Theaterpremiere in Neuss Europa verteidigen – und lieben

Neuss · Konstantin Küsperts Stück „Europa verteidigen“ hatte in der Regie von Christian Quitschke Premiere im RLT. Eine ebenso schräge wie bedenkenswerte Inszenierung.

 Ein bisschen Musik geht immer: Peter Waros und Rainer Scharenberg als Sänger, die „Europa verteidigen“.

Ein bisschen Musik geht immer: Peter Waros und Rainer Scharenberg als Sänger, die „Europa verteidigen“.

Foto: Björn Hickmann/stage picture

Die Vorstellung ist noch keine Minute alt, da brandet schon der erste Applaus auf. Rainer Scharenberg steht da, in vollem Bühnenoutfit und erzählt, was Konstantin sich dabei gedacht hat, als er das Stück „Europa verteidigen“ schrieb. Verantwortung übernehmen, etwas tun – das sind die wohl wichtigsten Schlagworte, die hinter den folgenden Szenen stehen, mit denen Regisseur Christian Quitschke das Schauspiel zum Leben erweckt. Obwohl sie doch eindeutig dem Comic entliehen sind.

Aber es geht um die Idee Europa. Um das, was gewesen ist und was noch kommt. Deswegen hat Autor Konstantin Küspert die schräge Komik immer wieder unterbrochen, um in kurzen Monologen die Einstellungen verschiedener Menschen zu transportieren. Mal sind es die Worte einer Natalia, mal einer Maria, mal spricht Aisha, mal Jonathan, mal Heinrich: Immer aber geht es um eine Haltung zur Europäischen Union. Die zeigt Küspert auch (siehe oben), und selbst wenn die manchem Zuhörer an einigen Stellen zu idealistisch klingt – sie erzwingt ein Nachdenken.

Ist das vor knapp zwei Jahren uraufgeführte Stück politisch eindeutig? Ja! Denn es rüttelt auf. Aber es hat nichts Moralinsaures, die eingestreuten Monologe geben ganz schlicht Meinungen wieder, die von den Schauspielern wertfrei gesprochen werden. (Was aber auf keinen Fall mit „langweilig“ zu verwechseln ist.) So kommt auch ein Jonathan zu seinem Recht und kann erzählen, dass Europa starke Außengrenzen braucht („vielleicht mit einer hohen Mauer aus Beton“, was von Küspert aktuell eingearbeitet wurde) und einen starken Mann. Natürlich ist es dramaturgisch geschickt, nicht ihn, sondern Heinrich zum Schluss zu zitieren. Der eigentlich wortkarge und bis ins hohe Alter an den Folgen des Zweiten Weltkrieges leidende Förster aus den schwedischen Wäldern ist froh, dass sein Sohn die Rente erreichte, ohne einen Krieg erleben zu müssen: „Obwohl doch jeder Zentimeter Europas von Blut durchtränkt ist“. Mucksmäuschenstill ist das da im ansonsten von Gelächter und Gekicher erfüllten Zuschauerraum des RLT. Bis großer Beifall die Spannung löst.

Der gilt nicht allein und zu Recht der zupackenden Inszenierung von Quitschke, sondern auch den Schauspielern und nicht zuletzt den Schülern der Patenklasse aus Hückelhoven, die mit einer Mini-Ausstellung im Foyer zeigen, wie stark sie sich mit der Idee Europa und der Geschichte des Kontinents auseinandergesetzt haben.

In seiner Bearbeitung hat sich der Regisseur am Original festgehalten. So reiht er die verschiedenen Szenen aneinander wie vorgesehen, verpackt sie aber comicartig und hebt damit deutlich den permanent nach außen drängenden lakonischen Witz hervor. Seine Schauspieler folgen ihm bravourös. Hubertus Brandt, Katharina Dalichau, Anna Lisa Grebe, Juliane Pemelfort, Rainer Scharenberg und Peter Waros treffen in jeder Situation den richtigen Ton. Egal, ob sie als Wikinger, Nazi, General, Soldaten von heute (Frontex) und aus römischer Zeit Figuren oder als Natalia und Co. Zeitgenossen sind.

Dazu passt kongenial, dass Ausstatterin Stefanie Dellmann eine Bühne mit (nur ahnbarem) Bällebad, Akropolis-Verschnitt und Treppe gebaut hat – ein mal bezeichnender, mal hintergründiger Spielraum.

„Welt vermessen“ heißt das aktuelle Spielzeitmotto des RLT. Europa gehört unbedingt dazu.

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