Viersen-Dülken Auf den Spuren des NS-Terrors in Dülken

Wo sich die NSDAP in Dülken erstmals versammelte, wo die Nationalsozialisten die Synagoge abfackelten — rund 80 Teilnehmer aus Viersen und Umgebung nahmen an einem Rundgang zu NS-Gedenkstätten in Dülken teil.

 Der Saal der Gaststätte Germania an der Lange Straße/Eintrachtstraße ist am 22. November 1930 erstmalig Versammlungsort.  Bis zu 700 Personen fanden hier Raum. Dort fand auch die erste Stadtratssitzung mit NSDAP-Besetzung nach der „Machtergreifung“ statt.

Der Saal der Gaststätte Germania an der Lange Straße/Eintrachtstraße ist am 22. November 1930 erstmalig Versammlungsort.  Bis zu 700 Personen fanden hier Raum. Dort fand auch die erste Stadtratssitzung mit NSDAP-Besetzung nach der „Machtergreifung“ statt.

Foto: Julia Esch

Nur eine Gedenktafel an der Martin-Luther-Straße erinnert daran: Direkt gegenüber der evangelischen Kirche in Dülken stand einst die Dülkener Synagoge. „Christen und Juden lebten in Dülken miteinander, auch die Häuser der jüdischen Familien waren im gesamten Stadtgebiet verstreut“, sagt Arie Nabrings.

 Direkt gegenüber der evangelischen Kirche an der Martin-Luther-Straße in Dülken stand einst die Dülkener Synagoge. Heute erinnert eine Gedenktafel an sie.

Direkt gegenüber der evangelischen Kirche an der Martin-Luther-Straße in Dülken stand einst die Dülkener Synagoge. Heute erinnert eine Gedenktafel an sie.

Foto: Julia Esch

Der frühere Stadtarchivar und Historiker führt an diesem Samstag eine der drei Gruppen von Interessierten durch Dülken: Ein Rundgang zu den Stationen, an denen bis heute Erinnerungen an die NS-Verbrechen sichtbar sind, mit rund 80 Teilnehmern. Mirko Danek, Vorsitzender des Vereins für Förderung der Erinnerungskultur Viersen 1933–45: „Auch beim Rundgang in Alt-Viersen im Frühjahr hatten wir etwa gleich viele Teilnehmer, wir freuen uns sehr über die Resonanz.“

 Christine Flämig, 70, aus Dülken: „Wir hatten uns mit diesen Geschehnissen im Schulunterricht kaum befasst, es interessiert mich aber seit meiner Kindheit. Dieses Thema darf man nie einschlafen lassen.“

Christine Flämig, 70, aus Dülken: „Wir hatten uns mit diesen Geschehnissen im Schulunterricht kaum befasst, es interessiert mich aber seit meiner Kindheit. Dieses Thema darf man nie einschlafen lassen.“

Foto: Julia Esch

Neben Erinnerungen an Vertreibung und Tod birgt der ehemalige Standort der Synagoge auch einen der größten Beweise von Menschlichkeit in dieser Zeit: „Als sich die Zerstörung der Synagoge andeutete, nahm der evangelische Pfarrer Wilhelm Veit heilige Gegenstände der jüdischen Gemeinde entgegen und versteckte sie“, erzählt Nabrings. Er hielt auch die von Nationalsozialisten in Brand gesetzte Synagoge in Fotografien fest. Bereits im Studium hatte sich Veit klar gegen das NS-Regime bekannt und später einen engen und guten Draht zur jüdischen Gemeinde gepflegt. Damit riskierte er sein Leben.

 In der Mitte des Balkongitters war einst ein Hakenkreuz eingefasst. Heute deuten nur die Halterungen noch darauf hin.

In der Mitte des Balkongitters war einst ein Hakenkreuz eingefasst. Heute deuten nur die Halterungen noch darauf hin.

