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Debatte nach Pferde-Drama Bundestrainerin verteidigt Annika Schleu und „Hau drauf“-Aussage

Tokio · Gold war für Fünfkämpferin Annika Schleu fast greifbar. Doch das Reiten in Tokio wird zum Drama. Anschließend entbrennt eine Debatte über ihren Umgang mit dem Pferd und die Aufforderung der Bundestrainerin. Die 48-Jährige setzt sich gegen den Vorwurf der Tierquälerei zur Wehr.

 Annika Schleu.

Annika Schleu.

Foto: dpa/Marijan Murat

Annika Schleus Verzweiflung wuchs mit jeder Sekunde. Sie weinte, sie schlug nach dem skandalösen Zuruf von Bundestrainerin Kim Raisner ("Hau drauf, hau richtig drauf!") mit der Gerte, sie rammte dem Pferd die Sporen in die Seite, doch nichts brachte die panisch wirkende Athletin und den völlig verunsicherten Saint Boy noch in Einklang.

Das Drama nahm in vielfacher Hinsicht seinen Lauf - und brachte Deutschlands beste Fünfkämpferin in Tokio um die sicher geglaubte Medaille und die große Chance auf Gold.

Raisner stand im Gespräch mit dem SID zu ihrer Aussage. "Ich hab gesagt, hau drauf. Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise", sagte die Bundestrainerin: "Dass man mal mit der Gerte hinten draufhaut, ist jetzt keine Quälerei. Sie hat dem Pferd nicht im Maul gerissen. Sie hatte keine scharfen Sporen dran. Pferde quälen sieht anders aus."

Die siebenmalige Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth sah sich derweil in ihrer Bewertung der Disziplin Reiten im Fünfkampf bestätigt. "Fünfkampf hat nichts mit Reiten zu tun", sagte sie dem SID: "Die Pferde sind ein Transportmittel, zu denen die Athleten keinerlei Bezug haben. Denen kann man genauso gut ein Fahrrad oder einen Roller geben."

Statt Jubel herrschte bei den deutschen Fünfkämpfern kollektives Entsetzen. "Warum mein Pferd so verunsichert war, weiß ich nicht", sagte Schleu, die beim Olympiasieg der Britin Kate French letztlich nur den 31. Platz belegte.

Schleus Augen waren noch lange nach dem abschließenden Laser-Run gerötet und feucht. Auch die vielen tröstenden Umarmungen der Rivalinnen halfen kaum - schließlich hatten Schleu auch wütende Kommentare aus der Heimat erreicht. "Es ist tragisch", sagte die grenzenlos enttäuschte Schleu: "Ich werde wohl eine Weile brauchen, um darüber hinwegzukommen."

Auf der Tribüne im Tokyo Stadium fühlte Peking-Olympiasiegerin Lena Schöneborn mit ihrer langjährigen Trainingspartnerin mit. Erinnerungen an Rio wurden wach. "Es kann keiner besser nachempfinden als ich. Es ist Eins-zu-Eins die Situation, die ich hatte", sagte Schöneborn, die 2016 in Brasilien ihre Medaillenchance auf dem Rücken von Legende verloren hatte, in der ARD.

Schleu war als Führende in die dritte Teildisziplin Reiten gestartet. Auf dem ihr zugelosten Saint Boy hatte zuvor schon die ROC-Athletin Gulnas Gubaidullina mit drei Verweigerungen große Probleme gehabt. Damit Schleu ein Ersatzpferd hätte wählen können, wären vier nötig gewesen.

Schleu hielt Rücksprache mit einem Veterinär und holte sich Tipps von der Besitzerin ein. Auf dem Abreiteplatz habe man sich "sehr gut verstanden", erklärte die 31-Jährige: "Es gab keinen Fehler." Noch bevor die Sportsoldatin aber auf den Parcours reiten konnte, blockte das Tier ab. "Ich war kurz davor, abzugrüßen, bevor es losging, weil ich gemerkt habe, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmt", sagte Schleu.

Stattdessen gingen Bilder um die Welt, die kein gutes Licht auf den Modernen Fünfkampf warfen. Raisners indiskutable Zurufe wurden in den Sozialen Medien zerrissen, Schleu erreichten schon beim Umziehen für den Laser-Run "diverse Hassnachrichten".

Die Berlinerin war um Klarstellung bemüht. Eigentlich würden die deutschen Fünfkämpfer "als sehr einfühlsame Reiter" gelten. "Es bricht uns das Herz, dass wir es nicht zeigen können", sagte Schleu: "Ich denke, die Leute können es einfach nicht richtig einschätzen." Auch da ist Isabell Werth ganz anderer Meinung: "Es gibt im Fünfkampf keinerlei Miteinander zwischen Reiter und Pferd."

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sprach in einer ersten Stellungnahme von "Szenen, die dem Ansehen der Sportart schaden. Zahlreiche erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen sollten für den internationalen Verband dringend Anlass dafür sein, das Regelwerk zu ändern." Dieses müsse "so umgestaltet werden, dass es Pferd und Reiter schützt." Das Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen für die Athletinnen und Athleten müssen im Mittelpunkt stehen."

(sid/old)
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