Kunststadt Berlin Der Reichstag im Museum

Berlin · Die Berliner Kunst-Szene kehrt zurück ins Leben. Viele Häuser haben wieder geöffnet. Sehenswert ist die große Christo-Schau im Palais Populaire. Auch andere Kunst-Häuser in der Hauptstadt öffnen ihre Türen. Ein Überblick.

 1995 verhüllten Christo und Jeanne-Claude den Berliner Reichstag. Bereits am ersten Wochenende kamen über eine halbe Million Besucher zum Platz der Republik.

1995 verhüllten Christo und Jeanne-Claude den Berliner Reichstag. Bereits am ersten Wochenende kamen über eine halbe Million Besucher zum Platz der Republik.

Foto: Wolfgang Kumm

Verhüllen, um den Blick zu schärfen und das Bekannte neu zu sehen. Schranken der Wahrnehmung überwinden, um der Fantasie freien Lauf zu lassen. Soziale und gesellschaftliche Grenzen einreißen: Keiner konnte die Kunst als demokratisches Prinzip glaubwürdiger verkörpern als der jetzt verstorbene Christo, der für seine Visionen den langen Atem hatte, den man benötigt, um Hindernisse zu umschiffen und Millionen zu begeistern. Jahrzehntelange Überzeugungsarbeit war vonnöten, um die deutsche Bürokratie zu überlisten und die Erlaubnis zu erhalten, die klobige Trutzburg des Reichstags mit 100.000 Quadratmetern silbrig schimmerndem Polypropylen in ein utopisches Luftschiff zu verwandeln: Die Installation traf im wieder vereinten Berlin 1995 den Nerv der Zeit und lockte mehr als Millionen Besucher aus aller Welt an.

Die Faszination „Wrapped Reichstag“ währte nur 14 Tage. Dann wurden alle Tücher und Seile wieder entfernt und recycelt. Geblieben sind die Erinnerung und der Beweis, dass Kunst von zeitloser Schönheit und Kraft ist und sich von keiner politischen Macht vereinnahmen lässt. Natürlich spielt der „Wrapped Reichstag“, den Christo mit seiner Ehefrau der Welt schenkte, eine wichtige Rolle in der Ausstellung, die jetzt im Berliner Palais Populaire eröffnet wurde: „Christo and Jeanne-Claude, Projects 1963-2020“.

Das Kunst-Sammler-Paar Ingrid und Thomas Jochheim hat unzählige Skizzen und Studien, Fotos und Zeichnungen zusammengetragen, die Christo im Vorfeld seiner Installationen angefertigt und mit deren Verkauf er seine Aktionen finanziert hat. Die Entwürfe für seine „Store Fronts“, mit denen Christo in New York die Ladenfronten mit Tüchern verhängte sind genauso zu sehen wie die Skizzen zum „Wrapped Coast“-Project, bei dem er einen 2,4 Kilometer langen Küstenstreifen in der Nähe von Sydney mit 92.900 Quadratmetern Folie verhüllte. Der „Running Fence“, der sich über 40 Kilometer vom Pazifik bis in die Grashügel von Kalifornien zog. Die „Surrounded Islands“, die das Meer bei Miami in einen pinkfarbenen Blütenrausch verwandelten. Die in den italienischen Iseo-See gelegten „Floating Piers“, auf denen über eine Millionen Menschen übers Wasser wandelten. Was Christo sich ausdachte, um in Paris den „L´Arc de Triomphe“ einzuhüllen, wird vorerst nur eine in der Ausstellung zu bewundernde Skizze bleiben: die für Herbst geplante Realisierung des Projekts wurde wegen Corona auf nächstes Jahr verschoben.

Wer es dagegen mit politisch eher deftiger und direkter Kunst hält, kommt in der Akademie der Künste am Brandenburger Tor mit einer Agitprop-Schau auf seine Kosten: „John Heartfield – Fotografie plus Dynamit“. Fotomontagen, Bühnenbilder, Grafiken, Skizzen, Fotos, Filme: So umfassend wurde das Werk des streitbaren Aktivisten, für den die Kunst ein Mittel des politischen Kampfes war, kaum je präsentiert. Dass Heartfield nicht nur in seinem antikapitalistischen Furor und antifaschistischen Duktus diskutiert, sondern auch thematische und formale Bezüge zu seinen Zeitgenossen aufgedeckt werden (und Bertolt Brecht genauso zu Wort kommt wie Wieland Herzfelde, Erwin Piscator und George Grosz) macht die Werkschau unverzichtbar.

Überall in den Berlin Museen und Galerien kehrt das Kunst-Leben zurück, auch in den zwischen Staatsoper und Kommandantenhaus gelegenen und erst jüngst renovierten Schinkel-Pavillon: John Miller sucht nach den Elixieren der Unsterblichkeit und inszeniert den ehemaligen Sakral-Bau als gold glänzenden ewigen Tempel: surreal, aber schön. Konventioneller geht es dagegen im Brücke-Museum zu, das den Neustart mit einer Ausstellung des Berliner Malers Max Kaus wagt und den zu Unrecht fast in Vergessenheit geratenen Künstler als Kollege und Kontrahent, Freund und Weggefährte von Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff vorstellt. Neu zu entdecken ist auch der Berliner Stadtmaler Hans Baluschek: Zu seinem 150. Geburtstag zeigt das Bröhan-Museum unter dem Titel „Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze“ Werke des angriffslustigen und sozial engagierten Malers, der einmal von sich sagte: „Meine Waffen: Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift sollen hauen und stechen.“ Baluschek fühlte sich keiner künstlerischen Strömung zugehörig, malte, was ihm vors Auge kaum, sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Ob Symbolismus oder Expressionismus, Naturalismus oder Dadaismus: Es war ihm schnuppe. „Ich bin eben ich“, formulierte er selbstbewusst.

Klingt ziemlich modern.

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