Schwerpunkt Schmäh-Video Behörden auf Zuspitzung vorbereitet

Berlin · Die Polizei beobachtet die deutsche Islamistenszene genau, um ein Überspringen der gewalttätigen Proteste aus islamischen Staaten zu verhindern. Damit Islamisten keinen "Tatimpuls" erhalten, stoppt das Innenministerium eine Plakataktion, die sich an Angehörige radikaler Muslime richtet.

Tote und Verletzte bei Demonstrationen, brennende Botschaften, wütende Massenproteste — die muslimische Welt ist in Aufruhr, seit ein antiislamisches Schmähvideo im Internet zu sehen ist. Drohen blutige Auseinandersetzungen und Anschläge auch in Deutschlands Städten und Dörfern? Führende Sicherheitskreise sehen "Anlass zur Sorge, dass sich das aufschaukelt", erfuhr unsere Zeitung. Die ersten Demonstrationen nach den Freitagsgebeten zeigen ein Übergreifen der Empörungswelle auch auf Deutschland. "Wir verzeichnen einen hohen Grundpegel an Emotionalisierung", heißt es in den Kreisen.

Das Innenministerium sah bis gestern Nachmittag zwar keine konkrete, aber eine "abstrakte Gefahr". Sprich: Erkenntnisse über die Vorbereitung von Gewaltaktionen haben die Behörden nicht. Aber die Grundstimmung in radikalislamischen Gruppen ist so, dass jederzeit einzelne oder mehrere zur Gewalt greifen könnten. Und die Gefahr wächst mit jedem Ereignis, durch das sie sich provoziert fühlen können.

Es ist deshalb kein Zufall, dass das Innenministerium gestern "aufgrund einer aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes" den Start der Plakatkampagne "Vermisst" abblies. Ziel der Aktion war es, besorgte Angehörige auf eine Anlaufstelle aufmerksam zu machen, wenn sie befürchten, dass Jugendliche oder junge Menschen in die Radikalisierung abdriften. Die Botschaften der Kampagne waren jedoch so gestaltet, dass muslimische Verbände massiv dagegen protestierten. Alle Vorurteile gegen Muslime würden bekräftigt, der Islam unter einen Generalverdacht gestellt. Im Zusammenhang mit der Erregung über das Schmähvideo hätten die Plakate somit zu Missverständnissen Anlass gegeben und im Einzelfall auch einen "Tatimpuls" auslösen können, erläuterte das Ministerium.

Nächster Anlass für ein Hochschaukeln könnte die nächste Titelseite des Satiremagazins "Titanic" sein. Darauf wird eine Bildmontage die frühere First Lady Bettina Wulff mit einem säbelschwingenden Turbanträger zeigen. Die geplante Schlagzeile dazu soll lauten: "Der Westen in Aufruhr: Bettina Wulff dreht Mohammed-Film." Die Behörden haben inzwischen festgestellt, dass die Veröffentlichung eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Auch Kanzlerin Angela Merkel unterstrich in diesem Zusammenhang: "Die Pressefreiheit ist in Deutschland geschützt, und sie ist sehr weit ausgelegt."

In der aufgeheizten Stimmung nehmen die Behörden gleichzeitig jedoch auch verstärkt die Handhabe aus dem Strafgesetzbuch in den Blick, wonach es verboten ist, religiöse Bekenntnisse anderer in einer Weise zu beschimpfen, dass dadurch der öffentliche Frieden gestört wird (Paragraf 166). Auf diese sehr selten genutzte Vorschrift wollen die Ordnungsbehördenzurückgreifen, wenn Rechtsextremisten oder antiislamische Populisten versuchen sollten, das Mohammed-Schmähvideo öffentlich zu zeigen.

Das wären dann Anlässe des "Aufschaukelns", wie es im Frühjahr unter anderem in Bonn und Solingen geschah, als Provokationen mit Mohammed-Karikaturen radikalislamische Salafisten auf die Straßen brachten und es zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Neben einer verstärkten Beobachtung der Szene und vorsorglich massivem Polizeiaufgebot bei Demonstrationen setzt die Politik vor allem auf Appelle zur Mäßigung. Meinungsunterschiede müssten mit friedlichen Mitteln ausgetragen werden, "Gewalt ist nicht akzeptabel", sagte Merkel. Dass der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland die Gewalt in den arabischen Ländern deutlich verurteilt, sei ein "richtiges und wichtiges Zeichen", sagte die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer.

Nicht nur die Sicherheitsbehörden sind über die Entwicklung besorgt. Auch die muslimischen Institutionen sehen ihre Integrationsbemühungen gefährdet. "Weil es so emotional aufgeladen ist und die öffentliche Wahrnehmung dominiert, macht das Thema die ohnehin sensible Arbeit etwa in den Gemeinden noch schwieriger", klagt Ayman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime. Noch bezweifelt er die These, dass die Salafisten durch das Video mehr Zustimmung anderer Muslime erhalten. Doch glaubt auch er, dass sich das dann ändert, wenn der Film öffentlich gezeigt werde.

Einen anderen Effekt hat die aufgewühlte Stimmung nach Einschätzung Mazyeks aber schon jetzt: "Leider beobachte ich immer häufiger, dass gut ausgebildete Muslime Deutschland verlassen und etwa in die Türkei oder nach Arabien gehen." Das habe viel mit einer islamfeindlichen Grundstimmung zu tun und werde durch die aktuellen Entwicklungen weiter angetrieben.

Bei der Frage eines besseren Zusammenspiels zwischen Behörden und Islamverbänden steht es derzeit allerdings nicht zum Besten. Das Innenministerium betonte zwar, dass man im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft und der Islamkonferenz mit den muslimischen Verbänden im Gespräch sei. Die geplante Plakataktion habe jedoch gezeigt, dass die Partnerschaft im Augenblick etwas auf Eis liege.

(may-)
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