Olaf Scholz Der Risikokandidat

Analyse | Berlin · Olaf Scholz gilt fast schon als gesetzt für die Kanzlerkandidatur der SPD. Kritiker sind angesichts der Popularität des Finanzministers nahezu verstummt. Oder läuft doch nicht alles auf den Vizekanzler hinaus?

 Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, während einer Pressekonferenz zum Konjunkturprogramm im Juni 2020.

Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, während einer Pressekonferenz zum Konjunkturprogramm im Juni 2020.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Eigentlich ist Olaf Scholz Ende Mai damit beschäftigt, den entscheidenden Koalitionsgipfel für das bislang größte Konjunkturprogramm der bundesdeutschen Geschichte vorzubereiten. Die Corona-Krise erfordert einen „Wumms“ in dreistelliger Milliardenhöhe, wie Scholz das Beschlusspapier mit 57 Punkten eine knappe Woche später nennen wird. Der Bundesfinanzminister und Vizekanzler muss in diesen Tagen die Verhandlungslinie der SPD abstimmen und mit der Union mögliche Kompromisslinien ausloten.

Doch an diesem sonnigen Freitag hat Scholz noch einen anderen Termin: Er sitzt mit 1,50 Meter Abstand zu Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke in der SPD-Landeszentrale in Potsdam und verkündet, dass er bei der nächsten Bundestagswahl direkt gewählter Abgeordneter für seinen neuen Wohnort an der Havel werden möchte. Nach der Niederlage gegen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken im Rennen um den SPD-Vorsitz Ende 2019 ist dies der erste Auftritt, bei dem es direkt um die politische Zukunft des Olaf Scholz geht. Und – so wünscht es sich der 62-Jährige – um den Auftakt zu etwas Großem.

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Olaf Scholz soll SPD-Kanzlerkandidat werden. Das denken viele Spitzengenossen, sie sagen es teils laut und auch die Parteibasis ist nach Ansicht führender Strategen mehrheitlich davon überzeugt. Der frühere Innensenator Hamburgs, SPD-Generalsekretär, Bundesarbeitsminister und langjährige Bürgermeister der größten deutschen Hafenstadt bringt die meiste Führungs- und Regierungserfahrung aller aktuellen Spitzengenossen mit. Scholz ist der beliebteste SPD-Politiker des Landes und belegt im aktuellen „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen Rang drei. Nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) liegen vor ihm.

 Parteichef Norbert Walter-Borjans (l.) und Finanzminister Olaf Scholz im Januar bei der Jahresauftaktklausur der SPD-Bundestagsfraktion.

Parteichef Norbert Walter-Borjans (l.) und Finanzminister Olaf Scholz im Januar bei der Jahresauftaktklausur der SPD-Bundestagsfraktion.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Und noch etwas spricht für ihn: Scholz blieb nach der bitteren Niederlage gegen Esken und Walter-Borjans im Amt, er stürzte sich in die Sacharbeit und lieferte als Finanzminister ab. Dafür zollt ihm besonders die neue Parteispitze Respekt, der Scholz nicht in die Quere kam. Beide Seiten sprechen seit dem Frühjahr von einer engen und guten Zusammenarbeit. Und jetzt, in der Krise, kann Scholz als Minister seine Erfahrung voll ausspielen. Die Zeit, in der noch über mehrere Alternativkandidaten spekuliert wurde, scheint mit Blick auf die Diskussionen in der SPD vorbei. NRW-Landeschef Sebastian Hartmann sprach bereits vom „logischen Kanzlerkandidaten“. Denn tatsächlich machten weder Fraktionschef Rolf Mützenich noch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, die auch als Anwärter gehandelt wurden, irgendwelche Andeutungen, dass sie sich eine Kandidatur vorstellen könnten. Ob aber Saskia Esken und Walter-Borjans im September tatsächlich Scholz nominieren werden, ist noch offen.

Und auch wenn alle Vorzeichen auf Scholz deuten: Ohne Risiken wäre seine Kandidatur nicht. Wäre mit ihm überhaupt ein Bündnis von SPD, Grünen und Linken möglich, vielleicht sogar mit einer grünen Kanzlerin oder einem grünen Kanzler? Seine Unterstützer weisen die Skepsis gelassen zurück. Er habe auch mit den Grünen in Hamburg eine sehr linke Politik betrieben, argumentieren sie.

Angriffspunkte bietet Scholz aber auch der Union. Sie würden ihm als Kandidat die Niederlage gegen Esken und Walter-Borjans vorhalten und die Frage stellen, warum die Deutschen ihn zum Kanzler machen sollten, wenn schon die Sozialdemokraten ihn nicht an der Spitze wollten. Zudem muss Scholz eingestehen, dass seine Popularität der Partei bislang nichts brachte. Sie dümpelt in Umfragen immer weit unter der 20-Prozent-Marke umher.

Auch fachlich gibt es Kritik an Scholz: Er habe die traditionelle Rolle des Finanzministers als strenger Kassenwart des Bundes in der Corona-Krise komplett umgedreht, beklagen Haushaltspolitiker der Union. Scholz gebe das Geld mit vollen Händen aus. Was ihm in der SPD hilft, beobachtet der Koalitionspartner mit Sorge: Beim Geldausgeben auf die Bremse zu gehen, wäre im wieder beginnenden Aufschwung die Aufgabe des Finanzministers. Doch dafür werde sich Scholz nicht hergeben, so die Befürchtung in der Union.

 In dieser Woche beschließen Bundestag und Bundesrat Konjunkturpaket, Mehrwertsteuersenkung und den zweiten Nachtragshaushalt, der die Neuverschuldung auf einen Schlag von Null auf über 200 Milliarden Euro steigert. Das dürfte auch den aktuellen Wirecard-Skandal überdecken, sodass Scholz darauf hoffen darf, unbeschadet daraus hervorzugehen.

Dabei ist er politisch verantwortlich für das Versagen der ihm unterstellten Finanzaufsicht Bafin bei der Kontrolle der dubiosen Machenschaften beim Frankfurter Zahlungsabwickler. Die Bilanz von Wirecard wurde mit Luftbuchungen um 1,9 Milliarden Euro aufgebläht, doch niemand von außen hat es bemerkt: Nicht die Wirtschaftsprüfer, nicht die Finanzaufsicht und auch nicht das Finanzministerium. Dabei hatte die Londoner „Financial Times“ bereits im Oktober 2019 über Unregelmäßigkeiten in der Wirecard-Bilanz berichtet. Scholz’ Staatssekretär Jörg Kukies, ein ehemaliger Goldman-Sachs-Manager, hätte damals hellhörig werden und die Finanzaufsicht anweisen müssen, genauer auf Wirecard zu schauen. Scholz findet jetzt deutliche Worte: „Die Bafin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können“, sagte er am Mittwoch. Der Skandal werde Folgen für die Regeln der Finanzaufsicht haben. Auch da ist er wieder: Scholz, der sich als erfolgreicher Krisenmanager gibt.

Das wohl größte Risiko aber birgt die zum Erfolg verdammte Corona-Strategie des Finanzministers. Bleibt der „Wumms“ des Konjunkturpakets im Wahljahr aus, hätte Scholz lange vor der Abstimmung im Herbst erneut eine schwere Schlappe erlitten. So mag Scholz’ Kandidatur logisch erscheinen, ein Selbstläufer wäre sie nicht.

(jd/mar)
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