Umbruch im DFB-Team Wann ist die richtige Zeit für einen Rücktritt?

Düsseldorf · Noch hat sich kein Nationalspieler aus dem Russland-Aufgebot entschieden, seine Karriere in der DFB-Auswahl zu beenden. Vor vier Jahren gab es eine regelrechte Rücktrittswelle.

 Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Sami Khedira während der WM in Sotschi.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Sami Khedira während der WM in Sotschi.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Das Ende von Weltmeisterschaften ist offenbar der richtige Termin für kleine Rücktrittswellen. Das Ende erfolgreicher Weltmeisterschaften vor allem. 1974 zum Beispiel reichten noch beim Bankett des Titelträgers in München Paul Breitner, Gerd Müller und Wolfgang Overath ihren Abschied ein, weil Funktionäre ihren Ehefrauen den Zugang zur Feier versagten. Breitner konnte später noch mal zum Weitermachen überredet werden. 2014 traten ebenfalls drei Spieler aus dem erfolgreichen Team von Rio de Janeiro zurück: Kapitän Philipp Lahm, Rekordtorschütze Miroslav Klose und Per Mertesacker. Diesmal hatte es nichts mit einem Bankett zu tun.

Vier Jahre darauf hat sich noch niemand gemeldet, der künftig das Nationaltrikot nicht mehr tragen will. Ob es daran liegt, dass diese WM erst am Sonntag endet, oder daran, dass sie aus deutscher Sicht bemerkenswert schlecht verlief, ist nicht zu klären. Vielleicht traut sich auch niemand aus der Deckung, weil die Furcht tief sitzt, in der allgemeinen Diskussion um Schuld und Sühne am Pranger zu stehen. Es ist überhaupt die Frage, wann die Zeit für einen Rücktritt reif ist.

Diese Frage können die Weltmeister von 2014 beantworten. Denn sie haben den richtigen Moment erwischt. Philipp Lahm gehört zu den Zeitgenossen, die in ihrer Fußball-Karriere alles richtig gemacht haben. Weil zu Beginn seiner Laufbahn die Konkurrenz beim FC Bayern einem Stammplatz im Weg stand, ließ Lahm sich zum VfB Stuttgart ausleihen. Dort machte er auch in internationalen Spielen Eindruck. Seine große Karriere begann. Er unterstrich über ein Jahrzehnt, was sein Entdecker, der ewige Bayern-Co-Trainer Hermann Gerland früh behauptet hatte: „Der kann gar nicht schlecht spielen.“

Bevor es überhaupt so weit kommen konnte, dass er mal schlecht spielt, machte Lahm beim DFB und zwei Jahre darauf beim FC Bayern Schluss. Viele fanden, das sei ein bisschen zu früh – darunter waren viele Fans der DFB-Auswahl. Ohne Lahm war „die Mannschaft“ nie mehr so gut wie mit ihm. Zu spät ist er jedenfalls nicht gegangen. Er war 30, als er den DFB verließ.

Miroslav Klose war immerhin schon 36, als er zurücktrat. Er hatte nicht die überragende Begabung Lahms, aber er arbeitete sich zielstrebig und beharrlich vom Bezirksliga-Torjäger bis zum erfolgreichsten WM-Torschützen aller Zeiten hoch. Im letzten Spiel seiner Nationalmannschafts-Laufbahn wurde er Weltmeister. Es gab keinen besseren Moment für den Rücktritt.

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Das behauptet Per Mertesacker ebenfalls. In Rio durfte er ein paar Minuten den Titel mit verteidigen. Aber weil er ein kluger Mensch ist, hatte er längst bemerkt, dass er trotz seines vergleichsweise jugendlichen Alters von 29 Jahren nicht mehr erste Wahl im deutschen Team sein würde. Sein Rücktritt hatte etwas mit einem sehr klaren Blick auf die Wirklichkeit zu tun.

Und da wären wir bei den Kandidaten, die nach dieser WM ihren Abschied einreichen könnten. Es wird sich in diesen Fällen auch erweisen, wer einen ähnlich klaren Blick auf die Wirklichkeit hat wie Mertesacker. Sami Khedira hat dieses Talent viele Jahre bewiesen. Da ging es allerdings vornehmlich darum, seinen Platz im internationalen Fußball zu definieren. Ganz entgegen beispielsweise der Ansicht vieler Anhänger von Real Madrid war Khedira auch vor drei Jahren noch ein Spieler internationaler Klasse. Damals ging er von Real zu Juventus Turin.

Unterdessen ist in einem goldenen Wort des späten Boris Becker der Zahn der Zeit auch am 31 Jahre alten Khedira „nicht spurlos vorübergegangen“. In Russland verkörperte der Mittelfeldspieler geradezu den mühseligen und behäbigen Stil des entthronten Weltmeisters. Für Khedira wird es Zeit, auf Wiedersehen zu sagen.

Mesut Özil (29) könnte durch die Diskussionen der jüngeren Vergangenheit zu Rücktrittsgedanken angeregt werden. Weil er aber nicht spricht, weiß das kein Mensch. Sein Vater Mustafa behauptet, es zu wissen. Er glaubt, dass der 29-Jährige in Russland beim 0:2 gegen Südkorea das letzte Spiel im Nationaltrikot gemacht hat. So verfahren wie die Situation zwischen Özil, dem Verband und einigen Fans zurzeit ist, liegt Özils Vater wohl richtig.

Thomas Müller (28) ist ein Jahr jünger als Özil. Doch die Formkurve des WM-Senkrechtstarters von 2010 zeigt deutlich nach unten. Sein Spiel hält mit den positiven Auftritten in der Öffentlichkeit nicht mehr Schritt. Von einem Rücktritt will Müller jedoch nichts wissen.

Sandro Wagner (30) wollte seiner Zeit auch mal voraus sein. Deshalb reichte er noch vor der WM seinen Rücktritt ein – aus Ärger darüber, dass er aus dem Aufgebot gestrichen wurde und nach einer großen Laufbahn mit acht Spielen. Das war dann eher amüsant.

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