Wesel 40 Meter über dem Fluss auf dem Trockenen

Wesel · Wenn Heinz Bongers Brücke hört, dann denkt er an die Rheinbabenbrücke, deren Pfeiler die noch aktuelle Brücke tragen. Und er denkt an Silvester 1943. Der damals 16-Jährige war Lehrling in einem Weseler Betrieb und Flak-Wehrmann. Das hieß, dass er in jeder dritten Nacht Dienst an der 2-cm-Kanone hatte, um von den Brückentürmen aus eventuelle Luftangriffe abzuwehren. "Wie es der Zufall oder Berechnung wollte, hatte ich am 31. Dezember 1943 Dienst", berichtet der Weseler. Er war für die Wache von 22 bis 24 Uhr eingeteilt und hockte "mutterseelenallein, etwa 40 Meter über dem Rhein, und wartete auf das neue, so verhängnisvolle jahr 1944".

Tief unter dem Jungen hatten die Kameraden aus besonderem Anlass vom Batteriechef ein Fläschchen Starkbier bekommen. Bongers hoffte, nach 24 Uhr auch was abzukommen. Aber dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Hatte er anfangs noch bierseligen Gesang gehört, so verstummte dieser nach dem Jahreswechsel gänzlich. Die Wirkung des Getränks war offenbar so nachhaltig, dass sich keiner seiner Kameraden in der Lage sah, den Mann am Geschütz abzulösen. Denn dafür hätte er eine zehn Meter hohe, außen anliegende Holzstiege erklimmen müssen.

Bongers stand auf verlorenem Posten. Denn es war ihm bei Todesstrafe untersagt, ihn zu verlassen. Telefonanrufe nach unten wurden nicht mehr angenommen. Er musste ausharren. Die Ablösung kam dann um 6 Uhr in Form des Zugführers, der ihn mit besten Wünschen zum neuen Jahr entließ. "Vollständig durchgefroren" fuhr Bongers mit dem Rad nach Hause. "Meine Familie hat mich an diesem Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen."

(RP)
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