Nach dem Thüringen-Beben Erfurter Fraktion widersetzt sich der CDU-Chefin

Erfurt · CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer gelingt es nicht, die Thüringer Abgeordneten von Neuwahlen zu überzeugen. Auch FDP-Chef Lindner bleibt trotz überstandener Vertrauensfrage in der Kritik.

 Unter Druck: Annegret Kramp-Karrenbauer.

Unter Druck: Annegret Kramp-Karrenbauer.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Nach dem Debakel bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen steht die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zunehmend unter Druck. Der Parteichefin war es in der Nacht zum Freitag trotz stundenlanger Beratungen in Erfurt nicht gelungen, die CDU-Landtagsfraktion auf ihre Linie zu bringen und von Neuwahlen zu überzeugen. Die Fraktion beharrte darauf, zunächst eine parlamentarische Lösung der Regierungskrise ohne Neuwahlen durch Gespräche mit SPD, Grünen und Linken zu suchen. Die engere Parteiführung, das Präsidium der CDU in Berlin, gab Kramp-Karrenbauer am Freitagmorgen zwar Rückendeckung für ihren Kurs in der Thüringen-Krise. In der CDU gibt es jedoch auch namhafte Politiker wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, die Neuwahlen in Thüringen ablehnen. Dadurch würden nur die AfD und die Linke weiter gestärkt, sagte Laschet.

Ausgelöst wurde die Krise durch die Ministerpräsidentenwahl im Thüringer Landtag am vergangenen Mittwoch. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich hatte sich mit den Stimmen von CDU, FDP und der AfD zum neuen Regierungschef wählen lassen. Die CDU-Landtagsfraktion missachtete damit einen Parteitagsbeschluss, wonach die CDU jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Auch die FDP in Thüringen brach mit der Vorgabe aus Berlin, keine Kooperationen mit der AfD einzugehen.

Kemmerich gab am Donnerstag nur 24 Stunden später dem immensen Druck von FDP-Chef Christian Lindner nach und kündigte seinen Rückzug vom Ministerpräsidentenamt an. Die FDP strebt jetzt Neuwahlen an, braucht dafür jedoch im Landtag eine Zwei-Drittel-Mehrheit und die Unterstützung der CDU-Fraktion. Diese lehnte Neuwahlen jedoch ab. Dem musste sich die CDU-Vorsitzende beugen. Deshalb forderte die Bundes-CDU SPD und Grüne im Thüringer Landtag jetzt auf, eigene Ministerpräsidenten-Kandidaten als Alternative zum Linken Bodo Ramelow aufzustellen. Dies wiederum wiesen SPD und Grüne zurück und übten massive Kritik an der Union.

So reagierieren NRW-Politiker auf die Wahl in Thüringen
Infos

So reagierieren NRW-Politiker auf die Wahl in Thüringen

Infos
Foto: dpa/Michael Reichel

Obwohl sich seine Fraktion vorerst durchgesetzt hat, kann sich der Chef der CDU-Landtagsfraktion, Mike Mohring, nicht im Amt halten. Mohring kündigte seinen Rücktritt für kommenden Mai an. Sein Amt als CDU-Landesvorsitzender möchte er aber behalten. Mohring wird vorgeworfen, seine Fraktionskollegen im entscheidenden dritten Wahlgang am Mittwoch nicht an der Wahl Kemmerichs gehindert zu haben, obwohl das Risiko bestanden hatte, dass auch die AfD Kemmerich wählen würde.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte alle demokratischen Parteien, darunter auch die CDU in Thüringen, vor weiteren Streitigkeiten. „Die parteipolitischen Querelen und die Fixierung auf Personaldebatten, die jetzt wieder angestrengt werden, helfen niemanden“, sagte Schäuble unserer Redaktion. „Sie dürfen vor allem nicht davon ablenken, wie leichtfertig gewählte Repräsentanten im Thüringer Landtag mit unserem politischen System und seinen Institutionen gespielt haben. Alle Seiten stehen jetzt in der Pflicht, anstelle parteipolitischer Ränke ihre staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, damit die parlamentarische Demokratie nicht weiter Schaden nimmt“, sagte der 76-Jährige.

Schäuble betonte zur Lage der CDU: „Die Position ist eindeutig, das hat der Präsidiumsbeschluss noch einmal unterstrichen: Mit einer Partei, die sich von Rechtsextremisten nicht klar abgrenzt, gibt es für Christdemokraten keine Zusammenarbeit, weder in direkter noch in indirekter Form. Die Umstände in Thüringen zeigen, dass jedes Blinzeln nach Rechtsaußen der Union schadet.“

Kostenpflichtiger Inhalt Die Ministerpräsidenten-Wahl brachte auch FDP-Chef Lindner weiter unter Druck. Im Parteivorstand stellte Lindner am Freitag die Vertrauensfrage und erhielt breite Unterstützung. Lindner gestand jedoch eigene Fehler ein. Er habe die AfD in Thüringen falsch eingeschätzt, indem er davon ausgegangen war, diese würde ihren eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten und nicht Kemmerich von der FDP wählen. In einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa verloren CDU und FDP infolge der Krise massiv an Unterstützung. Die CDU fiel um zehn Prozentpunkte, die FDP würde bei Neuwahlen in Thüringen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr schaffen. Dagegen würden die Linke starke und die AfD geringe Zugewinne verbuchen.

Vor der Sitzung des Koalitionsausschusses am Samstag in Berlin hat unterdessen die SPD-Vorsitzende Saskia Esken Bedingungen für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der CDU genannt. Der thüringische Ministerpräsident Thomas Kemmerich müsse schnell zurücktreten, und die CDU müsse ein klares Bekenntnis abgeben, dass sie niemals mit einer faschistischen Partei zusammenarbeite oder sich dulden lasse. „Wir müssen wissen, mit wem wir es zu tun haben: Ist das noch die CDU, mit der wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben?“, sagte Esken im Düsseldorfer Landtag. Die Bundes-CDU müsse sagen, welche Absprachen es gab und ob sie sich durchsetzen könne gegen den Thüringer Landesverband. Zudem müsse der Ostbeauftragte Christian Hirte, der Kemmerich überschwänglich gratuliert hatte, abberufen werden. „Dieser Mann darf nicht mehr für diese Regierung sprechen“, sagte Esken.

Der Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans forderte überdies eine Entschuldigung der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. „Christian Lindner hat sich praktisch entschuldigt, das ist ein wichtiges Eingeständnis - das erwarten wir auch von Annegret Kramp-Karrenbauer“, sagte Walter-Borjans. Kramp-Karrenbauers Forderung, nun müssten SPD und Grüne in Thüringen einen Ministerpräsidenten-Kandidaten vorschlagen, wecke keine positiven Erwartungen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort