Stadtkulturbund Fado auf eine ganz neue Art interpretiert

St. Tönis · Als letztes Konzert der Reihe „Götterspeise“ 2018/2019 in der Christuskirche gab es einen Fado-Abend mit der Estrada Fado Group. Als Sängerin kam Dagmara Zajac hinzu. Die Evangelische Kirchengemeinde wird die Reihe fortsetzen.

 Die Estrada Fado Group trat zusammen mit der Jazzsängerin und Cellistin Dagmar Zajac in der Christuskirche auf. Zur Band von Luis Delgado (Mitte) gehören (von links) noch Serdar Yayla, Jonny Freitas und Hans Fuecker.

Die Estrada Fado Group trat zusammen mit der Jazzsängerin und Cellistin Dagmar Zajac in der Christuskirche auf. Zur Band von Luis Delgado (Mitte) gehören (von links) noch Serdar Yayla, Jonny Freitas und Hans Fuecker.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Auf dem Weg zur Christuskirche biegt wieder einmal ein schwerer Sattelschlepper – trotz der neuen Verbotsschilder – in die Hülser Straße ein. Wenige Momente später, beim Konzert der Estrada Fado Group in der Christuskirche, glaubt man fest daran, dass stattdessen gleich die weiß-gelbe „carris“, die kleine Oldtimer-Straßenbahn von Lissabon, quietschend um die Ecke biegt. Beim letzten Konzert dieser Saison von Stadtkulturbund, Evangelischer Kirchengemeinde und der Kulturagentur Schneider-Watzlawik stand Fado auf dem Programm. Eingeladen war die Estrada Fado Group – aus Neuss.

Gründer Luis Delgado stammt aus Lissabon und kam in den 1970er Jahren zu Zeiten der Diktatur Salazars nach Deutschland. Schon seine Eltern waren Musiker. Auf seiner Homepage berichtet Delgado, er habe mit seinem Bruder schon 1977 die Band Os Atlanticos gegründet, die aber mehr ins Pop- und Unterhaltungsgenre reicht. Dagegen ist die Estrada Fado Group erstaunlich jung. Im März 2014 stellte Delgado in einem kleinen portugiesischen Café in Neuss sein neues multikulturelles Instrumentalkonzept vor. Und das bedeutet in erster Linie, dass er die für den Fado typische portugiesische Gitarre durch eine Baglama, eine türkische Langhals-Laute ersetzt. Er selber spielt als Schlagzeuger Cajon und Congas, was man beim Fado nicht kennt. Und noch „frevelhafter“ ist es, ein Keyboard mit hinzuzunehmen – und so die Tür zum Jazz zu öffnen.

Aber was ist überhaupt Fado? Diese Frage ist leichter zu stellen als zu beantworten. Entstanden ist der Fado in den dunklen Kneipen der Lissaboner Altstadt. Es war eine Arme-Leute-Musik, der klagende Gesang wurde von einer Gitarre für den Rhythmus und einer portugiesischen Gitarre für die Melodie begleitet. Auf Portugiesisch heißt Fado Schicksal, der Begriff stammt vom Lateinischen Fatum ab. Die armen Leute in der Nähe des Hafens sangen natürlich von unglücklicher Liebe, von treulosen Männern und Matrosen, sie stahlen sich aus ihrem harten Leben mit einer Sehnsucht nach besseren Zeiten, und ebenso beschrieben die Texte der Lieder auch die sozialen Missstände. Die Historiker streiten sich, ob die Seemänner den Fado mitbrachten oder ob er von den brasilianischen Sklaven übernommen wurde. Heute ist der Fado eine Touristenattraktion. Junge Künstler haben die Tradition ins Heute gebracht, ähnlich wie beim Tango oder Blues.

Die Estrada Fado Group, also die Straßen-Fado-Gruppe, geht einen ganz eigenen Weg. Die Baglama schaffte es sogar ins Logo der Band. Sie ist zum Markenzeichen geworden. In der Christuskirche in St. Tönis stellte die Band einen poppigen, elektronisch verstärkten Fado vor. Der türkische Saz-Spieler Serdar Yayla beherrscht sein Instrument souverän, und wenn dazu Luis Delgado Fado singt – er hat dafür eine richtige Stimme – wird das alte Fado-Erbe wach. Da das deutsche Publikum die Texte nicht versteht, wären ein paar Worte zum Inhalt nicht verkehrt gewesen. Ein interessanter Neuzugang ist der brasilianische Gitarrist Jonny Freitas. Gewöhnungsbedürftig ist der Kölner Pianist Hans Fuecker am Keyboard. Der Jazzer, der auch auf Fender Rhodes und Synthesizer steht, lieferte schöne kleine Soli, aber auch eine elektronische Klangsoße, die sich schwer mit Fado verträgt.

Mangelnden Mut kann man Luis Delgado nicht unterstellen. Als Sängerin verpflichtete er Dagmara Zajac, eine aus Polen stammende Cellistin und Jazzsängerin. Sie gab eine reizende „Blumenverkäuferin“ ab. Delgado brachte ihr die portugiesischen Texte bei. Aber sie sang auch Fado auf Polnisch. Das Publikum verstand in der Mehrzahl beides nicht. „Saudade“, der Weltschmerz des Fado, war es zwar nicht. Aber eine schöne Unterhaltung.

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