Deutsch-deutsches Duell 1973, Teil 1 Fortunas denkwürdiges Europapokal-Erlebnis in Leipzig

Serie | Düsseldorf/Leipzig · Vor 50 Jahren begann die Saison, in der sich Fortuna zum ersten Mal für einen Europapokal qualifizierte. Im Achtelfinale kam es zum Kräftemessen mit DDR-Klub Lok Leipzig. In einer achtteiligen Serie widmen wir uns den teils skurrilen Umständen dieses Duells, vor allem der politischen Dimension.

Fortuna Düsseldorf - Das deutsch-deutsche Europapokal-Duell mit Lok Leipzig 1973 in Bildern
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Fortunas deutsch-deutsches Europapokal-Duell

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Foto: Horstmueller/HORSTMUELLER GmbH

Das Jahr 1973. Der Bundeskanzler hieß Willy Brandt, die beiden deutschen Staaten näherten sich dank des Grundlagenvertrags an. In der DDR regierte Erich Honecker als Staats- und Parteichef der Sozialistischen Einheitspartei (SED). Im Fußball tat sich Wundersames: Fortuna Düsseldorf hatte sich dank des dritten Platzes in der vor genau einem halben Jahrhundert begonnenen Saison der Fußball-Bundesliga erstmals für den Europapokal qualifiziert.

Die ersten beiden Runden des Uefa-Cups überstand die Mannschaft von Trainer Heinz Lucas gegen die Dänen von Naestved IF (1:0/2:2) und Admira/Wacker Wien aus Österreich (1:2/3:0). Dann zog die Uefa am 9. November 1973 als Gegner in der dritten Runde ausgerechnet Lokomotive Leipzig aus der DDR – und die Düsseldorfer damit zwangsläufig in den innerdeutschen Konflikt hinein. Zur Erinnerung: Im Jahr darauf, 1974, sollte die DDR ihre WM-Premiere ausgerechnet in der Bundesrepublik feiern.

Fortunas Offizielle wie Präsident Bruno Recht und Trainer Lucas waren nach der Auslosung bemüht, sich aufs Sportliche zu konzentrieren. Lok-Vorstandsmitglied Heinz Hering gaukelte nach außen hin Normalität vor: „Düsseldorf ist für uns ein Gegner wie jeder andere.“ Hinter den Kulissen hörte sich das anders an: „Die Klassenschlacht wird geschlagen.“ Das schrieb ein Oberst der Bezirksverwaltung Leipzig der sogenannten „Staatssicherheit“ („Stasi“) der DDR handschriftlich auf seinen Vortragsentwurf für den Einsatz zum Rückspiel in Leipzig. Minister Erich Mielke hob in seinem Befehl 35/73 „zur Sicherung der Fußball-Europacup-Spiele mit Beteiligung von DDR-Mannschaften“ die „hohe politische Bedeutung“ hervor.

Fortuna geriet in den Ost-West-Konflikt, ob sie wollte oder nicht. Die Stasi betrieb gewaltigen Aufwand, um Normalität vorzugaukeln. Um zu verhindern, dass nur ein einziger der rund 1000 „Touristen“, die zum Hinspiel nach Düsseldorf reisten, flüchtete. Um das Rückspiel politisch-operativ abzusichern sowie jegliche Provokation im Keim zu ersticken. Davon zeugen Aktenberge im Stasi-Unterlagen-Archiv. Unsere Redaktion durfte 1001 Seiten in Kopie ansehen und auswerten. Sie stammen aus der Dienststelle Leipzig des Archivs, das inzwischen im Bundesarchiv integriert ist. Nach Archiv-Angaben gibt es sogar noch mehr Unterlagen zu den beiden Fußballspielen.

Die Dokumente eröffnen – bei aller Vorsicht hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit – den Blick in eine an Paranoia grenzende Überwachung eines Einsatzes unter dem Titel „Vorstoß I“. Das zeigt sich vor allem beim Rückspiel in Leipzig: Hier gerieten neben den etwa 1150 angemeldeten Düsseldorfer Fans auch die knapp 40 westdeutschen Journalisten, Fortunas Mannschaft und ihre Offiziellen inklusive eines mitgereisten SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Sauerland sowie das Schiedsrichter-Gespann und die eigenen DDR-Bürgerinnen und -Bürger ins Visier.

Die Heimatklubs der Fortuna-Profis
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Die Heimatklubs der Fortuna-Profis

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Foto: Moritz Mueller

Sogar die Überwacher sollten sich gegenseitig kontrollieren. Für die Staatssicherheit stellten die Uefa-Cup-Partien zwischen F95 und Lok Leipzig am 28. November in Düsseldorf (Endstand: 2:1 für Fortuna) und am 12. Dezember 1973 in Sachsen (Lok gewann mit 3:0, Fortuna schied aus) alles andere als eine Spaßveranstaltung dar. Die Stasi stattete ihre Spezialeinsatzkräfte mit Scharfschützengewehren, Pistolen und Kampfmessern aus.

Unsere Serie wird sich in den kommenden Tagen unter dem Motto „Fortuna Düsseldorf als politischer Spielball im innerdeutschen Konflikt 1973“ der Aufbereitung der Stasi-Akten widmen. Dabei zeigt sich, warum die Fortuna-Mannschaft das Rückspiel auf dem Rasen so deutlich verloren haben könnte, was der DSC 99 mit der Partie zu tun hat, was die DDR-Führung beim Hinspiel, im Vorfeld der WM 1974, in Ratingen testete, warum die Stasi auf Schlagertexte achtete und Fortunas Spielausschuss-Mitglied Werner Faßbender in ihr Visier geriet, welche Rolle ein „Romeo-Agent“ spielte, woher die Stasi Informationen aus dem Kreis der Lok-Spieler bezog.

Fortuna Düsseldorf: Diese Personen sitzen im Aufsichtsrat
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Diese Personen sitzen in Fortunas Aufsichtsrat

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Foto: Christof Wolff

Thema wird aber auch sein, wie sich die DDR-Organisationen während des Einsatzes gegenseitig misstrauten, wie lückenlos die Überwachung aller Zielgruppen ablief, warum die Stasi trotz durchgetakteten Programms für die Fortuna-Fans in 112 Leipziger Gaststätten inoffizielle Mitarbeiter platzierte, wie im Zentralstadion fast 5000 Einsatzkräfte von Polizei und Stasi 80.000 Zuschauern gegenüber standen, wie ein als Weihnachtsmann verkleideter Fortuna-Fan, der später offiziell in Vereinsdiensten stand, und ein im Charterflugzeug – als Anhänger getarnter – mitgereister Mann aus Rodenkirchen mit einer Kleinkaliber-Pistole und einem Ehedrama die Stasi verrückt machten.

Ein mitgereister Fortuna-Fan sagte unserer Redaktion in der Rückschau auf das Uefa-Cup-Rückspiel in Leipzig: „Die IMs waren auffällig unauffällig.“ Ein Zitat, das Bände spricht.

Lesen Sie morgen den zweiten Teil unserer Serie über das deutsch-deutsche Duell.

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