Nach fünf Jahren Vorbereitung ist die Schau endlich in Wesel zu sehen Wie Familien den großen Krieg erlebten

Wesel · Fast überfällig, doch endlich gelungen ist eine Schau im LVR-Niederrheinmuseum Wesel, die Samstag eröffnet wird. Von 4000 Objekten privater Leihgeber erzählen nun 250 Stücke, was die Vorfahren im Ersten Weltkrieg erlitten haben.

 Deutsche Soldaten speisen Einheimische eines besetzten Gebiets an der Westfront. „Der Barbar verteilt Essen an die Kinder der armen Bevölkerung“ steht auf dem hier nicht sichtbaren Rand der Karte. Damit wollten die bei den Alliierten als Hunnen verteufelten Deutschen sagen: Seht her, so schlimm sind wir gar nicht.“

Deutsche Soldaten speisen Einheimische eines besetzten Gebiets an der Westfront. „Der Barbar verteilt Essen an die Kinder der armen Bevölkerung“ steht auf dem hier nicht sichtbaren Rand der Karte. Damit wollten die bei den Alliierten als Hunnen verteufelten Deutschen sagen: Seht her, so schlimm sind wir gar nicht.“

Foto: Fritz Schubert

Seit vier Jahren wird europaweit auf allen Kanälen über Ursachen, Abläufe und Folgen des großen Kriegs von 1914 bis 1918 berichtet, der letztendlich als Erster Weltkrieg in die Geschichte eingehen sollte. Das von Historikern als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ eingestufte Geschehen hat auch am Niederrhein tiefe Spuren hinterlassen. Nicht mit unmittelbaren Kampfhandlungen, aber mit viel Leid und Not für nahezu jede Familie. Dies darzustellen, Gefühlslagen der ganz einfachen Menschen erfahrbar zu machen, das war das Ziel einer lange geplanten Ausstellung, die nun endlich im LVR-Niederrheinmuseum Wesel gezeigt werden kann.

„Unsere Familie im Ersten Weltkrieg“ heißt die Sonderausstellung, für die ein Aufruf vor gut fünf Jahren den Grundstock bildete. Aus dem Raum Duisburg sowie den Kreisen Wesel und Kleve folgten viele dem Appell, Erinnerungsstücke beizusteuern. Binnen sechs Monaten kamen aus privaten Nachlässen rund 4000 Objekte zusammen. Während Sanierungsphasen mit immer neuen Verzögerungen eine zur 100-jährigen Wiederkehr des Geschehens die Schau im Weseler Museum lange unmöglich machten, kommt sie jetzt zum Stichtag des Kriegsendes gerade noch rechtzeitig. Entsprechend froh und glücklich, weil den Leihgebern gegenüber ja auch verpflichtet, präsentierten Direktor Veit Veltzke und der wissenschaftliche Referent des Hauses, Helmut Langhoff, am Mittwoch das Ergebnis. Und das kann sich sehen lassen.

 Helmut Langhoff vom LVR-Niederrheinmuseum Wesel ist froh und glücklich, die Sonderausstellung „Unsere Familie im Ersten Weltkrieg“ aus 80 privaten Nachlässen von Duisburg bis Kleve endlich zeigen zu können.

Helmut Langhoff vom LVR-Niederrheinmuseum Wesel ist froh und glücklich, die Sonderausstellung „Unsere Familie im Ersten Weltkrieg“ aus 80 privaten Nachlässen von Duisburg bis Kleve endlich zeigen zu können.

Foto: Fritz Schubert

Rund 100 meist stark vergrößerte Fotos sowie 150 weitere Objekte erzählen die Geschichte aus der Sicht von Arbeitern, Handwerkern, Bauern, ihren Frauen und Kindern, Müttern und Vätern. Es sind gerade die privaten Dokumente, die viel über den Mikrokosmos Familie im Weltenbrand aussagen. Nie zuvor wurde so viel fotografiert und geschrieben. Pro Tag gingen allein in Deutschland 16,7 Millionen Feldpost-Sendungen auf die Reise, in Frankreich vier und in England zwei Millionen.

 Noch sind sie kurz zusammen. Dann trennt sie der Krieg. Hinter den Aufnahmen solcher Paare verbergen sich herzzerreißende Schicksale.

Noch sind sie kurz zusammen. Dann trennt sie der Krieg. Hinter den Aufnahmen solcher Paare verbergen sich herzzerreißende Schicksale.

Foto: Fritz Schubert

Unvorstellbare 60 Milliarden Karten und Briefe waren es insgesamt über alle vier Kriegsjahre. Mithin sind die postalischen Hinterlassenschaften der Kriegsteilnehmer ein Schwerpunkt der Ausstellung. Sie dokumentieren die Wichtigkeit von Kommunikation zwischen Heimat und Front. Immer wieder sind es Lebenszeichen, die beruhigen sollen. Da gibt es heroisch-propagandistisch dekorierte Karten, Ansichten von daheim und jede Menge selbst aufgenommene Fotografien, die als Postkarten verschickt wurden. Gezeigt wurde nicht nur die heile Welt. Wenngleich alles die Zensur durchlief, sind Bilder der Zerstörung dabei, Szenen aus Schützengräben und Lazaretten. Inhaltlich kommt immer wieder die Hoffnung auf baldige Heimkehr zum Ausdruck, mit der Dauer des Krieges auch Desillusionierung.

 In vielen Familien am Niederrhein sind bis heute neben Feldpost und Fotografien auch Orden und Ehrenzeichen der Kriegsteilnehmer aufbewahrt worden.

In vielen Familien am Niederrhein sind bis heute neben Feldpost und Fotografien auch Orden und Ehrenzeichen der Kriegsteilnehmer aufbewahrt worden.

Foto: Fritz Schubert

Emotional anrührend sind unter anderem Kinderbilder. Auf einem Klassenfoto voller Knirpse ist ein Jahrgang zu sehen, dessen Jungen später komplett in den Krieg zogen. Familienbilder zeigen gelassene Uniformierte vor dem Gang ins Feld mit ernsten Frauen und mehr als skeptisch dreinblickenden Kindern. Es gibt auch kurios anmutende Szenarien wie eine große Gruppe junger Männer aus dem Raum Schermbeck, die sich im Juli 1916 vor Verdun versammelt haben, um mit Bier den Kilianstag zu feiern.

Nicht zu allen Personen sind Namen bekannt, doch lassen sich zu sehr vielen die Schicksale nachvollziehen. Anrührend sind beispielsweise die Porträts von Paaren, die sich teils mitten im Krieg in der Heimat fanden, dann getrennt wurden. Ein Hünxer ging beispielsweise noch zu Friedenszeiten in die französische Fremdenlegion nach Nordafrika, weil seine Eltern seine Liebste nicht akzeptieren wollten. Aus der Legion setzte er sich wieder ab, zog daheim den kaiserlichen Rock an und fiel 1915. Ein Marinesoldat aus Oberhausen-Holten verbrachte einen Heimaturlaub in Berlin, verlobte sich dort und fiel 1918 als Besatzungsmitglied der „Westfalen“ beim Landungsunternehmen in Helsingfors (Helsinki).

Zudem sind Frauen ein Schwerpunkt der Schau, mussten sie doch in der Heimat die Verantwortung auch für das wirtschaftliche Überleben der Familie tragen. Viele mussten sich Arbeitsstellen suchen, in tradierte Männerrollen schlüpfen. Damit werden auch soziale Veränderungen deutlich.

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