Von überlangen Sätzen und Wortungetümen So unverständlich sind die Wahlprogramme

Berlin · Wortungetüme, lange Sätze, Fremdwörter – die gibt es in den Wahlprogrammen der Parteien zuhauf. Sprachwissenschaftler stellen ihnen daher ein schlechtes Zeugnis aus. Doch es gibt auch Hoffnung – in den abgespeckten Versionen der Programme.

2013: Diese Parteien treten zur Bundestagswahl an
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Wortungetüme, lange Sätze, Fremdwörter — die gibt es in den Wahlprogrammen der Parteien zuhauf. Sprachwissenschaftler stellen ihnen daher ein schlechtes Zeugnis aus. Doch es gibt auch Hoffnung — in den abgespeckten Versionen der Programme.

Können Sie etwas mit dem Wort "Substitutionstherapie" anfangen? Oder mit dem Begriff "Comprehensive Test Ban Treaty"? Beide stammen aus den Wahlprogrammen der Parteien. Ersteres kommt in dem der Linken vor und steht für Ersatzdrogen. Zweites haben die Piraten in ihrem Programm verwendet, es steht für den Teststoppvertrag, einen Schritt bei der nuklearen Abrüstung.

Es sind nur zwei Beispiele für viele, die sich auch in den Programmen aller anderen Parteien finden lassen. Doch sie verdeutlichen, dass es der Wähler mitunter nicht leicht hat, die Wahlprogramme zu verstehen.

Wie schwer das ist, wollten Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim auch zur diesjährigen Wahl herausfinden und haben die Wahlprogramme eingehend studiert. Das Fazit ist ernüchternd: Die Programme sind demnach noch unverständlicher als zur letzten Bundestagswahl.

Verschlechterung im Vergleich zu 2009

"Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf die Fahne geschrieben", sagt Prof. Frank Brettschneider, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. "Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Programmen schließen sie jedoch einen erheblichen Teil der Wähler aus und verpassen damit eine kommunikative Chance."

Konkret haben die Wissenschaftler die Programme etwa nach überlagen Sätzen oder Fremdwörtern durchforstet und dann anhand einer Punkteskala von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) ausgewertet. Im Durchschnitt lagen die Programme aller Parteien in diesem Jahr bei einem Wert von 7,7. Eine Verschlechterung im Vergleich zu 2009, damals lag der Wert noch bei 9,0.

Enttäuscht zeigen sich die Wissenschaftler etwa über das Programm der Grünen. Denn es sei nicht nur doppelt so umfangreich wie die der anderen Parteien, sondern die Verständlichkeit habe auch im Vergleich zu 2009 stark gelitten. Damals hätten sie noch einen "passablen Wert" erhalten und am besten abgeschnitten. Doch diesmal werden sie laut den Forschern mit ihrem Wert von (8,4) von der CDU (9,9) von der Spitze verdrängt. Die Linke habe sich ebenfalls verbessern können.

Die Piraten schneiden am schlechtesten ab

Auch die Programme von SPD (7,3) und FDP (7,3) hätten in diesem Jahr einen schlechteren Wert erzielt als noch vor vier Jahren, heißt es in der Studie weiter. Doch das schlechteste Zeugnis wird den Piraten ausgestellt. Gerade mal bei 5,8 liegt ihr Wert in der Untersuchung. Zum Vergleich: eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit wird mit 4,7 bewertet. Ein Grund im schlechten Abschneiden der Piraten wird in den vielen englischen und Insider-Begriffen gesehen.

Kritisiert wird auch, dass alle Parteien Fremd- und Fachwörter benutzten, die sie nicht erläutern. "Marktradikalisierung" bei der SPD etwa. Oder "Sharing Community" bei der Union. Ähnlich abschreckende Wirkung hätten aber auch Wortungetümer wie das "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" im Wahlprogramm der FDP.

Neben langen Wörtern stoßen sich die Wissenschaftler aber auch an überlangen Sätzen. So seien Sätze mit 30 bis 40 Wörtern keine Seltenheit. Sogar Sätze mit über 50 Wörtern gebe es bei allen Parteien. Spitzenreiter ist hier aber die Linke mit einem Satz von insgesamt 71 Wörtern.

Doch Brettschneider ist überzeugt: "Alle Parteien könnten verständlicher formulieren." Das würden etwa die abgespeckten Versionen der Programme deutlicher machen, die wesentlich besser abgeschnitten hätten. Die Langversionen bezeichnete er dagegen eher als ein "Ergebnis von innerparteilichen Expertenrunden".

Lob für die abgespeckten Versionen

Das haben auch Sprachwissenschaftler der Technischen Universität Dresden festgestellt, die sich mit der Rhetorik der Parteien vor der Wahl beschäftigen. Bei ihrer Analyse der "leichten Programme", also der abgespeckten Versionen, konnten sie viel Positives vermerken. Hier sei das sprachliche Niveau wie 2009 gut, auch wenn einzelne Aspekte verbesserungsbedürftig seien.

So sei das Kurzprogramm der CDU geprägt von Hauptsätzen, Wir-Botschaften nähmen einen breiten Raum ein, schwierige Begriffe würden fett und farblich hervorgehoben und auch erklärt. Auch das Programm der SPD sei solide und sprachlich ausgewogen, Grafiken unterstützten die Textaussagen, Begriffe seien erklärt.

Ein wenig Kritik üben die Dresdner am Kurzprogramm der FDP, weil es sprachlich deutlich komplexer sei als das der Konkurrenz, auch wenn es mit einem geringeren Umfang glänze. Daher seien auch zwei der drei längsten Sätze in der abgespeckten Version der Liberalen zu finden.

Die Dresdner stellten übrigens nach der sprachlichen Analyse der Wahlprogramme auch fest, dass der Wahlkampf "kuschelig und wenig kontrovers" werden würde. Das dürfte sich nun auch im Wahlkampf-Alltag bewahrheit haben.

(das)
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