Pazifik-Insel Nauru Das zerstörte Paradies

Am Anfang war der Vogelkot. Er machte Nauru zeitweilig zum wohlhabendsten Staat der Erde. Naivität, Geltungssucht und Größenwahn brachten den Absturz. Auf der abgelegenen Insel mitten im Pazifik spielte sich eine der größten Tragödien des letzten Jahrhunderts ab. Aber nun bekommt Nauru eine zweite Chance.

 Satelliten-Aufnahme von Nauru: Gut zu erkennen sind die Ringstraße und der Flughafen, einst ein japanischer Flugplatz aus dem Zweiten Weltkrieg. 

Satelliten-Aufnahme von Nauru: Gut zu erkennen sind die Ringstraße und der Flughafen, einst ein japanischer Flugplatz aus dem Zweiten Weltkrieg. 

Foto: ARM

Viel zu tun gab es jahrzehntelang nicht auf Nauru. Die Arbeit erledigten die Ausländer, Geld gab es mehr als genug. Also fuhren die Menschen mit ihren Autos einmal um die Insel, die gesamten rund 17 Kilometer Ringstraße entlang. Danach ließen sie sich ihr Abendessen liefern. So oder so ähnlich verliefen die Tage auf Nauru. Solange bis das Phosphat knapp wurde.

Nauru, das ist eine kleine Insel inmitten des Pazifischen Ozeans. 21,2 Quadratkilometer Fläche, rund 13.000 Einwohnern – der drittkleinste anerkannte Staat der Erde und für kurze Zeit der wohlhabendste. In den 1970er Jahren wurde die Insel für ihre Bewohner zum Paradies, zu „Naurotopia“, wie der französische Journalist Luc Folliet es bezeichnete, der ein ganzes Buch über Naurus rasanten Auf- und Abstieg verfasst hat. Naurus zeitweise sagenhafter Wohlstand beruhte auf Vogelmist, der sich in dichten Schichten abgelagert hatte und versteinert war. Die Insel besteht zu großen Teilen aus Phosphatkalk, einem wichtigen Bestandteil von Düngemitteln und einem wertvollen Bodenschatz.

 In einem australischen Lager internierte Flüchtlinge auf Nauru.

In einem australischen Lager internierte Flüchtlinge auf Nauru.

Foto: AP/Jason Oxenham

Der Legende nach begann alles im Jahr 1899. Albert Fuller Ellis hatte gerade seine Arbeitsstelle als Analyst der britischen Handelsgesellschaft „Pacific Islands Company“ aufgenommen. Da fiel ihm im Firmenbüro in Sydney ein Stein auf, den sein Kollege Henry Denson als Türstopper verwendete. Ellis suchte bereits seit Jahren nach Phosphat-Vorkommen in Ozeanien und ließ den aus Nauro stammenden Brocken untersuchen. Er bestand zu 78 Prozent aus Phosphatkalk. Ein Zufallstreffer mit gewaltigen Folgen.

Nauru spielte bis dahin, vorsichtig ausgedrückt, keine besonders große Rolle für die Weltwirtschaft. 1798 entdeckte der britische Seefahrer John Fearn die Insel. Seine Berichte über die freundlichen Bewohner prägten die Bezeichnung „The Pleasant Island“, die angenehme Insel. Die Abgelegenheit Naurus hatte eine autarke Gesellschaft hervorgebracht, die weitgehend frei war von existentiellen Nöten.

Doch dann kamen Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten europäischen Aussteiger sowie verbannte Strafgefangene nach Nauru und mit ihnen der Handel. Das hatte Folgen: 1878 brach ein blutiger Stammeskrieg aus, der die damalige Bevölkerung um ein Drittel reduzierte. Im April 1886 unterzeichneten das Deutsche Reich und Großbritannien zwei Abkommen, die die Aufteilung der Interessensphären im Westpazifik regelten und wechselseitigen Freihandel garantierten. Nach diesen Abkommen gehörte Nauru zum Interessengebiet Deutschlands. Daraufhin wurde Nauru im April 1888 von Truppen des Deutschen Reiches besetzt, die den Stammeskrieg beendeten und die Insel zum deutschen Protektorat der Marshall-Inseln annektierten.

Die „Pacific Island Company“, die möglichst schnell mit dem Abbau des Phosphats beginnen wollte, musste daher zunächst einmal die diplomatische Klärung der rechtlichen Verhältnisse abwarten. Es folgten langwierige Verhandlungen zwischen den Regierungen des Deutschen Reichs und Großbritanniens. 1906 erwarb die „Pacific Island Company“ die Abbaurechte. Ihre Verhandlungspartner hatten sie über das Ausmaß ihrer Entdeckung allerdings nicht vollständig informiert.

Der Phosphatabbau begann und sorgte für gute Erträg zugunsten der Kolonialherren. Im Ersten Weltkrieg besetzte Australien die Insel und teilte sich die Erlöse fortan mit Neuseeland und Großbritannien. Die Nauruer bekamen von ihrem blühenden Wirtschaftszweig nicht viel mit. Weder arbeiteten sie für die Phosphat-Industrie, noch wurden sie angemessen an den Erlösen beteiligt. Australien versuchte sogar, die Nauruer von einer Umsiedlung auf andere Inseln zu überzeugen. Der lokale Regierungsrat Hammer DeRoburt hielt dagegen. Unter seiner Führung wurde Nauru schließlich 1968 unabhängig.

Das Leben der Nauruer änderte sich von Grund auf. Es begannen sorgenfreie Jahrzehnte. Die Regierung finanzierte Auslandsstudien und eine hochmoderne Krankenversorgung. Es herrschte Steuerfreiheit für alle. Die größten Landbesitzer wurden innerhalb weniger Jahre zu Millionären und verprassten ihren Reichtum. Nauru wurde in den 1970er Jahren zeitweilig zum wohlhabendsten Staat der Erde, noch vor den Öl-Emiraten des Nahen Ostens.

Die Verantwortlichen auf der Insel sorgten sich nicht um das ökologische Gleichgewicht und konzentrieren sich allein auf die Ausbeutung der Phosphatvorkommen, deren Endlichkeit ihnen freilich bewusst war. Also versuchten sie, anderweitig vorzusorgen. Sie gründeten etwa die nationale Fluggesellschaft Air Nauru, die bald die größte Flotte der Pazifikregion besaß. Die Regierung investierte in Immobilien und in einen Sportverein in Melbourne, sie ließ das höchste Bürogebäude Australiens errichten. Das „Nauru House Buildung“ wurde 1977 eröffnet.

Die Grenze zwischen Vorsorge und Geltungssucht verlief in jenen Jahren fließend. Nauru lockte als Steuerparadies immer mehr internationale Finanzgeschäfte an. Doch bald bekam die Fassade von „Naurutopia“ erste Risse. Die Investitionen der Regierung liefen meist ins Leere. Es wurde klar: Nauru lebte über seine Verhältnisse. Doch die Staatsausgaben wurden nicht rechtzeitig der Realität angepasst. Bis in die 1990er Jahre hinein investierte die Regierung in teure Auslandsprojekte, obwohl sich das Phosphatvorkommen langsam dem Ende zuneigte.

Die Naivität der Nauruer in Finanzfragen hatte sich da bereits herumgesprochen. Immer mehr unseriöse Geschäftsleute scharten sich um eine Regierung, die ihnen viel zu viel Vertrauen entgegenbrachte. Als 1992 der Unabhängigkeitskämpfer und langjährige Präsident Hammer DeRoburt starb, kippte die Stimmung. Die Einwohner organisierten erste Demonstrationen. Im Mai 1993 verhinderten 50
Naururerinnen den Start einer Air-Nauru-Maschine nach London. Dort wollte eine Regierungsdelegation aus Nauru der Premiere eines Musicals beiwohnen, das der Inselstaat mit vier Millionen Dollar finanziert hatte. Der Ärger war begründet: Das Musical floppte grandios. Das Geld war weg.

Auf Nauru entstand die oppositionelle Zeitschrift „The Visionary“, die dem damaligen Präsidenten Rene Harris erstmals offen Verschwendungssucht und Intransparenz vorwarf. Harris konterte und suspendierte einen der Autoren von seinem Posten als Regierungsberater. Ein weiterer Autor wurde daran gehindert, auf Nauru weiter als Arzt zu praktizieren.

