Ende der Corona-Maßnahmen Deutschland macht sich locker
Analyse | Berlin · Am 20. März sollen fast alle Corona-Regeln fallen. Die Länder pochen danach auf einen Basisschutz. Scholz muss die FDP davon wohl noch überzeugen. Fehlt ihm wie bei der Impfpflicht in der Ampel volle Prokura?
Beim Dreisprung in die Freiheit waren sich alle einig. Der Kanzler und die 16 Länder. In drei Stufen sollen bis und mit dem 20. März fast alle Corona-Beschränkungen aufgehoben werden. Volle Stadien, volle Kneipen, Lachen, Singen, draußen ohne Maske, ein Leben wie vor Corona. Man mag es kaum glauben. Olaf Scholz wurde da emotional. Er schaute nach rechts zu NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, nach links zu Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey, um als Bürger Scholz einfach mal sein Herz zu öffnen: „Irgendwie haben wir es alle nach diesen zwei langen Jahren verdient, dass es etwas besser wird.“ Jeder sehne sich nach Lockerungen und Normalität, auch er, der Kanzler.
Deutschland sei ordentlich durch die Omikron-Welle gekommen. Doch bei aller Zuversicht dürfe man „nicht unvorsichtig“ werden: „Die Pandemie ist eben noch nicht vorbei“, sagte Scholz. Jeder Piks, jede Impfung sei deshalb wichtig - und die allgemeine Impfpflicht, für deren Einführung Scholz um eine Mehrheit im Bundestag bangen muss. Für den nächsten Herbst und Winter werde sie notwendig sein, „wenn das Wetter wieder kälter, die Zeit dunkler“ und die Infektionen wieder zunehmen würden. Scholz wird Stimmen der Union brauchen. CDU-Frontmann Friedrich Merz will mit der SPD nach einem Kompromiss suchen. Bekommt Scholz eine abgespeckte Impfpflicht, die Union dafür ein Impfregister? Wird es einen Vorratsbeschluss geben, die Pflicht also erst zum Herbst nach Bedarf scharf gestellt? Das wäre für neue Wellen und Mutationen zu spät, warnen Experten und Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Doch wie geht es nach dem großen Lockern ab dem 20. März überhaupt weiter? Hier offenbarten sich beim Gipfel erhebliche Differenzen. Noch nie platzierten einzelne Länder in einem Corona-Beschlusspapier so viele Protokollerklärungen - immer Zeichen von Protest und Streit. So pochten vor allem die unionsgeführten Länder, darunter NRW, „Öffnungen mit Achtsamkeit“ zu verbinden, wie Wüst das formulierte. So sollen Bundesregierung und Bundestag das am 20. März auslaufende Infektionsschutzgesetz verlängern und so einen Instrumentenkasten mit Masken, Abstand, 2G- und 3G-Regeln und Tests in Schulen, Kitas und Hotspots erhalten, falls die Pandemielage sich etwa mit der Omikron-Variante BA.2 wieder verschärft. Stand heute würden „alle Maßnahmen nach dem Stichtag wegfallen“, warnte Wüst. Man dürfe „nicht alles hoppla hopp über Bord werfen“. Giffey bestätigte das. Sie sprach von einem „Sanikasten im Kofferraum“, um notfalls auf neue Ausbrüche reagieren zu können. Scholz sagte das in der Runde zu - aber mit einer gewichtigen Einschränkung, wie aus Unionskreisen überliefert wurde und Scholz in der Pressekonferenz selbst erklärte. Er wolle sich persönlich dafür verwenden, dass im Infektionsschutzgesetz diese Anliegen der Länder nach Frühlingsbeginn aufgegriffen würden. Nur verwenden? Hat Scholz, wie bei der Impfpflicht, erneut keine volle Prokura im eigenen Koalitionshaus? Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sagte zu Scholz in der Runde: „Ich bin verunsichert.“ Sicher mit Augenzwinkern. Denn zuletzt war es Söder, der mit seiner angedrohten Nichtumsetzung (die er jetzt abschwächte) der von der Union im Dezember mit beschlossenen Impfpflicht in Heimen und Kliniken ab 15. März für bundesweite Verunsicherung gesorgt hatte. Nun aber ist die FDP vom geforderten „Basisschutz“ nach dem 20. März gar nicht überzeugt. Die Liberalen wollen das Datum gern als einen „Freedom Day“ verkaufen. Weiterlaufende Einschränkungen würden das konterkarieren. FDP-Fraktionschef Christian Dürr teilte am Abend mit, er freue sich, dass die Ministerpräsidenten den gleichen Kurs wie die FDP einschlügen. Dann kommt das große Aber: „Denkbar ist für uns, Regelungen zu treffen, die eine Verlängerung der Maskenpflicht erlauben.“ Nur Maske, aber nicht mehr die Option 2G oder 3G. Es sei Pflicht und Aufgabe der Politik, Einschränkungen zurückzunehmen, wenn sie der Virusbekämpfung nicht länger dienten. „Nicht die Wiederherstellung von Freiheitsrechten muss begründet werden, sondern ihre Einschränkung - denn Freiheit muss selbstverständlich sein“, so Dürr.
Scholz kann den „Freedom Day“, diesen Boris-Johnson-Begriff, nicht ausstehen. Das werde dem Ernst der Lage nicht gerecht, keiner wolle am 20. März eine Party, erklärte er. Weil er die Zweifel in den Gesichtern der Reporter las, bewegte sich der Kanzler in Richtung einer Zusage, dass die Ampel beim Notfallschutz liefern werde. Das werde mit “breiter Regierungsmehrheit“ beschlossen, „darauf kann sich jeder verlassen“, es werde ein Gesetzgebungsverfahren geben, an dessen Ende ein „hoch effektiver Basisschutz“ stehe: „Und das ist auch gut so“, schloss Scholz mit einem - sicher unbeabsichtigten - Wowereit-Zitat. Abwarten, was die FDP macht. Durchsetzungsvermögen besitzt der Kanzler, wie sein Machtpoker mit Putin in der Ukraine-Krise im Kreml gezeigt hat. Nach dem Glanzstück auf der Weltbühne ist er ruckzuck wieder im nationale Corona-Dickicht gelandet. Denn neben dem „Freedom Day“ am 20. März schielen alle Beteiligten schon auf ein anderes Datum: Am 27. März wird im Saarland gewählt.