star. Die Stadtsparkasse Düsseldorf zeigt einmal jährlich Arbeiten aus ihrer Sammlung im NRW-Forum, diesmal Tillmans’ Installation „Düsseldorf Raum 2001 – 2007“, zwölf Arbeiten, die er in seinem Umfeld aufnahm, Fensterbänke, Blumentöpfe, Fotopapier – da geht es dann langsam ins Abstrakte über. Kombiniert wird die Installation mit Schmittens Malerei. Luftige, transparent wirkende Arbeiten sind das, hier und da meint man Figuren oder Gesten erkennen zu können. Ein guter Abschluss. Nach der großen Bilderflut kann man sich darin versenken.

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