Zweite Karriere im Bob Der Sport der Ehemaligen

Düsseldorf · In kaum einer anderen Sportart sind so viele Ehemalige zu finden wie im Bobsport: Hier tummeln sich ehemalige Diskuswerfer, ehemalige Zehnkämpfer, ehemalige Eisschnellläufer. Doch er ist deshalb keinesfalls der Sport der Leidenschaftslosen. Die Wechsel haben vielmehr praktische Gründe.

 Die deutsche Bobpilotin Mariama Jamanka.

Die deutsche Bobpilotin Mariama Jamanka.

Foto: dpa/Tobias Hase

Der Bobsport ist der Sport der Ehemaligen, der Sport der Quereinsteiger. In kaum einer anderen Sportart sind so viele Athleten zu finden, die einmal in anderen Sphären unterwegs waren, wie hier. Die vierfache Bob-Europameisterin und zweifache Weltmeisterin Annika Drazek betrieb lange Leichtathletik und zählte zu den besten Nachwuchssprinterinnen Deutschlands. Die sportliche Karriere von Bob-Rekordweltmeister und Zweifach-Olympiasieger Francesco Friedrich hat ebenfalls einst in der Leichtathletik begonnen, und Olympiasiegerin Anja Schneiderheinze war erst erfolgreiche Eissschnelläuferin, stellte über 100 Meter sogar den deutschen Juniorinenrekord auf, bevor sie Bobpilotin wurde.

Doch auch wenn der Bobsport oft erst die zweite Wahl ist, ist er kein Sport zweiter Klasse. Denn dass sich die Profis erst in einer anderen Karriere versuchten, hat praktische Gründe.

„In der Leichtathletik hat es nicht gereicht“, sagt Mariama Jamanka. Sie ist als Bobpilotin zweifache Europameisterin, wurde 2018 Olympiasiegerin und ein Jahr später Weltmeisterin. In ihrer Kindheit habe sie viele Sportarten ausprobiert, wie Karate, Ballett oder Schwimmen, erzählt sie. Gelandet sei sie dann schließlich bei der Leichtathletik. Man müsse für sich selbst aber auch immer realistisch sein, seine Chancen einschätzen können und sich bewusst machen, was ist erreichbar.

„Für mich war von Anfang an klar, dass ich in der Leichtathletik, vor allem so wie ich trainiert habe, niemals erfolgreich sein kann. Dass es niemals groß werden könnte“, sagt die 30-Jährige. Ihr Trainer habe ihr damals vorgeschlagen, sie könnte in den Bobsport wechseln. „Er kannte jemanden vom Verband, den hat er zum Training mitgebracht und der hat uns dann sozusagen gescoutet. Mit Wintersport hatte ich aber vorher überhaupt keine Berührungspunkte“, erzählt die gebürtige Berlinerin. Sie informiert sich über den Sport, findet ihn interessant und schließt sich einer Trainingsgruppe in Potsdam an. Ein paar Monate später sitzt sie zum ersten Mal in einem Bob.

Auch Christoph Langen kam eher zufällig an den Bobsport. Er ist ehemaliger Leichtathlet, seine Disziplin war der Zehnkampf. Dann wechselte der gebürtige Kölner in den Bobsport, wurde erst Anschieber, schließlich Pilot. In seiner Karriere wurde er zweimal Olympiasieger, in Nagano und Salt Lake City – und gewann acht Weltmeisterschaften im Zweier- und Viererbob. Nach einem Herzinfarkt beendete er 2004 seine sportliche Karriere. Von 2010 bis 2016 war er Bundestrainer des deutschen Bobkaders. „Ich bin damals gewechselt, weil ich natürlich Visionen hatte – und den Traum von einer Weltmeisterschaft oder von den Olympischen Spielen sah ich in der Leichtathletik für mich nicht“, erzählt der 58-Jährige. In seinem Verein habe es zwar eine gute Leichtathletik-Abteilung gegeben, aber professionell aufgestellt sei sie nicht gewesen. Die Übungsleiter waren Ehrenamtliche. „Da kamen auf einmal die Bobfahrer und haben gefragt, ob wir nicht Lust hätten, einmal zu ihnen zu kommen und ihren Sport auszuprobieren“, so Langen. „Das hab ich dann nach einiger Überredungskunst auch gemacht und da hat es mir gleich gut gefallen.“ Er habe schnell gemerkt, dass er dort mit seinen Fähigkeiten auch eine Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele fahren könnte: „Und dann hab ich gesagt: Ok, ich mache das. Ich wechsle zum Bobsport.“

