Parteitag in Berlin Gabriel: Die SPD ist wieder da

Sigmar Gabriel bleibt Chef der SPD. Auf dem Bundesparteitag erzielte er mit 91,6 Prozent der Stimmen ein achtbares Ergebnis. Zuvor traf er mit scharfen Attacken gegen die Kanzlerin und Streicheleinheiten für die Partei zielsicher den Nerv der Genossen. Die Kanzlerkandidaten-Frage müsse man "heiter und gelassen" beobachten, findet Gabriel.

 SPD-Chef Sigmar Gabriel zielt auf die Herzen der Genossen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel zielt auf die Herzen der Genossen.

Foto: dapd, Clemens Bilan

Wenn man die eigene Bilanz loben will, hilft das Prinzip der Vergemeinschaftung. Also lobt SPD-Chef Sigmar Gabriel gleich zu Beginn seiner zentralen Rede auf dem Parteitag in Berlin "alle Sozialdemokraten" für die gute Bilanz seit der Wahlschlappe 2009. Aber er meint natürlich auch sich selbst, als er sagt: "Wir haben hart gearbeitet und schließen heute die programmatische Neuausrichtung ab."

Es ist Gabriels Botschaft des Tages. Die SPD ist wieder da. Die SPD wird in Europa gebraucht. Die SPD kann es besser als Merkels Koalition. Vom "Wiederaufstieg der Partei" spricht er.

Die SPD als Schutzmacht

In seiner 90-minütigen Rede zeichnet der SPD-Chef das Bild einer Sozialdemokratie als europäische Schutzmacht der Menschen. Als verlässliche Alternative zu Schwarz-Gelb, als Partei, die die soziale Spaltung verhindern kann und das Land in ein Europa der Solidarität führt.

Keinen Zweifel lässt der 52-jährige daran, dass die SPD 2013 stärkste politische Kraft in Deutschland sein will. "Eine Partei, die 148 Jahre alt ist, kann nicht wieder Juniorpartner sein." Es geht Gabriel aber nicht nur um neues Selbstbewusstsein, sondern auch neue Glaubwürdigkeit. "Wir werden weniger versprechen, aber das was wir versprechen, werden wir halten", kündigt er an. Die schwarz-gelbe "Durchwurstelei" müsse jedenfalls ein Ende haben.

Gabriel zitiert zwei Jahre alte Kommentar

Genüsslich zitiert Gabriel die Zeitungskommentare nach der Wahlniederlage 2009. Von einem "langen Jammertal für die SPD und ewigen Flügelkämpfen" war darin die Rede. "Nichts davon ist so gekommen." Die Bilanz sei gut. "Acht Landtagswahlen. Acht Mal sind wir in der Regierung, vier Mal führen wir sie an. Das ist die Realität." Dass die SPD teilweise historisch schlechte Ergebnisse in den Ländern einfuhr, erwähnt er nicht. Den SPD-Länderchefs ruft er sogar zu: "Ihr habt der SPD ihren Stolz wiedergegeben."

Massiv kritisiert der SPD-Chef sodann die geplanten Steuersenkungen der Regierung und kündigte eine Blockade durch die Länder an. Lauthals wettert er gegen das von der CSU beförderte Betreuungsgeld. "Wie kann man auf die Idee kommen, zwei Milliarden dafür auszugeben, dass Kinder nicht in Kitas ausgebildet werden und nicht zum Sprachunterricht gehen?" CSU-Chef Horst Seehofer prophezeit Gabriel eine herbe Niederlage bei der nächsten bayerischen Landtagswahl.

Lieblingsziel der Attacken: die Kanzlerin

Immer wieder arbeitet sich der SPD-Chef an Merkel ab. Die Kanzlerin sei mit ihrem Zickzack-Kurs in der Europapolitik die würdige Nachfolgerin Adenauers, ätzt Gabriel und belegt das mit einem Satz des früheren Bundeskanzlers. "Was stört mich mein Geschwätz von gestern." Merkels Politik sei ein "Turbolader für Politikverdrossenheit".

Für die SPD hat Gabriel den Ort des gesellschaftlichen Antreibers vorgesehen. Seine Partei solle nicht vermeintlichen Mitte-Positionen hinterherlaufen, warnt Gabriel und erinnert damit an seine Nominierungsrede von 2009. "Die politische Mitte ist kein fester Ort." Die SPD müsse vielmehr mit ihren Positionen die Deutungshoheit über die gesellschaftliche Mitte erlangen. "Die Mitte in Europa ist Mitte links", ruft Gabriel.

Gabriel geht es um das große Ganze

Mit der Euro-Krise hält sich Gabriel im Gegensatz zu Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Vortag nicht lange auf. Es geht ihm um mehr. Eine humane Globalisierung, Weltfrieden durch das Zurückfahren der Rüstungsexporte, das Problem der Erderwärmung, die europäische Idee als Grundmuster einer weltweiten Völkerverständigung. Es ist ein Parforceritt durch die Weltpolitik, den Gabriel vornimmt. Spätestens während dieser Passagen wird den Delegierten klar: Da vorne auf der Bühne steht einer, der zeigen will, dass er intellektuell die großen Linien skizzieren kann und nicht mehr nur als "Haudrauf"-Politiker in Erscheinung treten will.

