Prag Wie die tschechische Stasi Jagd auf Flüchtlinge machte

Prag · Es gibt immer noch weiße Flecken in der kommunistischen Vergangenheit Tschechiens: Erst jetzt wurde bekannt, dass der Geheimdienst im Kalten Krieg sogar absichtlich falsche Grenzen zog, um Flüchtlinge in die Falle zu locken.

Im Februar 1948 putschten sich die Kommunisten in der Tschechoslowakei an die Macht, Tausende Menschen verließen das Land Richtung Westen. Viele der Flüchtlinge fasste das Regime des "Arbeiterpräsidenten" Klement Gottwald, genannt der böhmische Stalin, mit einer perfiden Methode: Bis 1951 zogen an mehreren Stellen zur Bundesrepublik Deutschland und Österreich Geheimpolizisten der Statni bezpecnost (StB) eine falsche Grenze, bis zu 50 Kilometer landeinwärts von der tatsächlichen Demarkationslinie. Falsche Verwaltungsgebäude, Schranken, Grenzsteine, Schilder und StB-Polizisten in Uniformen der westlichen Alliierten täuschten perfekte Übergänge in den Westen vor.

So wollte man Flüchtlinge glauben lassen, sie befänden sich bereits in Freiheit. Bereitwillig gaben die Ahnungslosen auf Fragen der falschen Grenzer Namen von Freunden, Bekannten und Nachbarn preis, die ebenfalls das Land verlassen wollten. Danach lockten die als Amerikaner, Briten und Franzosen verkleideten Geheimdienstler die Flüchtlinge in Fahrzeuge und karrten sie stundenlang herum. Als sie merkten, dass sie in eine Falle getappt waren, war es längst zu spät.

"Viele dieser Menschen wurden anschließend verurteilt", sagt Pavel Bret, Abteilungsleiter für Aufklärung kommunistischer Verbrechen im Prager Innenministerium. Das Schicksal der Republikflüchtlinge sei ein "absolut weißer Fleck" in der Vergangenheitsforschung. Die Opfer hätten bislang geschwiegen, weil sie sich schämten, unbeabsichtigt oder durch Erpressung andere Menschen denunziert und der Willkürjustiz ausgeliefert zu haben. Bis 1989 haben tschechoslowakische Grenzer mehr als 300 flüchtende Regimegegner erschossen, tausende wurden interniert und nach Schauprozessen zu hohen Haftstrafen verurteilt oder hingerichtet. Im Umsturzjahr 1989 fand man laut dem Prager "Institut für das Studium der totalitären Regime" in den StB-Archiven rund 70 000 Akten.

Während viele Opfer noch heute auf ihre Anerkennung als politisch Verfolgte warten müssen, haben viele ehemalige Stasi-Polizisten ein gutes Einkommen und blieben bis heute von Gerichten unbehelligt. Der Historiker Igor Lukas sagte der zur Rheinische Post Mediengruppe gehörenden Prager Zeitung "Mlada fronta Dnes", er kenne zwei dieser falschen Grenzpolizisten, "sie leben in Luxus". 23 Jahre nach der Wende müsse die tschechische Justiz – die Slowaken haben seit 1993 einen eigenen Staat – in der Lage sein, "diese Verantwortlichen vor Gericht zu bringen". Über die "Operation Grenzstein", wie das Täuschungsmanöver intern bezeichnet wurde, gebe es rund 10 000 Seiten Material, das nun aufgearbeitet werden müsse. Tschechische Bürger können seit 1996 Einsicht in die Akten nehmen, doch viele davon blieben bisher unter dem Siegel der Staatssicherheit verschlossen.

(RP)
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