Nach Eklat um Ministerpräsidentenwahl Steuert Thüringen jetzt auf Neuwahlen zu?

Erfurt · Deutschland hielt den Atem an, als Thomas Kemmerich in Thüringen mit Hilfe der AfD zum Regierungschef gewählt wurde. Drei Tage später tritt er zurück. Nun muss eine neue Regierung her. Und ein neuer Ministerpräsident. Doch weiteres Konfliktpotenzial zeichnet sich ab.

 Thomas Kemmerich ist nach drei Tagen im Amt zurückgetreten.

Thomas Kemmerich ist nach drei Tagen im Amt zurückgetreten.

Foto: dpa/Martin Schutt

Nach tagelanger bundesweiter Empörung über die politischen Vorgänge in Thüringen hat der neu gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) seinen Posten wieder abgegeben. Der Druck auf den Regierungschef war enorm, seit der 54-Jährige am Mittwoch mit Hilfe vom Stimmen der Thüringer AfD-Fraktion und ihrem Chef Björn Höcke ins Amt gehievt wurde.

Bereits einen Tag nach der Wahl stellte Kemmerich seinen Rückzug in Aussicht, wartete aber mit dem Vollzug. Am Freitag dann kündigte er an, der Ältestenrat des Landtages solle klären, wie eine „schnelle, geordnete Amtsübergabe“ funktionieren kann. Wieder einen Tag später trat Kemmerich ab - „mit sofortiger Wirkung“, wie es in einer Mitteilung der FDP-Fraktion hieß. Was bedeutet das für das weitere Vorgehen? Ein Überblick:

Ist Thüringen jetzt komplett ohne Regierung?

Nein. Es gibt zwar seit der Wahl Kemmerichs keine Minister mehr. Doch auch nach seinem Rücktritt bleibt der FDP-Politiker zunächst Ministerpräsident - allerdings nur geschäftsführend, und zwar solange, bis ein neuer Regierungschef gewählt ist. Die Fraktionen können jetzt eine neue Ministerpräsidentenwahl beantragen und Kandidaten vorschlagen. Kemmerichs Vorgänger Bodo Ramelow (Linke) hatte bereits angekündigt, dass er als Kandidat zur Verfügung steht. Ramelows Linke stellt aber auch Bedingungen in Richtung FDP und CDU: „Wir haben die Erwartungshaltung, dass Bodo Ramelow im ersten Wahlgang gewählt wird“, sagte Thüringens Linke-Vizechef Steffen Dittes. Thüringens Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow hatte betont, dass ihre Fraktion die Ministerpräsidentenwahl überhaupt nur dann beantragen wolle, wenn eine Mehrheit für Ramelow absehbar sei.

Kann Ramelow mit einer absoluten Mehrheit rechnen?

Diese Frage bleibt spannend. Die Linke besteht darauf. Doch Ramelows Wunschkoalition kommt im Parlament nur auf 42 Sitze. Für eine absolute Mehrheit sind 46 Stimmen nötig. Bisher haben FDP und CDU stets abgelehnt, Ramelow zu wählen. Die Thüringer CDU bekräftigte ihre Haltung in der Nacht zu Freitag sogar noch einmal. Nach einer Sitzung des CDU-Landesvorstandes gemeinsam mit der CDU-Fraktion hieß ein Ergebnis: „Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag wird einen von der LINKEN aufgestellten Ministerpräsidenten entsprechend ihrer Grundsätze nicht aktiv ins Amt wählen.“

Sind Neuwahlen des Parlaments mit dem Rücktritt Kemmerichs vom Tisch?

Nein, aber der Weg dahin könnte etwas langwieriger ausfallen. Nach Einschätzung des Jenaer Verfassungsrechtlers Michael Brenner kann Kemmerich als geschäftsführender Ministerpräsident keine Vertrauensfrage mehr stellen. Dies wäre aber ein gängiger Weg zu Neuwahlen gewesen. Wird nach einem erfolglosen Vertrauensvotum nicht binnen drei Wochen ein neuer Regierungschef gewählt, ist der Weg für Neuwahlen frei. Nach Kemmerichs Rücktritt wäre der nächste Schritt eine neue Ministerpräsidentenwahl. „Wenn die Fraktionen keine neue Ministerpräsidentenwahl beantragen, wären politisch Neuwahlen der logische Schluss“, sagte der Erfurter Politologe André Brodocz auf Anfrage. Für die Auflösung des Parlaments wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig - und damit auch Stimmen von AfD oder CDU. Die beiden Parteien haben aber bereits signalisiert, dass sie derzeit kein Interesse an Neuwahlen haben.

Könnte es auch eine Art Übergangslösung geben?

Ja, das ist denkbar. Ramelow könnte zunächst übergangsweise als Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung gewählt werden. Findet er mit seinem Bündnis dann im Parlament fortwährend keine Mehrheiten, um Gesetze auf den Weg zu bringen, könnte er selbst die Vertrauensfrage stellen. Der 63-Jährige brachte diese Variante in einem MDR-Interview selbst ins Spiel. Nach seiner Wahl zum Ministerpräsident könne er die Regierung berufen und dann könne über den nächsten Haushalt beraten werden. „Und wenn dann gewünscht wird, eine Neuwahl abzuhalten, dann bin ich gerne bereit, die Vertrauensfrage zu stellen“, sagte Ramelow.

(zim/dpa)
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