Berlin Eine besonders politische Berlinale

Berlin · Heute Abend werden die besten Filme und Schauspieler der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet. Chancen auf den Goldenen Bären hat die iranische Produktion "Nader and Samin". Im Gedächtnis bleiben wird die Farbe Grün als Symbol für die iranische Revolution.

Die Berlinale geht zu Ende, heute Abend werden um 19 Uhr die Bären an die besten Filme, Regisseure und Schauspieler vergeben. Es waren grüne Festspiele, grün ist die Farbe der iranischen Revolution, und wie kaum je zuvor war das Festival Teil der großen Geschichte, des islamischen Aufbruchs in die Moderne, der größten Freiheitsbewegung seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme, die die Gegenwart in Atem hält. Und die Demonstration für den Regisseur Jafar Panahi, der in seiner Heimat zu 20 Jahren Berufsverbot und sechs Jahren verurteilt wurde und deshalb seinen Platz in der Jury nicht einnehmen konnte, ist eines der Bilder, die diesen Jahrgang charakterisieren. Aber von der Berlinale 2011 wird noch mehr bleiben.

Die Preisträger Fast alle Beobachter haben den Film "Nader and Simin. A Seperation" als ersten Kandidaten für den Goldenen Bären auf der Liste. Das Drama von Aghar Farhadi wurde im Iran gedreht und beschreibt den Alltag zwischen religiöser Tradition und sich veränderndem Rollenverständnis. Ein aufgebrachter Mann drängt die Pflegerin seines an Alzheimer leidenden Vaters aus der Tür, weil sie fortgegangen war und den Patienten angebunden hatte. Die Schwangere fällt und erleidet eine Fehlgeburt, nun wird die Schuldfrage geklärt. Der Film ist brillant, er verzichtet auf die Zuweisung von Gut und Böse, das ist ein Krimi aus der Jetztzeit, packend und wahrhaftig. Ebenfalls ins Sieger-Schema der Berlinale würde die argentinische Produktion "El Premio" passen, die von Kindheit in der Militärdiktatur erzählt. Eine radikale Entscheidung wäre das Votum für Béla Tarrs karge Endzeitvision "The Turin Horse". Dass der großartige Banken-Thriller "Margin Call" gewinnt, ist ausgeschlossen – eher gewinnt Philip Roth den Literatur-Nobelpreis als ein Amerikaner die Berlinale.

Die Debütanten Es war ein Filmfest der Neulinge. Die aufsehenerregendsten Debüts lieferten J.C. Chandler mit "Margin Call" und Richard Ayoade mit "Submarine", einem modernen "Fänger im Roggen". Vor allem in den Sektionen abseits des Wettbewerbs zeigte die Berlinale, dass man sich um die Zukunft des Kinos nicht sorgen muss.

Die Dokumentationen Immer rascher reagieren Dokumentarfilmer auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Diese Filme, die vor wenigen Jahren meist für das Spätprogramm der Fernsehsender produziert wurden, kommen heute leichter ins Kino – und finden ihre Zuschauer. "Khodorkovsky" von dem Berliner Regisseur Cyril Tuschi ragt hier heraus, "Stuttgart 21 –Denk mal!" von Lisa Sperling und Florian Kläger und "Pina", die 3D-Hommage an die Choreographin Pina Bausch, mit der Wim Wenders den deutschen Autorenfilm um die dritte Dimension bereichert hat.

Die Proteste Zu Beginn des Festivals wurde heftig für das abwesende Jury-Mitglied Jafar Panahi demonstriert. Regisseurin Doris Dörrie etwa kam in grüner Puma-Trainingsjacke zur Aufführung von Panahis Film "Offside". Danach flaute die Erregung ab, man erfuhr im Pressebüro wenig über den neusten Stand in Sachen Panahi. Erst auf die Hinweise, dass neben Panahi auch dessen Kollege Mohammad Rasoulof im Iran verurteilt wurde, nahm man ihn in die Solidaritätsadressen auf. Dass selbst der Deutsche Cyril Tuschi, Regisseur des Films "Khodorkovsky", Repressionen fürchtet – wenn auch in anderem Ausmaß – wurde nicht thematisiert.

Der Chef Berlinale-Leiter Dieter Kosslick hat einen spröden Charme, das weiß man, und eigentlich ist das gerade gut. Aber mitunter ärgert man sich doch über ihn. Vor der Aufführung von Jafar Panahis "Offside" wollte er ein Wort der Solidarität sprechen. Er sagte aber nur, dass er nun auf Englisch reden wolle, was die Deutschen im Saal sicher freuen werde, weil er ja ein Englisch spreche, dass vor allem von Deutschen gut verstanden werde. Das war es. Seine Rede beim Empfang der Deutschen Filmakademie verlief ähnlich. Einem Zwischenrufer beschied er: "Es gibt gleich Alkohol, Freunde!", damit endete seine Ansprache. Eine Zeitung überschrieb ihr Kosslick-Portät mit der Zeile "Der goldene Bär".

Die Stars Wenige internationale Stars besuchten die Berlinale 2011. Es liegt daran, dass das Festival mit Blick auf die Oscars ungünstig liegt – wer dort gewinnen will, muss seinen Film schon im Herbst zeigen. Außerdem wurden in den USA in den vergangenen Jahren wegen der Wirtschaftskrise weit weniger Filme gedreht, und die Verleihe können sich die teuren Ausflüge der prominenten Schauspieler nicht mehr leisten. Wenig Glamour also, Konzentration aufs Wesentliche – auch das passte zu diesem Jahrgang. Der Berlinale gelang, sich international so zu präsentieren, wie man sich selbst gern sieht: als politische Einrichtung. Die Berlinale hat ihr Profil geschärft.

Die Folklore Zu den schrägsten Ereignissen einer Berlinale gehören die Pressekonferenzen. Den frühen Höhepunkt erlebte man im Anschluss an die Aufführung von "Margin Call". In dem Film begräbt Kevin Spacey in der Rolle als Banker seinen Hund. Eine kanadische Journalistin dankte Spacey sodann für die Szene – sie habe sie an das Begräbnis ihres Vaters erinnert, sagte sie ernst. Spacey nickte. Auch schön: Der argentinische Journalist, der die Vorführung des misslungenen Films "Odem" verließ und rief: "Von diesem Regisseur wird man in den nächsten 15 Jahren nichts mehr hören."

Der Treffpunkt Es gibt einen Internet-Raum für 2000 tausend Akkreditierte, er ist meistens voll. Deshalb warb ein Lokal in der Nähe des Potsdamer Platzes mit dem Spruch: "Wein, Web und Gesang". Das Geschäft lief gut.

(RP/csr)
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