Wahl in Kanada Kein Sieg, keine Niederlage

Ottawa · Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen. Die Regierungsbildung wird schwierig.

 Kanadas Premierminister Justin Trudeau in Montréal.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau in Montréal.

Foto: AP/Sean Kilpatrick

Bei der Parlamentswahl in Kanada ist die liberale Partei von Regierungschef Justin Trudeau erneut stärkste Kraft geworden. Der umstrittene Premierminister kann damit weiterregieren. Allerdings haben die Liberalen ihrer absolute Mehrheit verloren. Sie müssen zukünftig mit anderen Parteien im Unterhaus zusammenarbeiten.

„Wir nehmen den Auftrag der Wähler an und werden eine Regierung für alle Kanadier bilden“, rief Trudeau seinen Anhängern am späten Montagabend in Montréal zu, nachdem die meisten Stimmen ausgezählt waren. Die meisten Beobachter gehen nun davon aus, dass die Liberalen eine Minderheitsregierung unter Duldung der linksgerichteten sozialdemokratischen Partei bilden werden.

An seine Kritiker gewandt sagte Trudeau, er habe ihre Botschaft gehört und werde dafür sorgen, dass zukünftig auch ihre Stimmen Geltung bekommen: „Wir werden zusammen stehen für eine bessere Zukunft.“ Seine Regierung werde fortsetzen, was sie begonnen habe. Dazu gehöre auch der Kampf gegen den Klimawandel und für eine gerechtere Gesellschaft für alle.

Nach vorläufigen Ergebnissen kam Trudeaus Partei auf 157 Mandate, das sind 29 weniger als vor vier Jahren. Für eine absolute Mehrzeit wären 170 Sitze nötig gewesen. Zulegen konnten die Konservativen unter Oppositionsführer Andrew Scheer, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie von ihnen erhofft. Die Konservativen erhielten 121 Sitze, das sind 23 mehr als bislang.

Damit zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Koalitionsregierungen sind in Kanada unüblich, weswegen viele davon ausgehen, dass es zu einer Minderheitsregierung kommt, bei der sich Trudeau im Parlament in Ottawa wechselnde Mehrheiten suchen muss. Trudeau sagte, er werde „viele Telefonate“ führen.

Eine Schlüsselrolle dürfte dabei den Sozialdemokraten unter Parteichef Jagmeet Singh zukommen, die nach Auszählung der meisten Stimmen 24 Mandate gewinnen konnten, 18 weniger als bislang. In Kanada werden die Parlamentssitze nach dem Mehrheitswahlrecht in den einzelnen Wahlkreisen vergeben und nicht proportional zur tatsächlichen Stimmenstärke der einzelnen Parteien.

Singh hatte im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit den Konservativen ausgeschlossen. Am Montagabend kündigte er an, sich für ein gerechteres Kanada einzusetzen. Die Kanadier wollten eine Regierung, die sich weniger für die Reichen, sondern mehr für die Normalbürger einsetze. Dies habe er Trudeau in einem ersten Telefonat nach der Wahl so angeboten.

Zu den Siegern gehörte auch der separatistische Bloc Québecois, der nur in der französischsprachigen Provinz antritt und dort 32 Mandate gewann, 22 mehr als bisher. Für die Grünen werden zukünftig drei Abgeordnete in das Unterhaus einziehen, einer mehr als bislang. Beide Parteien hatten ebenfalls in Aussicht gestellt, Trudeau in Einzelfragen unterstützen zu wollen.

Für Trudeau ist der Verlust der absoluten Mehrheit schmerzhaft, doch gemessen an den letzten Umfragen ist er glimpflich davongekommen. Zwischenzeitlich hatte es so ausgesehen, als würde der einst so beliebte Premier womöglich schon nach nur einer Legislaturperiode abgewählt. Tatsächlich war die Bilanz seiner Regierung eher durchwachsen.

Zwar hat Trudeau wie versprochen Cannabis legalisiert, mehr als 25.000 syrische Flüchtlinge ins Land gelassen und Minderheiten, Frauen und Ureinwohner gefördert. Die Wirtschaftslage galt als stabil und die Arbeitslosigkeit als niedrig. Wichtige Wahlversprechen wie eine Wahlrechtsreform oder einen ausgeglichenen Haushalt konnte er aber nicht einhalten, weswegen viele Stammwähler zu Hause blieben.

Viele fortschrittliche Kanadier kritisierten zudem seinen wenig ambitionierten Kampf gegen den Klimawandel. Zwar hatte Trudeaus eine Steuer auf Emissionen eingeführt und Kanada zurück in das Kyoto-Protokoll geführt. Gleichzeitig hatte er aber die umstrittene Trans-Mountain-Erdölpipeline gekauft, die von den Teersandfeldern Kanadas bis nach British Columbia an den Pazifik führt.

Negativ wirkten sich auch Zweifel an seinem Charakter aus. Für Wirbel sorgten gleich zu Beginn des Wahlkampfes einige Fotos, die Trudeau in jungen Jahren mit brauner Schminke im Gesicht zeigen und die von ihm selbst als rassistisch gewertet wurden. Seine Glaubwürdigkeit als weltoffener Politiker, der für Vielfalt und Multikulturalismus steht, hatte gelitten, auch wenn er sich für den Vorfall entschuldigte.

Auch Trudeaus Umgang mit seiner Ex-Justizministerin Judy Wilson-Raybould hatte seinen hohen moralischen Anspruch unterlaufen. Trudeau hatte sie unter Druck gesetzt, ein Strafverfahren gegen die korrupte Baufirma SNC Lavalin einzustellen, um Jobs zu erhalten. Wilson-Raybould wird Trudeau auch im zukünftigen Parlament im Nacken sitzen: Nachdem sie von den Liberalen von der Wahl ausgeschlossen worden war, war sie als unabhängige Kandidatin in einem Wahlkreis in Vancouver angetreten – und wurde prompt gewählt.

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