Mönchengladbach Kosaken und Gitanos im Industrierevier

Mönchengladbach · Mit einem grandiosen Weltmusik-Konzert in der Fertigungshalle des Textilunternehmens Trützschler ging die Reihe "Musik im Haus" zu Ende. Die flott arrangierten Weisen des "Absinto Orkestra" aus Mainz begeisterten 200 Gäste.

Ein Konzert in diesem Rahmen hat es in der Stadt noch nicht oft gegeben. In einer eigens mit 200 Sitzplätzen bestuhlten Fertigungshalle des Textilmaschinenbauers Trützschler war Sonntagabend eine bis unter die Haarspitzen motivierte Musikantengruppe zu Gast. Das "Absinto Orkestra" verwandelte das von Kunstlicht erhellte, funktionell möblierte Industrie-Domizil in eine Traumlandschaft der Fantasie. Da erklang das wilde, volkstümliche Europa, das Europa abseits aller ausgetretenen musikalischen Mainstream-Pfade. Wobei das kleine "Orkestra", das im Vornamen ein für schlimmste Delirien verantwortliches Getränk führt, vornehmlich osteuropäische Klangquellen anzapft, die es mit obsessiver Spielwut in einem Feuerwerk von Rhythmen auslebt. Verwandt im Geiste mit dem Hexensabbat in der "Symphonie fantastique" von Berlioz.

Hier, beim grandiosen Abschluss der Konzertreihe "Musik im Haus", präsentierte der veranstaltende Verein Freunde und Förderer der Musik in Mönchengladbach diese musikalische Traumreise. Sie führte von galoppierenden Kosaken - Hej! - über eine bizarre "Säbeltanz"-Version des Chatschaturian-Evergreens für Django-Reinhardt-Gitarre, einen zünftigen Kasatschok sowie Gipsy- und Klezmer-Melodien bis hin zu Zarah Leanders "Nur nicht aus Liebe weinen". Da singen die Zuhörer gern mit, und auch bei der russischen Volksweise "Schwarze Augen" summen viele den Refrain.

Die Band "Absinto Orkestra" spiegelt einen hier weniger präsenten Raum Europas wider, der bis an die Südspitze Afrikas reicht: Da ist Johannes "Jolly" Reinig, dessen akzentreich phrasierte Kaskaden das langmähnige Temperamentsbündel als wahren Teufelsgeiger ausweisen, der Musik als schweißtreibenden Hochleistungssport betreibt. Da knüpft der Perkussionist Clinton Hencke aus Kapstadt mit wunderlichen Glocken- und Rasselbündeln und dem rasanten Drive der Conga-Basis ein variantenreiches rhythmisches Netz. Darauf turnen ausgelassen die beiden Gitarristen auf Django-Reinhardt-Instrumenten, Jo Schappert und Stefan Ölke. Letzterer verfügt über bessarabische Wurzeln, die eine wundersam verträgliche Mischung mit einem Määnzer Jung eingehen. Als Moderator, Sänger und an der Mandoline ist dieser hemdsärmelig agierende Musikant eine Wucht! Und selten begegnet man einem Kontrabassisten wie Pavel Klimashevski aus Sotschi, der so effizient sein Saiteninstrument dem rhythmischen Grundgefühl dieser Musik dienstbar macht.

Auch Oberbürgermeister Norbert Bude und sein Herausforderer Hans Wilhelm Reiners ließen sich von der Musik begeistern. Hinten lauschte ein Kollege der Mainzer, der ihren Auftritt dank seiner Empfehlung möglich gemacht hatte: der Gladbacher Gypsy-Swing-Gitarrist Joscho Stephan. Er konnte hochzufrieden sein.

(RP)
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