Therapiesitzung für Amerika Wenn Trump-Fans auf Trump-Gegner treffen

Blacksburg · Anhänger von Präsident Donald Trump und die Kritiker haben sich nicht mehr viel zu sagen. Eine Initiative will das ändern und setzt sie an einen Tisch.

Als Erstes die Vorurteile. „Wir haben kein Herz, kein Mitgefühl“, ruft Charles Layman über den Tisch. „Wir glauben. Wir glauben an Amerika, statt kritisch zu denken. Folglich sind wir ungebildet“, wirft John Tutle in die Runde. „Wir geben nur ungern Geld für andere aus, für die Gemeinschaft, für die Armen“, fügt Jeff Legge hinzu. „Wir haben was gegen Big Government.“

Layman, Tutle und Legge, sie sind an einem sonnigen Samstagmorgen zusammen mit neun anderen in eine Kirche in Blacksburg gekommen, einer Universitätsstadt im Südwesten Virginias. Im lichtdurchfluteten Saal des modernen Gotteshauses wollen sie den Dialog üben. Den Dialog mit Leuten, die nichts von Donald Trump halten, dem Präsidenten, an dem sie zwar auch manches auszusetzen haben, dem sie aber die Treue halten. Um es zu vereinfachen, benennen sich die Lager nach den Farben ihrer Parteien. Die Republikaner sind rot, die Demokraten blau. Sechs Rote, sechs Blaue. Für die Roten treten ausnahmslos Männer an, für die Blauen immerhin vier Frauen.

 David Blankenhorn will, dass Trump-Fans und Trump-Gegner miteinander sprechen. Er hat eine Initiative mit Gesprächskreisen gegründet.

David Blankenhorn will, dass Trump-Fans und Trump-Gegner miteinander sprechen. Er hat eine Initiative mit Gesprächskreisen gegründet.

Foto: Frank Herrmann

Um sich vorzustellen, sitzen sie zusammen um ein Rechteck aus Tischen. Layman, von Beruf Mathematiker, erzählt, dass er Trump den Zuschlag gab, weil der Mann nicht wie ein normaler Politiker klang. Tutle war Demokrat, ehe er in Ronald Reagan sein Idol fand. Der hat ihn so beeindruckt, dass er auf die rechte Seite wechselte. Legge, ein Programmierer, nach eigenen Worten ein hellroter Republikaner, beklagt eine politische Kultur, die Kompromisse nicht mehr zu kennen scheint, da sich beide Lager verhalten wie verfeindete Stämme.

Patricia Raun, ehemals Schauspielerin, lehrt Kommunikationswissenschaften an der Virginia-Tech-Universität. Eine Blaue, die im lila Pullover erscheint, weil Lila für den Brückenschlag von Rot zu Blau steht. Jon Petters, ein Meteorologe, beklagt sich über Facebook und Twitter. Den Unternehmen sei egal, wie es um die Qualität des Diskurses stehe: „Deshalb bin ich hier“. Colleen Russell, die in einer Bankfiliale arbeitet, war bis vor drei Jahren eine Rote, ehe sie aus Protest gegen Trump zu den Blauen wechselte.

Nach kurzem Abtasten ziehen sich beide Gruppen in getrennte Räume zurück, um in Stichpunkten zusammenfassen, was die andere Seite ihr unterstellt. Ist die Liste komplett, sollen die Denkschablonen auf das eine oder andere Körnchen Wahrheit abgeklopft werden. „Wo zucken Sie zusammen, weil es ja doch irgendwie stimmt?“, malt es Rob Craighurst aus, der Moderator. Craighurst hat ein Berufsleben lang versucht, in Scheidungsangelegenheiten zu schlichten. Es gehe hier nicht darum, den anderen zu überzeugen, gibt er das Ziel vor. Es gehe darum, dem anderen zuzuhören, um ihn vielleicht zu verstehen, statt ihn zu dämonisieren.

Kein Herz? Kein Mitgefühl? Nun, das konservative Milieu unterschätze, wie schwierig es sei, sich aus eigener Kraft aus misslichen Lebensumständen zu befreien, räumt Layman ein, als es um das sprichwörtliche Körnchen Wahrheit geht. „Arbeite hart, zieh dich am eigenen Schnürsenkel aus dem Sumpf, das funktioniert nicht für jeden.“ Da hätten die Blauen schon Recht mit ihren Vorwürfen. Glaubensblind? Ungebildet? Das wollen die Roten nicht auf sich sitzen lassen. „Bei den Blauen“, protestiert einer, „hast du manchmal das Gefühl, sie lassen dich nur mitreden, wenn du ein Hochschuldiplom vorzeigen kannst“. Anmaßend finde er das.

Später tagen Rote und Blaue getrennt, um Fragen an die Gegenseite zu formulieren. Fragen, die Scheinheiliges, Phrasenhaftes aufspießen sollen. „Jeder ist für sich selber verantwortlich, sagt ihr“, schreibt Demokratin Patricia Raun auf einen Zettel. „Macht ihr Witze? Was ist mit dem Haushaltsdefizit? Wälzt ihr die Verantwortung damit nicht auf die nächste Generation ab?“ Colleen Russell reibt sich an der Prämisse, dass Einwanderer nur mit gültigen Papieren in die USA kommen dürfen, weil ja schließlich Regeln zu gelten haben. Ob es die Republikaner ernst meinten mit ihrem Gerede vom schlanken Staat, will Jon Petters wissen. „Wie verträgt sich das mit dem Verbot der Homo-Ehe, mit der Kontrolle der Ehe? Was hat der Staat in den Schlafzimmern der Leute zu suchen?“

„Better Angels“ heißt die Organisation, die solche Dialoge vermittelt, fast 300 Diskussionsrunden in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Ihr Gründer, ein Soziologe namens David Blankenhorn, erinnert sich noch gut daran, wie sich die Amerikaner nach Trumps Wahlsieg fühlten, fast so, als lebten sie auf zwei verschiedenen Planeten. An der Upper West Side, im liberalsten New York, wo er zu Hause ist, herrschte Begräbnisstimmung, während anderswo gejubelt wurde, etwa im Rust Belt, dem Rostgürtel der alten Industrie. Bald darauf trafen sich zehn Anhänger und zehn Gegner Trumps in Ohio zum ersten Arbeitskreis der „Better Angels“. 

Blankenhorn, schwarzer Pulli, schwarzes Jackett, erinnert an einen Prediger, wie er vor dem Kamin in Donna Murphys Wohnzimmer steht. Murphy, eine Ökonomin, hat den Kamin mit einem Tuch geschmückt. Blau-weiß-rot, die Nationalfarben. Es ist die Kulisse, vor der Blankenhorn eine Rede zur Lage des Bundes der US-Staaten hält. Blankenhorn hält sich nicht mit Floskeln auf. „Der Zustand ist kritisch“, mahnt er, von einem Bund könne eigentlich kaum die Rede sein. Im Laufe der amerikanischen Geschichte, ergänzt er, habe es zu jeder Zeit Meinungsverschiedenheiten gegeben. „Aber inzwischen gibt es kein einziges Thema mehr, bei dem wir übereinstimmen. Was immer das Thema ist, die Debatte darüber ist polarisiert.“

Aufgewachsen ist Blankenhorn in Mississippi, dem wohl konservativsten der 50 Bundesstaaten. Nach dem Studium in Harvard wurde er Sozialarbeiter und schrieb Bücher, dann gründete er einen Thinktank. Als Kalifornien per Referendum die Legalisierung der Homo-Ehe ablehnte und das Nein vor Gericht zu verteidigen hatte, trat Blankenhorn als Experte in den Zeugenstand, um darzulegen, warum es Eheschließungen nur zwischen einem Mann und einer Frau geben kann. Zwei Jahre später änderte er seine Meinung, und um den Sinneswandel zu begründen, schrieb er einen Essay für die „New York Times“. „Jeder, der mich bis dahin gemocht hatte, schien mich auf einmal zu hassen. Und jeder, der mich gehasst hatte, mochte mich plötzlich“, erinnert er sich.

Schon damals, im Jahr 2012, dachte Blankenhorn darüber nach, wie man dem Lagerdenken die Spitze nehmen könnte. Noch 1976 wohnte nur jeder vierte US-Bürger in einem County, den eine Partei regelmäßig deutlich gewann. Inzwischen leben 60 Prozent der Amerikaner in Wahlkreisen, die eine Partei fest im Griff hat. Die Leute sind unter Gleichgesinnten. Für den Dialog sei das Gift, klagt Blankenhorn. Wer nur mit seinesgleichen rede, bekomme nur bestätigt, was er ohnehin schon wisse.

(F.H.)
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