Unser ständiger Begleiter Wie das Coronavirus von nun an unser Leben bestimmen wird

Meinung | Düsseldorf · Die Menschen müssen noch lange mit Einschränkungen durch die Corona-Krise leben. Die beschleunigte Digitalisierung, neue Hygiene-Regeln und der Verzicht auf Reisen, Konzerte und Sport-Events wird das Leben prägen.

 Leere Straßenbahnen, Menschen mit Atemschutzmasken. Das Coronavirus prägt schon jetzt unseren Alltag.

Leere Straßenbahnen, Menschen mit Atemschutzmasken. Das Coronavirus prägt schon jetzt unseren Alltag.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Für die meisten Virologen besteht kein Zweifel: Die Menschheit wird noch über Monate und sogar Jahre mit dem Coronavirus leben müssen. Recht drastisch formulierte es der derzeit wohl bekannteste deutsche Mediziner, Christian Drosten. „Wir müssen vielleicht davon ausgehen, dass wir gesellschaftlich ein Jahr im Ausnahmezustand verbringen müssen“, sagte der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité jüngst im Interview mit „Zeit Online“.

Mit den beschlossenen Lockerungen wird bestenfalls ein bisschen Alltag einkehren. Die Menschen werden weiterhin strenge Vorgaben beachten müssen, die Alten und Kranken bleiben isoliert, und an Konzerte, Fußballspiele oder Messen ist lange Zeit nicht zu denken. Es wird ein Leben mit dem Virus sein, mit der ständigen Sorge, das Gesundheitssystem könnte überlastet werden oder die Wirtschaft in die größte Rezession ihrer Geschichte schlittern.

Doch es gibt auch eine neue Normalität. Mit einem gewissen Fatalismus nehmen es die meisten hin, dass sie noch längere Zeit zum Nichtstun oder zum Improvisieren verurteilt sind, während Ärzte, Pfleger, Supermarktbeschäftigte oder Lkw-Fahrer an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten. Und auch das Zusammenrücken der Familien und die Beaufsichtigung der Kinder und Jugendlichen trotz Berufstätigkeit werden Teil der neuen Normalität bleiben.

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Wie aber sehen die großen Zusammenhänge in der Pandemiezeit aus? Die Wirtschaftsexperten haben schon Szenarien entworfen, wie sich die Weltwirtschaft und die nationalen Ökonomien in den nächsten Quartalen bis 2021 entwickeln könnten. Als recht robust gilt die Frühjahrsprognose der führenden Wirtschaftsinstitute, die für Deutschland ein Minus von 4,2 Prozent und eine Arbeitslosigkeit von knapp sechs Prozent vorhersagt. Nach einem Einbruch im zweiten Quartal ist schon eine Besserung im dritten und vierten möglich. Die meisten Unternehmen in Deutschland produzieren noch oder fahren ihre Herstellung wieder hoch. Der Maschinenbauer Freudenberg erhält beispielsweise wieder erste Lieferungen aus China. Die Arbeitsteilung funktioniert auch in Zeiten von Corona.

Und auch der Hauptgewinner der Pandemie steht bereits fest. „Die Corona-Krise wird die digitale Transformation der Gesellschaft beschleunigen. Der Digitalbereich wird in neue Dimensionen vordringen. Das ist schon an den zum Teil gestiegenen Aktienwerten für die dort führenden Unternehmen ablesbar“, meint Achim Wambach, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Das gilt auch für den Online-Handel, für neue dezentrale Arbeitsformen und die Abhängigkeit der Menschen von digitalen Geräten aller Art.

Selbst Kultur und Sport sind auf längere Zeit nur per Internet und Fernsehen zu konsummieren. Viele Stars, egal ob aus der klassischen Welt oder aus dem Popgeschäft, wenden sich mit Live- oder Youtube-Videos an ihr Publikum. Fußball und andere Sportarten könnten bis weit in den Herbst hinein nur auf die Entfernung hin zu sehen sein. Die Massengesellschaft ist gewissermaßen an ihr vorläufiges Ende gekommen, die kleine Gruppe wird auf Monate die wichtigste Umgangsform bleiben.

Den bei so vielen Menschen beliebten Reisen hat das Virus ohnehin den Garaus gemacht. „Die Corona-Pandemie hat die Reisebranche wie kaum eine zweite fundamental getroffen. Die weltweite Reisewarnung hat das Reisegeschäft aktuell zum Erliegen gebracht“, meint Tobias Jüngert, Sprecher der DER Touristik Group, die in Deutschland 2100 Reisebüros unterhält. Die touristischen Hotspots dürften im Sommer eher leer bleiben, solange die Beschränkungen nicht aufgehoben werden. Und selbst bei einer Lockerung ist nicht sicher, ob die Fluglinien und Hotels über genügend Kapazitäten verfügen, große Besucherzahlen aufzunehmen. Deshalb werden nahe Ziele, wenn überhaupt welche, auf dem Programm der Touristen stehen: das eigene Ferienhäuschen, die gewohnte Pension, der in der Nähe liegende Baggersee. „Bei einer Lockerung dürfte zunächst der Urlaub in Deutschland profitieren“, meint DER-Kommunikationschef Jüngert.

Hygiene und Gesundheitsschutz wiederum dürften beim Reisen und auch im Arbeits- und Freizeitumfeld der Menschen dauerhaft eine überragende Rolle spielen. Für die Reisebranche dekliniert das Tourismusexperte Jüngert durch: „Das erfordert neue Hygienestandards, ähnlich wie bei den neuen Sicherheitsstandards fürs Fluggepäck nach den Anschlägen vom 11. September. Hier sind alle gefragt: Airlines, Flughäfen, Busunternehmer, Hotels, Reedereien und auch die Anbieter von Privatunterkünften.“

Auch die Produzenten von Gütern oder Dienstleistungen werden den Schutz ihrer Mitarbeiter und die Vermeidung von Infektionen auf ihrer Agenda ganz oben haben. „In Zukunft müssen die Unternehmen neue Hygiene- und Gesundheitsstandards einhalten. Die führen zu Kostensteigerungen, sowohl bei den noch produzierenden Unternehmen wie auch bei denen, die jetzt langsam wieder aktiv werden“, erwartet ZEW-Chef Wambach.

Das Coronavirus wird also auf absehbare Zeit unser Arbeiten, unser Freizeitverhalten und unsere Familien bestimmen. Schulen und Universitäten werden neue Formen der Wissensvermittlung fast notgedrungen ausprobieren. Der Schutz und der Umgang mit der älteren Generation braucht neue Spielregeln. Die Aufwertung der Pflege ist bereits voll im Gang. Die Teilhabe der Älteren und Kranken an der Gesellschaft muss in Zeiten der Isolation ganz neu geübt werden. Auch hier helfen das Internet, das Smartphone und die Schaltkonferenz.

Was davon dauerhaft nach der Pandemie bleibt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Klar ist nur, dass sich vieles ändert durch das Leben mit dem Virus.

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