Unser Reporter vor Ort Köhlers diskretes Räderwerk

Cartagena (RP). Zum Abschied spielt das kolumbianische Marineorchester die deutsche Nationalhymne – nicht einmal, nicht zweimal, dreieinhalbmal erklingt das Lied der Deutschen unter karibischer Sonne. So lange dauert es, bis die beiden Mini-Kanonen an Deck des Segelschulschiffs "Gloria" die protokollarisch vorgeschriebenen 21 Schuss Salut für das Staatsoberhaupt abgefeuert haben. An Bord des blitzblank geputzten Drei-Mast-Seglers im Hafen von Cartagena endet der Staatsbesuch von Bundespräsident Horst Köhler in Kolumbien.

Abschied aus Südamerika
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Cartagena (RP). Zum Abschied spielt das kolumbianische Marineorchester die deutsche Nationalhymne — nicht einmal, nicht zweimal, dreieinhalbmal erklingt das Lied der Deutschen unter karibischer Sonne. So lange dauert es, bis die beiden Mini-Kanonen an Deck des Segelschulschiffs "Gloria" die protokollarisch vorgeschriebenen 21 Schuss Salut für das Staatsoberhaupt abgefeuert haben. An Bord des blitzblank geputzten Drei-Mast-Seglers im Hafen von Cartagena endet der Staatsbesuch von Bundespräsident Horst Köhler in Kolumbien.

Die Besatzung ist in weißen Uniformen an Deck angetreten, in den schwankenden Wanten stehen Matrosen in drei Etagen übereinander stramm, um den hohen Gast zu begrüßen. Da geht man als Bundespräsident nicht einfach so an Bord wie ein Passagier aufs Kreuzfahrtschiff, sondern da sind genaue Benimmregeln zu beachten. Auf der Fahrt zum Schiff wird Köhler vom Chef seines Protokolls, Rainald Steck, über den Ablauf der Zeremonie informiert. Der wiederum hat kurz zuvor von seiner Mitarbeiterin Renate Heiderich den exakten Ablauf und den neuesten Stand des vorgesehenen Programms erfahren. Sie ist schon vorausgefahren, um am Ort des Geschehens letzte Details zu klären. Auf diese Weise erfährt Köhler, dass er sich nach Betreten des Decks nach links wenden soll, seine Frau Eva Luise hingegen nach rechts. Köhler nimmt neben dem Kapitän und dem kolumbianischen Außenminister Aufstellung, während die Hymne gespielt und Salut geschossen wird — so laut, dass es in den Ohren vieler Delegationsmitglieder noch Stunden später auf dem Heimflug klingelt.

Die Abwicklung eines offiziellen Staatsbesuchs des Bundespräsidenten in fernen Kontinenten ist eine Art Feldzug, eine logistische und organisatorische Meisterleistung — erst recht, wenn dabei binnen zehn Tagen acht verschiedene Orte in drei Staaten besucht werden. Ohne Mitwirkende wie Renate Heiderich hinter den Kulissen wäre dieses Programm schlicht nicht möglich. Sie organisiert die Passagierlisten für die Flugzeuge, die Belegungspläne für die Wagenkolonnen und die Hotels, die Einrichtung eines Delegationsbüros auf jeder Reisestation — einschließlich der Wegweiser dorthin. Sie sorgt dafür, dass im Zimmer des Bundespräsidenten das Telefon mit der Direktleitung nach Berlin entsprechend markiert ist, und, und, und. Berge von Gastgeschenken müssen zur rechten Zeit am rechten Ort sein, von den Präsenten für die ausländischen Staatsoberhäupter und First Ladies bis zu den kleinen Aufmerksamkeiten für die vielen Fahrer und örtlichen Protokoll-Kollegen, Schreibsets oder Schlüsselanhänger mit Bundesadler.

Und wenn, wie so oft, die Termine des Präsidenten länger als geplant dauern und der ganze Zeitplan ins Rutschen kommt, hält Heiderich Kontakt mit der örtlichen Botschaft, mit der Crew des Präsidenten-Flugzeugs und den Sicherheitsbeamten, um jeweils die aktuellen Änderungen abzustimmen. Als Köhler am späten Abend nach getaner Arbeit in Cartagena noch ein Weizenbier in einer bayerischen Kneipe trinken will, deren Besitzer er bei einem Stadtrundgang kennengelernt hat, sorgt Heiderich auf die Schnelle für die entsprechenden Fahrzeuge und Sicherheitsbegleiter. Seit 1998 arbeitet sie in der Protokollabteilung des Auswärtigen Amts, hat schon viele Kanzler-Reisen betreut, doch dies ist ihre erste Reise mit einem Bundespräsidenten.

Das hat sie mit Gundula Schöpp gemeinsam, die seit 1994 als Dolmetscherin und Übersetzerin für Spanisch im Auswärtigen Amt arbeitet. Die aus Haltern/Westfalen stammende "Legationsrätin 1. Klasse" erweist sich als erstklassige Dolmetscherin, die nun bis zu 16 Stunden am Tag gewissermaßen Köhlers Hör-und Sprachrohr zugleich ist. Selbst schwierigste Situationen bewältigt sie dezent und präzise. Etwa, als Paraguays Präsident Duarte Frutos beim Abendempfang ohne Punkt und Komma in langen Schachtelsätzen redet und — anders als Köhler — zwischendurch keine Pausen für die Übersetzung macht. Schöpp bewältigt auch diese Herausforderung souverän. Beim Besuch in Brasilien kann sie sich etwas entspannen, dann muss ihre Kollegin Sabine Eichhorn als Portugiesisch-Dolmetscherin ran, bevor in Bogotá wieder Schöpps Spanisch-Kenntnisse gefragt sind. Auf Kolumbien hat sie sich ebenso vorbereitet wie auf Paraguay, hat Berichte über die aktuelle Lage in den Ländern gelesen, sich die Namen wichtiger Institutionen und Personen eingeprägt, besondere Redewendungen recherchiert.

Eigentlich begann Köhlers Südamerikareise schon im November. Da startete die konkrete Vorbereitung im Präsidialamt und im Außenministerium. Unter Federführung von Ole Diehl, Referatsleiter des Präsidialamts für Lateinamerika, wurden die vom Bundespräsidenten gewünschten Themenschwerpunkte in ein konkretes Besuchsprogramm umgesetzt. In Zusammenarbeit mit den deutschen Botschaften vor Ort und den gastgebenden Regierungen nahmen Programmpunkte, Gesprächspartner und Besichtigungsprojekte Gestalt an. Als das grobe Programm stand, folgte im Januar die Vorausreise. Protokollchef Steck klapperte mit seinem Team alle Stationen ab, jedes Hotel, jeden einzelnen Tagungsort und alle Besichtigungsobjekte: Unternehmen, Schulen, Sozialstationen, Kirchen und dergleichen. Ungeeignet oder wenig lohnend scheinende Ziele wurden durch andere ersetzt. Wie lange dauern die Fahrten von A nach B? Welche Stationen besucht Eva Luise Köhler in ihrem "Sonderprogramm"? Wer begleitet sie — und wie kommt sie pünktlich wieder zurück, um mit ihrem Mann am Staatsbankett teilzunehmen? Zweieinhalb Wochen lang von morgens sechs bis abends elf war die Vorausgruppe auf den Beinen, um solche Fragen lückenlos zu klären und einen möglichst reibungslosen Ablauf zu planen.

Mit von der Partie war auch Anne Wagner. Die in Monheim aufgewachsene Protokollreferentin kümmert sich um die politisch-organisatorische Vorbereitung, dient quasi als Scharnier zwischen dem Präsidialamt und den deutschen Botschaften vor Ort. Schon seit November wurden die eigenen Pläne mit den politischen und protokollarischen Wünschen und Gewohnheiten der Gastgeberländer abgestimmt. Während des Staatsbesuchs sieht man Wagner immer wieder telefonieren, etwa um kurzfristige Terminänderungen oder Verspätungen mit den Diplomaten des eigenen und des gastgebenden Landes abzustimmen. So muss sie in Bogotá sicherstellen, dass der kolumbianische Präsident beim Empfang Köhlers zu seinen Ehren nicht vor dem Bundespräsidenten eintrifft und somit nicht warten muss. Ute Marquard-Heine hat die Veranstaltung organisiert, bei der im Namen der Bundesrepublik hunderte führende Vertreter des besuchten Landes bewirtet werden. Entsprechend perfekt muss die Vorbereitung sein, von der Wahl des Ortes bis zur Qualität der Speisen und Getränke. Nach Köhlers Tagesprogramm ist für die Mitarbeiter noch lange nicht Schluss. Jeden Abend treffen sie sich im Hotel zum Briefing mit den Vertretern der örtlichen Botschaft, um über die Organisation und Logistik des nächsten Tages zu beraten, etwaige Schwachpunkte zu erkennen und Vorsorge zu treffen.

Sigrid Schalk, Medienbetreuerin des Bundespresseamtes, kümmert sich in dieser Runde um die Belange der mitreisenden Journalisten. Schon bei der Vorausreise suchte sie nach den besten Kamera- und Foto-Positionen bei den jeweiligen Staatsempfängen, organisierte mit den örtlichen Botschaften die Einrichtung von Pressebüros mit Telefon- und Internet-Verbindungen, klärte die Teilnahme-Möglichkeit der Presse an den einzelnen Terminen und die Abläufe der offiziellen Pressekonferenz, ob und wie viele Fragen gestellt werden dürfen. Es ist wahrscheinlich leichter, einen Sack Flöhe zu hüten als ein gutes Dutzend Journalisten, die den Präsidenten begleiten, pünktlich zum Beginn des nächsten Programmpunktes zusammenzutrommeln. Doch Schalk schafft es immer wieder. Und wenn irgendein Offizier in Paraguay den Pressetross nicht zum Präsidentenpalast durchlassen will, weil ihm angeblich niemand etwas davon gesagt hat, dann läuft Sigrid Schalk zu großer Form auf. Sie hat "ihre" Journalisten noch immer an den vorgesehenen Arbeitsort gebracht.

Wie durch Zauberhand gelingt es auch immer wieder, dass jeder Koffer der rund 70 Mitreisenden seinen Weg ins richtige Hotelzimmer findet. Dafür sorgen die Gepäckmeister Klaus-Martin Stock und Frank Overrödder, die sich ihre gute Laune auch nicht dadurch verderben lassen, dass sie sich oft bis weit nach Mitternacht um den Transport des Gepäcks zum Flugzeug kümmern müssen, damit es am nächsten Morgen pünktlich losgehen kann.

Der freundliche, diskrete Mann mit dem schwarzen Koffer, der sich ständig in der Nähe des Bundespräsidenten aufhält, ist Willi Schmidtbauer, Oberstabsarzt der Bundeswehr. Wenn er nicht gerade als Delegationsarzt an Staatsbesuchen teilnimmt, arbeitet er als Anästhesist im Bundeswehrkrankenhaus. Zwei Monate im Jahr begleitet er zudem Auslandseinsätze der Armee. Arbeit für den Arzt gibt es auf jeder Reise, auch jetzt in Südamerika. Über Details redet er nicht. Im Notfall könnte er mit dem Inhalt seiner vielen Blechkisten und Koffer einen kleinen Operationssaal ausstatten, vom Wiederbelebungs- bis zum Beatmungsgerät ist alles dabei. Es wurde zum Glück auch diesmal nicht gebraucht.

Am Ende der Südamerika-Reise hat die 70-köpfige Gruppe um den Bundespräsidenten über 30.000 Kilometer zurückgelegt, mehr als 39 Stunden im Flugzeug gesessen, hunderte Gesprächstermine und Besichtigungen sowie elf Staatsbankette und Empfänge hinter sich gebracht. Wieder einmal hat das diskrete Räderwerk der organisierten Diplomatie weitgehend reibungslos funktioniert.

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