Neonazi-Problem Schwerpunkt der Neujahrsansprachen Thierse kündigt konzertierte Aktion gegen rechte Gewalt an

Berlin/Karlsruhe (dpa). Mit der ganzen Härte des Gesetzes wollen Bund und Länder im neuen Jahr gegen die zunehmende Gewalt von Rechts vorgehen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) rief zugleich zur Überwindung von Gleichgültigkeit und Vorurteilen in der Gesellschaft auf, die den Boden für rechte Kriminalität bereiten. Hochgerechnet auf das ganze Jahr 2000 hat es in Deutschland wahrscheinlich über 12 000 solcher Fälle gegeben.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erwartet noch für Januar den Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD. Antragsteller sind die Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.

Die konzertierte Aktion gegen rechte Gewalt soll von allen gesellschaftlichen Gruppen mitgetragen werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte in seiner Neujahrsansprache erklärt: "Die Unbelehrbaren, deren Ausländerhass sich inzwischen gegen jeden richtet, der auch nur fremdländisch aussieht, diese Banden haben in unserem Staat und in unserer Gesellschaft keine Chance."

In den ersten neun Monaten des Jahres 2000 hatte sich die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten in Deutschland auf insgesamt rund 10 000 erhöht - nach den Worten von Innenminister Otto Schily (SPD) "deutlich mehr" als im Vorjahreszeitraum.

Noch 1999 waren laut Verfassungsschutzbericht die Straftaten mit erwiesenen oder zu vermutenden rechtsextremistischen Hintergrund rückläufig (1997: 11 719; 1999: 10 037). Der Anstieg in diesem Jahr sei jedoch drastisch, hieß es im Innenministerium.

Dies veranlasste auch Ministerpräsidenten der Länder zu eindeutigen Appellen an die Bevölkerung. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) sagte zum Jahreswechsel: "Stellen wir uns quer, wenn braunes Gesindel die Würde von Ausländern oder Menschen jüdischen Glaubens mit Springerstiefeln tritt."

Nach den Worten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) muss die Politik in Deutschland verhindern, dass die Schwachen in der Gesellschaft nach rechtsaußen abwandern. "Wir müssen die Befürchtungen der Bürger ernst nehmen, zu den Modernisierungs-Verlieren zu gehören und an den Rand gedrängt zu werden", sagte Teufel in einem dpa-Gespräch. Durch die Lösung von Sachproblemen könnten Protestwähler vom harten Kern der Rechtsextremen getrennt werden.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte über Neujahr das Engagement der deutschen Politik gegen rechte Gewalt. Es sei ermutigend, dass sich hohe Repräsentanten konsequent gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass engagierten, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Hakki Keskin.

Thierse sagte in seiner Neujahrsansprache, Gleichgültigkeit und Vorurteile gehörten zu den Ursachen von rechtsextremistischen Untaten und Verbrechen. Es sei notwendig, vor allem bei jungen Menschen Achtung vor dem Anderen und Toleranz gegenüber dem anders Denkenden zu entwickeln. Zuvor hatte er bereits schnellere Prozesse mit eindeutigerem Urteil gefordert.

(RPO Archiv)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort