Containern statt Verschwendung „Wir stehlen nicht, wir retten Lebensmittel“

Köln/Düsseldorf · Es ist strafbar, Lebensmittel aus Abfallcontainern mitzunehmen – Hamburgs grüner Justizsenator will das „Containern“ jetzt legalisieren. Nordrhein-Westfalens Justiz will aber alles so lassen, wie es ist.

 Tonnenweise Lebensmittel landen im Müll. (Archivbild)

Tonnenweise Lebensmittel landen im Müll. (Archivbild)

Foto: dpa/Patrick Pleul

Wer weggeworfenes Obst, Brot oder Joghurt mit abgelaufener Mindesthaltbarkeitsdauer aus dem Müllcontainer eines Supermarktes fischt, ist ein Dieb, weil rein rechtlich auch Abfall einem Eigentümer zuzuordnen ist. Das sogenannte „Containern“ ist also verboten. Im Januar wurden zwei Studentinnen in Bayern dafür verurteilt. Die Strafe: acht Stunden Sozialarbeit und 225 Euro Geldstrafe auf Bewährung. Das Urteil stieß bei vielen auf Unverständnis.

„Wir stehlen nicht, wir retten Lebensmittel“, sagt eine Frau aus Meerbusch, die eine Zeit lang regelmäßig jede Menge gutes Gemüse und Obst aus Supermarkt-Mülltonnen zog. „Einmal haben wir 40 Bananen mitgenommen und daraus Bananenbrot gemacht, das kann man gut einfrieren“, sagt die 41-Jährige, die als Lehrerin arbeitet. Es ging ihr bei den Aktionen nicht ums Geld sparen, sondern darum, das Essen zu verwerten und sich einen „Überblick zu verschaffen, was eigentlich alles so weggeworfen wird“, wie sie sagt. „Und das ist jede Menge.“ Nach Berechnungen der Universität Stuttgart landen in Deutschland jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die Umweltorganisation WWF geht sogar von jährlich mehr als 18 Millionen Tonnen verschwendeter Lebensmittel aus. Containerer werden auch Mülltaucher genannt. Sie verstehen ihre Aktionen als stillen Protest gegen die kapitalistische Wirtschaft und als Boykott der so genannten Wergwerfgesellschaft.

Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) will sich nun für eine Legalisierung des Containerns einsetzen, wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ am Freitag berichtet. Es könne nicht sein, dass tonnenweise Lebensmittel weggeworfen und Menschen bestraft werden, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzten, sagte er der Zeitung. Steffen habe einen Antrag vorbereitet, den er in die Konferenz der Justizminister der Bundesländer einbringen will. Neben der Definition von weggeworfenen Lebensmitteln als sogenannte „Eigentumsaufgabe“ werde Steffen alternativ ein Wegwerfverbot für Supermärkte vorschlagen, hieß es. Im April hatte die Bundestagsfraktion der Linken die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, das Einsammeln weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern künftig straffrei zu stellen und einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen.

Nordrhein-Westfalen will allerdings vorerst an dem Verbot festhalten. Ein Sprecher des NRW-Justizministeriums sagt: „Wir halten die Regelung, so wie sie derzeit ist, für sinnvoll. Es geht auch darum, die Verbraucher zu schützen, weil die Qualität der Lebensmittel in den Müllcontainern nicht garantiert werden kann.“ Beim Beschaffen der Lebensmittel kämen auch oft weitere Straftatbestände hinzu, wie etwa Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung, wenn Zäune aufgebrochen oder Schlösser beschädigt würden. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) hält die Verschwendung von Lebensmitteln „ethisch, ökologisch und ökonomisch für fatal“, wie sie sagt. „Grundsätzlich ist daher jede Maßnahme zu begrüßen, die hilft, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen.“ Auch sie weist auf Fragen zur Hygiene und Lebensmittelsicherheit hin, die neben der juristischen Klärung gestellt werden müssten. Oberstes Ziel müsse es daher sein, dass Lebensmittel nicht mehr weggeworfen werden. „Hier sind Handel und Verbraucher gleichermaßen gefordert. So dürfen Verbraucher zum Beispiel kurz vor Ladenschluss beim Bäcker keine vollen Ladentheken erwarten“, sagt Heinen-Esser.

Zahlen zu laufenden Strafverfahren oder erstatteten Anzeigen gibt es nicht, da die Kriminalstatistik das Containern nicht extra aufführt. Containerer wie die Lehrerin aus Meerbusch haben die Erfahrung gemacht, dass sie von manchen Supermärkten „geduldet“ werden, also niemand Anzeige erstattet. „Meine Freundin und ich hatten den Eindruck, dass es den Mitarbeitern unangenehm war, uns an den Tonnen zu sehen, sie eher peinlich berührt waren. Angesprochen haben sie uns nicht.“

Kristina Schütz ist Sprecherin der Rewe Group. Sie sagt: „Es kommt bei unseren Märkten eher selten zum Containern.“ Was natürlich auch daran liegen kann, dass auf den gesicherten Geländen die Tonnen schwer zugänglich sind. Zum Vorstoß des Hamburger Justizsenators sagt sie: „Wir begrüßen ausdrücklich, dass über das Thema Lebensmittelverschwendung breit diskutiert wird.“ Die Rewe-Märkte und Penny-Discountfilialen engagierten sich seit Jahren dafür, dass so wenig Lebensmittel wie möglich vernichtet werden. Bis zu 99 Prozent würden inzwischen verkauft – „das Gros des verbleibenden Prozents stellen wir den bundesweit mehr als 940 lokalen Tafel-Initiativen kostenlos zur Verfügung“, sagt Schütz. Dazu gehörten frische und unverpackte Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Milch oder Joghurt. „Nicht an die Tafeln gegeben werden Lebensmittel, die verdorben sind, die ein Verbrauchsdatum haben wie Frischfleisch oder Fisch“, sagt Schütz. Diese Lebensmittel müssten entsprechend der gesetzlichen Vorschriften entsorgt werden. Sie gibt zu bedenken, dass in den Supermarkt-Containern auch immer Waren sein können, die aus Rücknahmen stammen. „Das kann der Mülltaucher aber nicht erkennen“, sagt sie. Die Betreiber seien deshalb angehalten, die Müllcontainer entsprechend zu sichern.

Ähnlich läuft es bei Aldi Süd. „Die Abfallbehälter an unseren Filialen sind lediglich für unsere Mitarbeiter zugänglich“, sagt eine Sprecherin der Unternehmensgruppe. Fast alle 1910 Filialen kooperierten mit den örtlichen Tafeln oder anderen sozialen Einrichtungen. „Lebensmittel, die nicht mehr zum Verzehr geeignet sind, können wir sozialen Einrichtungen nicht zur Verfügung stellen. Sie werden als Bioabfall fachgerecht entsorgt.“ In manchen Regionen würden sie auch an Landwirte oder Einrichtungen wie Tierheime als Futtermittel weitergegeben. Zur Gesamtmenge der anfallenden Lebensmittelreste möchte das Unternehmen keine Angaben machen.

Andere EU-Staaten gehen bereits per Gesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vor: In Frankreich etwa sind Supermärkte mit einer Fläche von mehr als 400 Quadratmetern seit 2016 verpflichtet, eine Partnerschaft mit einer Hilfsorganisation abzuschließen, die unverkaufte Lebensmittel abnimmt.

Die Lehrerin aus Meerbusch hilft inzwischen bei einer Foodsharing-Initiative mit, „ganz legal“, wie sie sagt. Auf einem Hof in Kaarst sammelt sie regelmäßig das ein, was auf dem Feld zurückbleibt und vergammeln würde. „Einen Teil behalte ich, einen Teil verschenke ich“, sagt sie. Im Kölner Geschäft „The Good Food“ werden Lebensmittel verkauft, die die Betreiberinnen in Kooperation mit Landwirten und Produzenten vor dem Müll gerettet haben. Feste Preise gibt es nicht, jeder Kunde zahlt, was ihm die Lebensmittel wert sind.

Mit Material der dpa

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