Straßenblockaden gegen Verschwendung Politik erteilt Essens-Rettern Abfuhr

Analyse | Berlin · Ein erstes Ultimatum ließen Politiker verstreichen, ein zweites folgte prompt. Die Aktivisten von „Essen retten“ wollen weiter Widerstand leisten. In der Ampel stößt dies auf Kritik, auch wenn man das Ziel teilt - die Lebensmittelverschwendung soll reduziert werden.

Die Straßenblockaden der Initiative „Letzte Generation“ sorgten in den vergangenen Wochen für viel Ärger. Es soll weitergehen.

Die Straßenblockaden der Initiative „Letzte Generation“ sorgten in den vergangenen Wochen für viel Ärger. Es soll weitergehen.

Foto: dpa/Paul Zinken

Seit Wochen sind die Aktivisten der Initiative „Aufstand der letzten Generation“ unter dem Slogan „Essen retten - Leben retten“ unterwegs, sie kleben sich auf Fahrbahnen fest, blockieren in Berlin und anderen Städten immer wieder Autobahnen und Hauptverkehrsadern. Zum Ärger vieler Bürger. Jetzt stellten die Protestler der Politik ein Ultimatum – und erhielten prompt eine Abfuhr. Der Gegenwind wird stärker.

Nachdem man tags zuvor noch Essensreste aus Supermarktmülltonnen vor das Bundesjustizministerium und Pferdemist ins Foyer des Landwirtschaftsministeriums gekippt hatte, setzte man am Mittwoch die Aktionen vorerst aus. Die führenden Ernährungspolitiker der Ampel-Koalition, dazu die Minister Cem Özdemir (Ernährung) und Marco Buschmann (Justiz) sowie Kanzler Scholz hatte man ultimativ zum Gespräch vor den Reichstag gebeten. Doch keiner kam.

Also stellten die Aktivisten ein neues Ultimatum – man sei die letzte Generation, die den Klimanotfall noch aufhalten könne, hieß es. Bis Sonntagabend solle sich die Bundesregierung jetzt zu den Forderungen einer Kursänderung äußern und die Umsetzung eines „Essen-Retten-Gesetzes“ zusagen. Inklusive der Aufhebung des Verbots des Containers, also Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten zu holen, inklusive der Verpflichtung der Läden, noch genießbares Essen zu spenden. Ansonsten werde man wieder zivilen Widerstand leisten, „anfällige Infrastruktur wie Häfen und Flughäfen“ stören. Die Aktivisten versprachen aber auch: „Wir machen Rettungsgassen für Blaulicht weiter frei.“

Die Politik streckt freilich in einem Dilemma, die Ampel im Allgemeinen, die Grünen im Besonderen. Die Erwartungen an die Klimapolitik der neuen Koalition sind groß, aber bisher noch längst nicht erfüllt. Die Aktivisten gehören zudem durchaus zur Klientel der Grünen, die mit Blick auf Verschwendung und Klima auch noch entscheidende Ministerien führen: Ernährung/Landwirtschaft und Umwelt/Naturschutz. Umweltministerin Steffi Lemke sorgte prompt für Ärger, als sie die Proteste auf der Berliner Stadtautobahn A 100 als legitim bezeichnete. Kurz danach ruderte sie wieder zurück. Und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte zwar, auch er wolle die Lebensmittelverschwendung reduzieren und sei gesprächsbereit, weil man ja „an einem Strang“ ziehe. Doch miteinander geredet hat man halt noch nicht.

Die Ziele stoßen in der Ampel zwar auf Gehör, die Methoden aber nicht. Die Ernährungsexpertin der Grünen, Renate Künast, sagte unserer Redaktion, sie habe ein persönliches Gespräch angeboten, um die Maßnahmen rund um die Lebensmittelverschwendung zu diskutieren. „Die Aktionen der Klima-Aktivisten haben allerdings den Fokus der Debatte auf ihre Demonstrationsweisen verschoben. Davon möchte ich das angebotene Gespräch unbedingt trennen“, kritisierte Künast. Klar sei: „Wir werden mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und Erleichterung für Spenden ermöglichen.“ Das derzeitige Ausmaß sei „nicht akzeptabel und schadet massiv Umwelt und Klima“, ergänzte Künast.

Auch die ernährungspolitische Sprecherin der SPD, Susanne Mittag, kam nicht zum Reichstag. Sie betonte, man habe kommende Woche einen Gesprächstermin. Ein Großteil der Forderungen habe die SPD bereits 2020 beschlossen, so Mittag zu unserer Redaktion. „Inhaltlich sind wir also in vielem einig und werden uns dafür einsetzen. Was wir aber nicht unterstützen können, ist die Form des Protests, die Autobahnblockaden, die zudem dazu führen, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für dieses Thema schwindet“, so Mittag. In einer Demokratie müsse man die verschiedensten Interessen unter einen Hut bringen. „Und das heißt vor allem: Mehrheiten organisieren.“ Zweifellos sei die Lebensmittelverschwendung aber eine dramatische Ressourcenvergeudung mit weltweiten negativen sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgen. „Denn für die Produktion dieser Lebensmittel wird das Klima belastet“, erläuterte Mittag.

An diesem Donnerstag wird sich der Bundestag auf Antrag der Union in einer Aktuellen Stunde mit den Straßenblockaden beschäftigen. Fraktionsvize Steffen Bilger sagte auf Nachfrage: „Wir stehen alle in der Pflicht, weniger Lebensmittel zu verschwenden.“ Der Zweck heilige aber nicht die Mittel – „illegale Protestaktionen, die teilweise auch Leib und Leben gefährden, sind kein Kavaliersdelikt“, so Bilger weiter.

(has)
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