Schwerpunkt Staatsbesuch Der soziale Präsident

Manaus/Bogotá (RP). Ist das noch derselbe Horst Köhler? Jener Bundespräsident, der viel stärker als seine Vorgänger auf mutigere Reformen in Deutschland drängt, um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Auf seiner Südamerika-Reise setzt Köhler in diesen Tagen bemerkenswert andere Akzente. Er stellt das Thema "soziale und ökologische Unternehmerverantwortung" in den Vordergrund seiner Staatsbesuche in Paraguay, Brasilien und Kolumbien.

Die Südamerika-Reise von Horst Köhler
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Als Köhler von seinem Amt als Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington in das Berliner Schloss Bellevue wechselte, galt er vielen als ein kühler Finanzmanager mit neoliberaler Gesinnung. Durch seine ersten Reden als Bundespräsident verstärkte er vor allem bei SPD und Grünen diesen Eindruck noch, indem er nachdrücklich raschere und stärkere Reformen des deutschen Arbeitsrechts und des Sozialsystems anmahnte.

Wechselt Köhler nun etwa seinen Kurs? Seine soziale Ader zeigte sich jedenfalls schon viel früher, als er 1970 als 27-Jähriger zusammen mit seiner Frau und Freunden in der Nähe von Tübingen einen Dritte-Welt-Laden aufgezogen hat. Den Laden gibt es heute noch - und die innere Auflehnung Köhlers gegen die Armut ebenso. Das zeigt sich auch bei jedem seiner Auftritte in Südamerika - und er richtet sein Drängen auf soziale Verantwortung dabei nicht nur auf die mehr oder weniger korrupten Regierungen dieser Länder, sondern vor allem auf die Unternehmen, die hier gutes Geld verdienen.

Will hier womöglich einer umschulen vom Reform-Einpeitscher zum Gutmenschen? In Brasilien, vor allem beim Besuch von Hilfsprojekten in den Slums, bekommen Köhlers Reden bisweilen einen weichgespülten Akzent, den er zuhause vermeidet. "Der spricht schon fast so pastoral wie Johannes Rau", spottet einer der Mitreisenden bei Köhlers Besuch in einem Heim für misshandelte Kinder in Sao Paulo. Doch Köhler belässt es nicht beim Appell an das Gute im Menschen, sondern sucht nach Wegen, wie Armutsbekämpfung und Naturschutz sich in die Treibkräfte der Weltwirtschaft integrieren lassen.

"The business of business is business" (Das Geschäft der Wirtschaft ist das Geschäft) - diese Parole des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman, eines der Vordenker des Neoliberalismus, will Köhler den Unternehmern nicht länger durchgehen lassen. Als modern und innovativ lässt er nur noch Unternehmer gelten, die sich besonders um die sozialen und ökologischen Belange in ihrer Umgebung kümmern. Denn ohne soziale Gerechtigkeit, so Köhlers Mantra in allen seinen Reden vor Unternehmern und Regierenden, gebe es keine politische Stabilität. Und ohne Stabilität keine guten und sicheren Geschäfte.

Besonders erfreut reagiert Köhler deshalb bei seinen Besuchen in Unternehmen, die letztlich aus Eigennutz vorbildliche soziale Standards und Hilfsprojekte gegen die Armut in ihrer Umgebung verwirklichen. Wie etwa im deutschen Maschinenbau-Unternehmen "Prensa Schuler", dessen Fabrik in Sao Paulo von Slums umgeben ist. Dessen Manager berichten unumwunden, dass sie mit ihren sozialen Aktionen vor allem die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken wollten, denn die hänge von motivierten Mitarbeitern ab. Soziale Intelligenz im Eigeninteresse - das gefällt dem Bundespräsidenten sichtlich gut.

Köhler muss sich auf seinem Südamerika-Trip wie ein Wandler zwischen Welten mit zwei Geschwindigkeiten fühlen. Er sieht vor allem in Brasilien auf Schritt und Tritt, dass sich hier ungeachtet aller grausamen Armut eine dynamische Wirtschaftsmacht entwickelt, die nur zu bald als starker Konkurrent auf dem Weltmarkt auch den Deutschen das Leben schwerer machen wird. Genau das ist der Grund, warum der Präsident zuhause so penetrant auf Reformen drängt. Er weiß aus seiner IWF-Zeit und sieht auf seinen Reisen, wie hoch das Tempo der internationalen Wirtschaftsentwicklung ist - und wie real die Gefahr, dass das behäbigere Deutschland den Anschluss verpasst und zurückfällt. Geradezu schockierend ist in dieser Hinsicht Sao Paulo, einer der größten "hot spots" der Globalisierung. Das enorme Tempo und die gigantische Wirtschaftskraft dieser Mega-City zeigen, wie weit es Südamerika insgesamt noch bringen kann - allerdings brutal relativiert durch die Armut und soziale Ungerechtigkeit, die den Besucher aus jeder der vielen Millionen Bretterbuden in den allgegenwärtigen Slums förmlich anschreien. Doch hier entstehen täglich neue Arbeitsplätze, neue Unternehmen - nur nicht genug, um den Zustrom der Landflüchtlinge aus dem armen Nordosten Brasiliens zu versorgen. Und dieses Land, dem Köhler Wachstumsraten von jährlich fünf Prozent zutraut, steht seinerseits schon unter Druck der nächsten Verfolger. China ist bereits der zweitgrößte Exporteur nach Brasilien - und könnte in wenigen Jahren sogar die USA von Platz eins verdrängen.

Eine weitere Begleiterscheinung der Globalisierung erlebt Köhler in den täglichen wechselnden Hotels auf seiner Reise. Fast überall säuselt beim Frühstück oder abends in der Hotelbar dieselbe Musik aus den Lautsprechern: Soft-Jazz von Norah Jones.

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