Foto: Julia Esch

„Auch ein Austritt aus ihrer Gemeinde bewahrte Juden nicht vor Verfolgung und Tod“, sagt Nabrings. Ein Beispiel dafür ist das Haus der Familie Süßkind in Nähe des Neumarkts am Nordgraben. Viktor Süßkind schafft es, dem Tod zu entfliehen, indem er 1939 nach Ecuador flieht und das Haus an die Familie Lieb verkauft. Mitglied der jüdischen Gemeinde ist er zu dieser Zeit nicht mehr, trotzdem verliert er seine Lebensgrundlage und Heimat. Nach Kriegsende wird Juden das Recht zugesprochen, ihr Eigentum zurückzufordern. Lieb erhält von Süßkind 1950 eine Antwort auf einen Brief zu diesem Anliegen. „Von diesem Recht werden wir keinen Gebrauch machen, auch wenn es uns zustehen würde. Sie waren immer anständig zu uns“, heißt es darin. Im einstigen Vaterland sei alles verloren, alle Liebsten umgekommen, doch Gott habe ihn vor dem Schlimmsten bewahrt, schreibt Süßkind.

 Kim Töpfer, 28, aus Overhetfeld: „Ich finde es wichtig, die Vergangenheit in der eigenen Umgebung zu kennen. Ich will mir durch diese Erfahrungen auch politisch ein eigenes Bild machen und mich distanzieren können.“

Kim Töpfer, 28, aus Overhetfeld: „Ich finde es wichtig, die Vergangenheit in der eigenen Umgebung zu kennen. Ich will mir durch diese Erfahrungen auch politisch ein eigenes Bild machen und mich distanzieren können.“

Foto: Julia Esch

Das Kriegerdenkmal an der alten Stadtmauer ist bis heute kontrovers diskutiert. Das von Bildhauer Willy Meller geschaffene Denkmal wurde am 21. Oktober 1934 enthüllt. Es stellt den jungen Krieger Siegfried dar. Mit geballter Faust und und einem Schwert vor der Stadtmauer, bereit zum Kampf. Hinter ihm stellen fünf Basaltsteine mit 451 Namen von Soldaten den Berg aus Leibern da, der sich schützend vor die Stadt stellt. Nabrings: „Das ist symbolisch und in der Umsetzung sehr durchdacht.“ Bis heute sei es kritisch angesehen, wenn Gedenkveranstaltungen für die Gefallenen am Denkmal aus der NS-Zeit abgehalten werden. „Das wäre auch auf dem Friedhof möglich“, sagt Nabrings.

 Das Kriegerdenkmal an der Theodor-Frings-Allee wird heute noch kontrovers angesehen. Es ist nationalsozialistisch in Symbolik und Darstellung.

Das Kriegerdenkmal an der Theodor-Frings-Allee wird heute noch kontrovers angesehen. Es ist nationalsozialistisch in Symbolik und Darstellung.

Foto: Julia Esch

Auch Wohlstand oder Erfolg hätten niemanden vor den Schikanen der Nationalsozialisten bewahrt. Ganz im Gegenteil: „Die NSDAP rief bei Machtergreifung dazu auf, nicht mehr bei jüdischen Kaufleuten einzukaufen“, sagt Nabrings. Es hieß, die großen Kaufhäuser und Läden würden den Mittelstand ruinieren. Zu diesen gehörte auch die Familie des jüdischen Metzgers Stern mit Sitz an der Langen Straße. Heute befindet sich dort ein Friseursalon. Um die Vergangenheit einzelner Häuser am Hühnermarkt, am Alten Markt oder an der Langen Straße wissen insbesondere ältere Dülkener noch. „Mich hat das Thema bereits in der Schulzeit interessiert“, sagt Christine Flämig. Die 70-jährige Dülkenerin kennt viele Geschichten, auch aus Erzählungen ihrer Eltern, ähnlich wie andere Teilnehmer ihres Alters. „Meine Mutter hat damals in der Drogerie gearbeitet. Die Juden durften nicht nur keine Ware mehr verkaufen, auch kaufen konnten sie anderswo nicht mehr“, sagt eine Teilnehmerin des Rundgangs. „Wenn sie in die Drogerie kamen, wurden sie nicht mehr bedient.“ Was damals geschehen sei, dürfe nie vergessen werden, findet Flämig.

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