Scharf attackiert Gabriel die Finanzmärkte, die seiner Meinung nach die wahren Verursacher der Schuldenkrise seien. Es sei verheerend, dass ausgerechnet die deutsche Bundesregierung die Besteuerung der Finanzmärkte nicht vorantreibe. In Anlehnung an eine frühere Äußerung Merkels fasst Gabriel die sozialdemokratischen Konsequenzen aus der Krise in einem Satz zusammen. "Wir wollen keine marktkonforme Demokratie. Wir wollen einen demokratiekonformen Markt."

Populismus

Gabriel driftet aber auch immer wieder ins Populistische ab. Es gehe nicht um die Beruhigung der Finanzmärkte, sagt er an einer Stelle. "Ich will dass die Menschen ruhig schlafen." Die SPD sei der Experte für die Bändigung der Finanzmärkte, findet Gabriel, erwähnt die finanzpolitische Liberalisierungsoffensive der rot-grünen Regierung zwischen 1998 und 2005 aber natürlich nicht.

Im zweiten Teil seiner Rede widmet sich Gabriel in einem Rundumschlag den innenpolitischen Themen. Die Energiewende ("läuft nicht"), der Mindestlohn ("es geht um die Würde der Arbeit"), mehr Investitionen in Bildung, mehr Rechte für Menschen mit Behinderungen und den Kampf gegen den Rechtsextremismus ("Ja zum NPD-Verbot") werden erwähnt.

Aus Steuererhöhungen wird "sozialer Patriotismus"

Auch die von der SPD geplante Anhebung des Spitzensteuersatzes verteidigt Gabriel. Dabei gehe es nicht um eine Politik gegen Reiche. "Ich wäre auch sehr gerne reich", sagt Gabriel. Aber man müsse in der Krise um einen Beitrag derjenigen bitten, die mehr hätten. Dies sei kein Sozialneid. "Das ist sozialer Patriotismus." So schön hat lange keiner mehr Steuererhöhungen in Worte gekleidet. Der Applaus ist Gabriel sicher.

Natürlich bekommt auch die FDP ihr Fett ab. Sie sei inhaltlich ausgedörrt und zu einer Partei des "Schnäppchenjäger-Liberalismus" verkommen, ätzt Gabriel. Der wahre politische Liberalismus könne nur noch in der SPD eine Heimat finden. Die SPD sei die "Partei der Freiheit". Die FDP habe kein Lieferproblem, spottet er mit Blick auf die legendäre Äußerung des FDP-Chefs Philipp Rösler, sondern ein "Produktionsproblem".

Nach fast einer Stunde erwähnt er die K-Frage

Nach fast 60 Minuten kommt der SPD-Chef auch zum inoffiziellen Megathema des Parteitags, der Kanzlerkandidatenfrage. "Lasst uns das heiter und gelassen zur Kenntnis nehmen", mahnt Gabriel "Denn dann steht eines fest. Angela Merkel ist es nicht mehr." Gabriel müht sich das Schaulaufen der Kandidaten, zu dem er als Parteichef mit der entsprechenden Inszenierung des Parteitags ja beigetragen hat, abzumoderieren. "Hier gibt's kein Casting." Die SPD habe "mehr zu bieten als drei Männer", betont Gabriel und nennt seine beiden Stellvertreterinnen Hannelore Kraft und Manuela Schwesig. Er werde Ende 2012 oder Anfang 2013 einen Vorschlag machen. "Dann entscheidet die Partei und sonst niemand." Dass er selbst noch im Rennen ist, daran lässt Gabriel keinen Zweifel.

Einmal bekommt sogar Gabriels einstiger Förderer, Ex-Kanzler Gerhard Schröder einen mit, der sich per Interview am vergangenen Wochenende geäußert hatte, aber dem Parteitag fern geblieben war. Gabriel findet das wenig hilfreich. Und er wendet sich sogar gegen den am Vortag umjubelten Altkanzler Helmut Schmidt. Dessen Satz "Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen" sei falsch, sagt Gabriel. "Wer Visionen hat, muss zu uns kommen."

So viel Applaus wie Helmut Schmidt

Zum Schluss kann der Parteichef aber doch nicht umhin, nochmal auf die K-Frage einzugehen. Als er um das Vertrauen bei der Wiederwahl zum Parteivorsitzenden bittet, sagt er mit einem Schmunzeln. "Und nur dafür kandidiere ich heute." Sechs Minuten applaudieren die Delegierten ihrem Chef schließlich. Exakt so viel Applaus hat auch Altkanzler Schmidt bekommen.

Sigmar Gabriel nimmt es sichtlich dankbar entgegen, kokettiert damit, doch nicht zu lange zu klatschen und holt sich demonstrativ seine Generalsekretärin Andrea Nahles auf die Bühne. Die Versuche, auch Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier nach oben zu bitten, schlagen aber fehl. Das macht aber nichts mehr. Sigmar Gabriel kann sich die inszenierte Demut leisten. Als Parteichef ist der Niedersachse im Dezember 2011 unangefochten. Und als Kanzlerkandidat mehr denn je im Gespräch.

(pst)
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