Analyse Südafrika braucht eine neue Vision

Düsseldorf · Analyse Frederik Willem de Klerk, Südafrikas letzter weißer Präsident, sorgt sich vor den anstehenden Parlamentswahlen im Mai um sein Heimatland. Gesucht werde ein neuer Staatschef, der Aufbruchstimmung verbreitet.

Die Stimme ist etwas schwächer und der Haarkranz um seinen Kopf noch ein wenig lichter geworden. Ansonsten deutet wenig darauf hin, dass Frederik Willem de Klerk, Südafrikas letzter weißer Präsident, zuletzt gesundheitlich angeschlagen war und vor wenigen Tagen 83 Jahre alt geworden ist. Fast drei Jahrzehnte liegt der Moment zurück, der de Klerk weltweit in die Schlagzeilen katapultierte. Es war am 2. Februar 1990, einem heißen Kapstädter Sommertag, als der wenige Monate zuvor ins Amt gekommene de Klerk sein Land und die Welt mit einer Rede elektrisierte, in der er die vollständige Abschaffung der seit 1948 praktizierten Rassentrennung verkündete und schließlich auch durchsetzte. Alle bis dahin verbotenen schwarzen Widerstandsbewegungen sollten wieder zugelassen und alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Darunter auch Nelson Mandela, der eine Woche später vor den Augen der Welt in die Freiheit schritt.

Zur Erinnerung an das politische Erdbeben von damals lädt die von de Klerk gegründete, gleichnamige Stiftung seit 2010 regelmäßig zu einer Zusammenkunft in Kapstadt ein, auf der die Lage im Land erörtert wird. Die eines Landes, das de Klerk trotz dessen vielfältiger Probleme und schleichenden Niedergangs noch immer als ein „weit besseres“ als jenes betrachtet, das er vor 30 Jahren regiert habe. Vor wenigen Wochen war es wieder soweit, die Stiftung diskutierte über die Zukunft Afrikas.

De Klerk schlug in seiner Rede mehrheitlich düstere Töne an, so sehr er sich auch um einen positiven Gesamtausblick mühte. In Südafrika ist und bleibt die Ungleichheit weltweit am größten, noch größer als sie bereits 1994 zum Ende der Apartheid gewesen sei. Und nirgends sei diese Ungleichheit stärker ausgeprägt, als innerhalb der schwarzen Bevölkerung des Landes. Ein Grund dafür sei das Bildungssystem, dem de Klerk trotz staatlicher Ausgaben von mehr als 1000 Euro pro Schüler ein „katastrophales Versagen“ bescheinigte. So sei Südafrika in einer OECD-Bewertung der weltweiten Bildungssysteme unter 76 Ländern nur auf Rang 75 gekommen. Vor allem in Mathematik und Naturwissenschaften schneide das Land inzwischen schwächer ab als viele weit ärmere Länder in Afrika. Kein Wunder, dass von 100 Schülern, die am Kap mit der Schule beginnen, sich gerade einmal zwölf für die Universität qualifizieren und viele andere vorzeitig auf der Strecke bleiben würden.

Besonders besorgt zeigte sich de Klerk jedoch über die vom seit 25 Jahren allein regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) erlassenen Rassenquoten, die ohne jede Rücksicht auf die gesellschaftlichen Realitäten am Kap forciert würden. Auch seien die Quoten nicht eingeführt worden, um allen Läufern (sprich: Bürgern des Landes) die gleichen Startchancen zu geben. Sondern vor allem mit der Absicht, dass alle Läufer zur gleichen Zeit über die Ziellinie laufen sollten – der schnellste wie auch der langsamste.

Dass man durch diese extreme Form der Gleichmacherei jeden Wettbewerb hemme und den Schnelleren jeden Leistungsanreiz nehme, scheine den ANC nicht im geringsten zu stören, beklagte der frühere Präsident. Die Folgen dieser wettbewerbsfeindlichen Politik lasse sich überall beobachten. So hat das fast schon besessene Streben des ANC nach einem künstlichen Rassenproporz in jeder Sphäre der Gesellschaft alle Institutionen nachhaltig und wohl dauerhaft geschwächt. Unterstützt wurde de Klerk in dieser Sicht der Dinge von Moeletsi Mbeki, dem politisch inkorrekten Bruder des früheren Präsidenten Thabo Mbeki.

Der Unternehmensberater und Buchautor sieht in der gegenwärtigen Regierungspolitik einen „verheerenden Schlag gegen das schwarze Unternehmertum“, weil die gegenwärtige Politik des ANC eine kleine Kaste unproduktiver, aber sehr reicher schwarzer „Kumpel-Kapitalisten“ schaffe, die fast nur aus hochrangigen und bereits gut situierten ANC-Politikern bestehe. Dass sich daran unter dem neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa etwas grundsätzlich verändern könnte, glaubt Mbeki nicht: Die Machthaber seien „zu faul“ und wollten sich lieber an den Pfründen des Staates bedienen, statt ernsthaft zu regieren, zumal richtiges Regieren anstrengend und oft auch unpopulär sei.

Was passiert, wenn die Grenze zwischen Staat und Regierungspartei wie in Südafrika verwischt, zeigt beispielhaft der staatliche Stromkonzern Eskom, der über 90 Prozent aller Elektrizität liefert und unter der Apartheid zu den profitabelsten Versorgungsunternehmen der Welt zählte. Hierhin hat die Regierung im Zuge ihres sogenannten „Cadre Deployment“ viele ausgediente und oft korrupte Parteimitglieder entsorgt, um gleichzeitig viele weiße Techniker zu entlassen. Eskom ist darüber zum größten Risiko für die Wirtschaft mutiert: Über die vergangenen zehn Jahre ist die Belegschaft um fast 50 Prozent und die Schuldenlast auf nun umgerechnet 28 Milliarden Euro gestiegen, obwohl das Land heute weniger Strom produziert als 2008. Dass Südafrika bis vor kurzem gerade noch ausreichend Strom hatte, lag allein daran, dass das Wirtschaftswachstum auf unter ein Prozent abgestürzt ist und die Stromnachfrage deshalb stagniert.

Leicht wird die Wende zum Besseren deshalb nicht werden. Nach der verheerenden Präsidentschaft des vor einem Jahr geschassten Staatschefs Jacob Zuma bräuchte Südafrika nun dringend einen Führer, der seinen Menschen, wie einst de Klerk und Mandela, eine neue Vision gibt und Aufbruchsstimmung verbreitet. Doch noch ist dieser nirgendwo in Sicht. „Wir müssen an unsere friedliche Revolution vor 25 Jahren zurückdenken“, mahnte de Klerk in seiner Rede. „Und uns daran erinnern, dass wir in Südafrika darauf spezialisiert sind, das Unmögliche zu erreichen.“

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