Aber geht das so einfach? Was ist mit der Leidenschaft? Kann ein Sport funktionieren, der immer nur „zweite Wahl“ ist? „Bob ist eine klassische Zweitsportart“, sagt Mariama Jamanka. „Und anders würde es auch gar nicht funktionieren.“ Anders als bei den meisten anderen Sportarten gibt es im Bobsport keine Kinder- oder Jugendabteilung. Es sei eine Sportart, die darauf ausgelegt sei, dass man sie erst im sehr späten Teenageralter, als junger Erwachsener ausüben könne. Aus ganz praktischen Gründen: „Unser Sportgerät wiegt bei den Frauen 140 Kilo, bei den Männern 170 Kilo, also die Zweierschlitten. Die Viererschlitten sind noch schwerer. Da braucht man sehr viel Kraft und Power, um einfach nur das Gerät zu bewegen“, sagt Jamanka.

„Dazu kommen die enorme Geschwindigkeit und die hohen Fliehkräfte in der Bahn. Wer 100 Kilo wiegt, ist auf einmal 600 KiIo schwer, für ein paar Momente. Und man spürt auch jede Unebenheit und jede Erschütterung, es gibt keinen Dämpfer wie in einem Auto“, ergänzt Christoph Langen. „Die Sportler müssen deshalb athletisch ausgebildet sein. Sie brauchen ein Muskelkorsett, das der Belastung auch standhält.“ Zudem sei der Bobsport auch nicht ungefährlich. „Das können wir gar nicht verantworten, dass wir Zwölf-, 13-, 14-Jährige in einen Bob reinsetzen“, betont der Ex-Bobpilot.

Für ihn, einen der erfolgreichsten Bobfahrer Deutschlands, war der Bobsport immer etwas wie ein „zweiter Bildungsweg“. Eine Möglichkeit, sich noch einmal zu verbessern, doch erfolgreich zu werden. „Es gibt Sportler, die sind engagiert, fleißig, sie trainieren viel und hart – aber sie kommen ab einem gewissen Punkt einfach nicht weiter“, sagt Langen. Was sie auch versuchen würden, es reiche nicht zur Weltklasse. „Vielleicht durch fehlendes Talent, fehlende Förderung. Da können viele Sachen reinspielen, dass man den letzten Schritt einfach nicht gehen kann. Der Bobsport ist da wie eine zweite Chance“, so der ehemalige Bundestrainer.

Seine Leidenschaft für die Leichtathletik habe sich im Grunde mit dem Wechsel auch nicht geändert: „Das Training ist sehr ähnlich, nur die Jahreszeiten unterscheiden sich“, stellt Langen ganz pragmatisch fest. Die Wettkampfsaison ist im Winter, die Vorbereitung im Sommer – in der Leichtathletik ist es normalerweise genau andersherum. „Aber das Training ähnelt der Leichtathletik sehr. Es ist sogar noch vielseitiger. Dazu kommt das Teamgefühl, man ist auf einmal Teil einer Mannschaft, die für ein gemeinsames Ziel trainiert“, sagt Langen und gerät ins Schwärmen. „Der Reiz der Sportart sind die Geschwindigkeit, der Nervenkitzel, das Teamgefüge.“ Aber natürlich kämen nicht nur ehemalige Leichathleten für einen Wechsel zum Bobsport in Frage. Auch Volleyballer oder Gewichtheber habe er schon trainiert. „Alles, was mit Schnellkraft zu tun hat“, sagt der Leistungssportler.

„Grundsätzlich ist es aber nicht so, dass ein schneller Sprinter auch ein guter Bobfahrer oder ein guter Anschieber ist“, sagt  Jamanka. Man brauche ein hohes Kraftpotenzial, auch eine gewisse Geschwindigkeit, auf den Punkt gebracht. Explosivkraft.

„Leistungsbereitschaft und Robustheit sind auch wichtig, denn pro Saison ist man ein halbes Jahr unterwegs, von Oktober bis März“, sagt Langen. „Und das meistens nicht bei schönem Wetter, sondern wenn es draußen minus zehn, minus 20 Grad hat.“

Eine Vorliebe für die kalten Temperaturen gehört aber übrigens nicht zu den Voraussetzungen. „Ich fahre schon gerne Ski oder laufe gerne Schlittschuh“, sagt Jamanka. Aber der Winter gehöre definitiv nicht zu ihren liebsten Jahreszeiten. „Ich fluche jedes Mal  wenn wir an besonders kalten Orten sind, wenn wir zum Beispiel einen Wettkampf in Calgary in Kanada haben, bei minus 26 Grad“, sagt die Bobpilotin.

„Komischerweise gibt es viele Bobsportler, die sagen, der Winter sei überhaupt nicht ihres, sie würde viel lieber die Sonne mögen“, sagt Langen und lacht: „Ich glaube, das ist so eine kleine Hassliebe.“

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