1998 wurde bekannt, dass die russische Mafia 70 Milliarden Euro auf Nauru gewaschen haben soll. 2002 wurden zwei Al Kaida nahestehende Terroristen mit nauruischen Pässen verhaftet. Mit dem Verkauf von Ausweisdokumenten hatte die Regierung Naurus Schätzungen zufolge bis dahin schon rund sieben Millionen Dollar eingenommen. Die Firma, über die der Passhandel abgewickelt wurde, vergab außerdem mehrere Darlehen an die nauruischen Präsidenten Harris und Bernard Dowiyogo. Nauru war am Tiefpunkt angelangt.

Der damals 84-jährige Prediger James Aingimea fasste 1995 für die „New York Times“ die ganze Tragik seines Lebens auf Nauru zusammen. „Ich wünschte, wir hätten dieses Phosphat niemals entdeckt, ich wünschte, Nauru könnte so sein wie früher. Als ich ein Junge war, war es so schön. Jetzt sehe ich, was passiert ist, und ich möchte weinen.“

Das Ökosystem der Insel war durch den Phosphatabbau unwiederbringlich geschädigt, beinahe die gesamten Erträge der nauruischen Wirtschaft waren im globalen Finanzmarkt versickert. Ende der 1990er Jahre schloss die „Bank of Nauru“. Hunderte wohlhabende Nauruer verloren über Nacht ihre gesamten Ersparnisse. Nauru fiel zurück auf den finanziellen Stand eines Entwicklungslands.

Die Folgen für die Bevölkerung waren teils katastrophal. Die Lebenserwartung auf der Insel sackte zeitweise auf unter 50 Jahre. Nauru hat eine der höchsten Fettleibigkeitsraten der Welt. Herzerkrankungen und Diabetes sind sehr weit verbreitet. Jahrzehnte des Überflusses und der Faulheit hatten sich zu einer tödlichen Mischung verbunden.

Der australische Premierminister John Howard wusste die verzweifelte Lage zu nutzen. Im Oktober 2001 eröffnete auf Nauru ein Flüchtlingslager, das auf dem Weg nach Australien in Seenot geratene Bootsflüchtlinge aufnehmen sollte. Die sogenannte Pacific Solution spülte mehr als 30 Millionen Dollar pro Jahr in die klammen nauruischen Kassen und löste die australische Flüchtlingsproblematik. Dieses erste, schon damals höchst umstrittene Lager wurde zwar nach einiger Zeit wieder geschlossen, aber 2012 entstand erneut ein australisches Flüchtlingslager auf Nauru.

Die Zustände in dem Internierungscamp stehen seitdem ständig in der Kritik. Schon bei kleinen Kindern seien Selbstmordtendenzen zu beobachten, berichtete unlängst eine australische Hilfsorganisation. Nauru versucht das Thema klein zu halten, hält Journalisten davon ab, vor Ort über die Flüchtlinge zu berichten. Für ein Medienvisum verlangt das Land umgerechnet knapp 5000 Euro.

Nauru ließ sich aber nicht nur von Australien kaufen. Gegen eine Finanzspritze von 130 Millionen Dollar erkannte Nauru 2002 die Volksrepublik China als einziges China an, zwei Jahre später jedoch vollführte die Regierung für nun rund 13 Millionen Dollar die Kehrwende zu Gunsten Taiwans. Für eine regelmäßige Benzinversorgung und die Unterstützung durch japanische Ingenieure trat Nauru 2005 der International Wal-Kommission bei und stimmte dort im Sinne Tokios gegen das Walfangverbot ab. Auch dass Nauru als eines von nur vier Ländern die von Georgien abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien anerkannte, dürfte finanzielle Hintergründe gehabt haben.

Immerhin hat Nauru den Tiefpunkt inzwischen überwunden. Die Wirtschaft nahm wieder Fahrt auf. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht, die Kindersterblichkeit nahm ab, und fast alle Nauruer beenden wieder erfolgreich die Grundschulzeit. Und wieder verdanken die Bewohner der Insel diesen Aufschwung dem Phosphat.

Denn wie sich herausstellte, waren die Vorkommen doch noch nicht vollkommen ausgebeutet. Seit einigen Jahren läuft das „secondary mining“, das Abtragen der tiefer liegenden Phosphatschichten. Rund 30 Jahre, so die Schätzungen, könnten diese Vorkommen noch reichen. Dann wird auch diese zweite große Chance verstrichen sein, für Nauru wenn schon kein Paradies, so doch eine dauerhafte Lebensgrundlage zu schaffen. Es ist wohl die letzte.

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