Pläne für Rot-Rot-Grün r2g — ein Code elektrisiert Berlin

Seit einigen Tagen schwirrt ein seltsamer Begriff durch die Hauptstadt. R2g. Dahinter verbirgt sich ein Gedankenspiel für eine Machtübernahme durch Rot-Rot-Grün. In den Rollen der Hauptdarsteller: Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD).

Sigmar Gabriels langer Weg an die Spitze
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Die Linken buhlen seit Wochen um die Gunst von SPD und Grünen. Mitte dieser Woche machte ihr Chef Bernd Riexinger via "Berliner Zeitung" das bisher weitreichendste Angebot und deutet eine Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung an — also eine Wahl eines Kanzlers Peer Steinbrück.

Am Donnerstag legte er nach und diente sich abermals der SPD an, nachdem Peer Steinbrück 100-Tage-Programm vorgestellt hatte: "Dieses Programm ist Science Fiction, solange die SPD an der Ausschließeritis nach links festhält", sagte Riexinger unserer Redaktion. Wenn die SPD einen Kanzler stellen wolle, müsse sie sich deutlich bewegen.

Die Vorsitzende Katja Kipping hieb schon Tage zuvor in dieselbe Kerbe, sprach von Schnittmengen und geißelte Rot-Grün für "kindische Abgrenzungsrituale" und "Hasenfüßigkeit." Zeitgleich relativierte Gregor Gysi die Bedingungen für eine Zusammenarbeit, näherte sich den Mindestlohn-Vorstellungen der SPD an und vernebelte auch das strikte Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Oppermann spricht von "Stalking"

Vergeblich. Die rot-grüne Ablehnung steht nach außen weiter wie ein Fels. "Stalking" warf Thomas Oppermann (SPD) der Linken vor. SPD und Grüne hatten eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene glaubhaft ausgeschlossen - auch ein Tolerierungsmodell wie von 2010 bis 2012 in Nordrhein-Westfalen. Sie halten die Linke für einen unzuverlässigen Partner, insbesondere wegen des bisweilen sektiererisch-schrillen Personals im Westen, darunter bekennende Kommunisten und SPD-Hasser.

Doch zeitgleich tauen die Chancen auf eine Übernahme der Macht durch Rot-Grün dahin wie der Tau in der Sonne. In jüngsten Umfragen schwächelte plötzlich nicht mehr nur die SPD, sonder auch der Partner. Die Grünen stürzten unversehens ab auf nur noch elf Prozent. Zusammen kommt das Bündnis damit auf nur noch 33 Prozent, uneinholbare 13 Punkte hinter Schwarz-Gelb.

Die "Stones" sind felsenfest dagegen

Es sei denn, man traut sich, auch die Stimmanteile der Linken hinzurechnen. Die nämlich verbesserten sich zeitgleich um zwei Punkte auf zehn Prozent. Fazit: Eine realistische Option auf die Macht gibt es derzeit nur mit der Linken. Zwar nicht mit Leuten wie Steinmeier oder Steinbrück. Doch diskutieren im Hinterstübchen Jung-Politiker aus den drei Parteien schon seit längerem mögliche Schnittmengen und Gemeinsamkeiten.

Für die Ablehnung von Rot-Rot-Grün stehen vor allem Leute wie Steinbrück und Steinmeier und sie wissen die Partei hinter sich. Vereinzelt wollen aber auch Genossen nichts kategorisch ausschließen. Die Duisburger SPD-Abgeordnete Bärbel Bas etwa kann sich eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit nach Duisburger Vorbild auch im Bund vorstellen. Das müsse aber letztlich die Partei entscheiden.

Entscheidender Faktor: Machtwille

Entsprechend gute Konjunktur haben vor diesem Hintergrund nun Spekulationen über eine Art Geheimplan, reichlich mysteriös aufgeladen durch die Formel "r2g". Die "Welt" spricht in diesem Zusammenhang bereits süffisant von einer "Konstruktionsformel für einen Putsch". Motiv, die tiefen Gräben zwischen den linken Parteien allen Antipathien und Hassgefühle zum Trotz zu überwinden: der gemeinsame Wille zur Macht.

Den Funken für das Aufflammen der Gerüchte gaben Berichte im Politik-Magazin "Cicero" und der Wochenzeitung "Die Zeit". Demnach verfolgt SPD-Chef Sigmar Gabriel insgeheim einen stillen Plan, der sich mit den Chancen auseinandersetzt, über Umwege doch noch Rot-Rot-Grün zu ermöglichen. R2g — das ist das Kürzel für zweimal Rot und einmal Grün.

Auch Trittin hat seine Rolle

Im "Cicero", dessen aktueller Titel Gabriel mit einem Fernglas mit rot-rot-grün im Visier zeigt, werden zwei Szenarien entwickelt. Entweder, die SPD lässt sich mit ihm als Vizekanzler doch auf eine große Koalition ein und wartet einen geeigneten Moment ab, um den Bruch herbeizuführen, der eine linke Mehrheit ermöglicht. Oder es reicht doch für Schwarz-Gelb und Gabriel arbeitet durch Opposition im Bundesrat auf ein Dreierbündnis hin.

In der "Zeit" ertönte dazu die passende Begleitmusik, in der auch Jürgen Trittin eine Rolle in "r2g" zugewiesen bekommt. Der grüne Spitzenkandidat verfolge nämlich das Fernziel, eine wiedervereinigte Linke zu schaffen: "Im 150. Jahr einer siechen Sozialdemokratie wäre ein rot-rot-grünes Bündnis, 'R2G', wie es auch genannt wird, für ihn — und die Republik — ein Coup, vor dem der Atomausstieg verblassen würde: die Wiedervereinigung und ökologische Modernisierung einer Linken, die über kurz oder lang sowohl die SPD als auch die noch marodere Linkspartei überflüssig macht."

"Science Fiction"

Die Gedankenspiele über einen Zusammenschluss für eine linke Mehrheit beflügeln die betroffenen Parteien nicht zum ersten Mal. Auch würde ein Politiker, der keine Planspiele und Zukunftsvisionen in der Schublade hat, wohl etwas falsch machen in seinem Beruf. Doch für mehr dürfte angesichts von "r2g" wohl doch nicht reichen. Belastbare Indizien sind bislang Mangelware. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, kann angesichts solcher Szenarien nur den Kopf schütteln und spricht von "Science fiction".

Recht hat der Mann. "Science Fiction" schließt nichts für die Zukunft aus, besitzt aber noch keinerlei Bezug zum Jetzt. Auch Oppermann wird wissen: Zunächst werden am 22. September die Karten neu gemischt. Bei einem schlechten Ergebnis muss Gabriel erstmal politisch überleben.

(pst)
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