Neue Hoffnung im Lockdown Merkel-Berater hält Corona-Entspannung schon Mitte Februar für möglich

Berlin/Düsseldorf · Der Mobilitätsforscher und Merkel-Berater Kai Nagel hält ein schnelles Absinken der Inzidenz auf Werte von unter 50 für machbar, wenn die Menschen ihre Kontakte weiterhin so einschränken wie zum Jahreswechsel.

 Eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt in Berlin-Mitte hält ein Abstrichstäbchen in ein Autofenster in einer ambulanten Corona Test-Einrichtung.

Eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt in Berlin-Mitte hält ein Abstrichstäbchen in ein Autofenster in einer ambulanten Corona Test-Einrichtung.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einen neuen Wissenschaftler in ihr Corona-Expertengremium berufen, den Berliner Mobilitätsforscher Kai Nagel. Und der aus Köln stammende Physiker und Informatiker, der heute an der Technischen Universität Berlin lehrt, wartete gleich mit einer Überraschung auf. Eine schnelle Senkung der Zahl der wöchentlichen neuen Infektionen pro 100.000 Einwohner auf den Inzidenzwert von unter 50 ist schon bis Mitte Februar möglich.

Der Wissenschaftler hat dafür anhand anonymer Mobilfunkdaten die Zeit ermittelt, die Menschen in der Bundeshauptstadt pro Tag außerhalb ihrer Wohnung verbringen. Auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie im vergangenen Jahr sank diese Zahl von durchschnittlich sieben Stunden Anfang März bis auf vier zum Ende des Monats. Danach stieg sie im Lauf des Jahres bis in den September auf fast acht Stunden wieder an. Die zweite Welle der Infektionen und der folgende Lockdown führte schließlich dazu, dass die Bewohner Berlins, die Nagel untersuchte, am Jahreswechsel wieder nur viereinhalb Stunden außerhalb ihrer Wohnung verbrachten, ob zum Einkaufen oder in ihrer Arbeitsstätte.

Daraus schöpft der Telematik-Professor neue Hoffnung. „An Weihnachten und über Neujahr haben die Menschen laut unseren Daten ihre Kontakte sehr eingeschränkt. Wenn wir weiter die Zähne zusammenbeißen und uns diszipliniert verhalten, können die Zahlen schneller sinken als bisher erwartet“, sagte der Wissenschaftler unserer Redaktion. Das ergibt sich aus einer einfachen mathematischen Logik. Denn die Fallzahlen nehmen exponentiell, also beschleunigt, zu, wenn die Infektionen sich verbreiten. Aber sie schrumpfen genauso schnell, wenn das Coronavirus keine neuen Wirte findet, eben die Menschen.

Die Zahlen von Berlin lassen sich nach Ansicht Nagels gut auf andere Metropolen übertragen. In weniger dicht besiedelten Gebieten nimmt die Verbreitung etwas langsamer zu, könnte aber sogar noch schneller abnehmen, weil die Ansteckungsrate niedriger ist als in den Ballungsgebieten. Der Computerspezialist geht zudem davon aus, dass die neue Mutation für eine beschleunigte Verbreitung des Virus sorgt. „Die ansteckendere Mutation des Coronavirus ist ein zusätzliches ernstes Problem“, befürchtet Nagel. Deshalb seien bessere Atemschutzmasken und eine Homeoffice-Pflicht durchaus sinnvoll, um auf die neue Variante zu reagieren. An seiner Prognose hält der TU-Forscher Nagel dennoch fest. „Wenn die Mobilität so gering bleibt wie in der ersten Januarwoche, und darüber hinaus mehr Menschen ins Homeoffice gehen oder im Büro medizinische Masken tragen oder in Einzelbüros sitzen, können wir Mitte Februar Inzidenzwerte von weniger als 50 wöchentliche Fälle pro 100.000 Einwohner erreichen.“

Unterstützung erhält Nagel vom Modellrechner Sebastian Binder, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung an Simulationsrechnungen (HZI) arbeitet. Der HZI-Mathematiker verweist dabei auf die Reproduktionszahl, die angibt, wie viele Menschen sich bei einem Corona-Infizierten anstecken. Bei der Zahl 1,1 würde das Virus von zehn auf elf Menschen innerhalb von vier Tagen übertragen, bei 0,9 sind es nur neun. „Bei einer Reproduktionszahl von 0,7 würden sich die Fälle in etwas mehr als einer Woche halbieren“, hat Binder mit seinen Kollegen errechnet. „Ein Erreichen des zur Zeit gesteckten Ziels einer 7-Tage Inzidenz von unter 50 pro 100.000 Einwohner noch im Februar ist auch in unserem Modell realistisch.“

Beide Wissenschaftler halten aber die strengeren Maßnahmen auf absehbare Zeit für notwendig. „In Städten und Kreisen mit hohen Infektionszahlen ist sogar eine nächtliche Ausgangssperre sinnvoll, um die Inzidenz schnell zu senken“, findet Nagel. Und HZI-Forscher Binder fügt hinzu: „Entscheidend dafür ist, dass wir den aktuellen Trend fallender Zahlen nicht gefährden, sondern eher noch verstärken.“

Dieser Artikel wurde gegenüber einer früheren Version verbessert. In ländlichen Räumen nimmt die Zahl der Ansteckungen wegen der geringeren Reproduktionszahl (R) langsamer zu, geht aber schneller wieder zurück, wenn R unter Eins fällt. In der früheren Version war von einem gedämpfteren Sinkflug die Rede, was unter dieser Bedingung nicht richtig ist.

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