Redaktionsgespräch mit Lothar Beine, Rolf Besten und Anno Jansen-Winkeln In der Rückschau überwiegt das Schöne

Mönchengladbach · Die drei langjährigen Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und FDP scheiden am Mittwoch aus dem Rat aus. Ein Gespräch über die Freiheit danach, die kräftezehrende Arbeit zuvor, mögliche Projekte in der Zukunft - und die Frage, ob sie als Dreigestirn im Karneval zurückkehren.

 Rolf Besten (v.l.) führte die CDU-Fraktion bis zur letzten Kommunalwahl. Dr. Anno Jansen-Winkeln (FDP) war seit Ende der 90er Jahre an verschiedenen Mehrheiten beteiligt. Lothar Beine (SPD) war Architekt, Dreh- und Angelpunkt der Ampel.

Rolf Besten (v.l.) führte die CDU-Fraktion bis zur letzten Kommunalwahl. Dr. Anno Jansen-Winkeln (FDP) war seit Ende der 90er Jahre an verschiedenen Mehrheiten beteiligt. Lothar Beine (SPD) war Architekt, Dreh- und Angelpunkt der Ampel.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Wenn Sie durch die Stadt gehen, bleiben Sie an manchen Stellen stehen und denken sich: Da, das war ich? Dazu habe ich beigetragen?

ROLF BESTEN Natürlich. Was man selber mit angestoßen hat, das verfolgt man auch in der Entwicklung - man will ja wissen, ob es so wird, wie man es sich vorgestellt hat. Bei mir ist das speziell im Nordpark so. Mich erfreut dort jede neue Baustelle.

DR. ANNO JANSEN-WINKELN Natürlich haben wir gemeinsam sehr viel in der Stadt bewegen können. Deshalb verstehe ich bis heute nicht, warum sich so wenige Menschen in der Kommunalpolitik engagieren - es ist ein unheimlich schönes Gefühl, im Stadtbild zu sehen, was man mitgestaltet hat.

LOTHAR BEINE Bei mir war das Minto-Richtfest jetzt aktuell noch einmal einer dieser schönen Momente. Es ist aber nicht so, dass ich durch die Stadt laufe und dabei ein erhabenes Gefühl habe. Der Motor, der uns alle antreibt, ist, etwas Richtiges für die Entwicklung der Stadt zu tun.

Wie steht die Stadt denn heute da - im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als Sie in den Rat gekommen sind?

JANSEN-WINKELN Sie hat nach wie vor große Probleme, aber es sind andere als vor 17 Jahren. Vieles ist erledigt worden, aber dafür stehen viele neue Aufgaben an.

BESTEN Die Probleme sind gewachsen. Ein Beispiel: Bei meiner ersten Direktwahl 1994 zahlte die Stadt noch 9,5 Millionen D-Mark für Hilfen zur Erziehung. Heute sind es 50 Millionen - aber Euro.

 Lothar Beine (SPD) war Architekt, Dreh- und Angelpunkt der Ampel.

Lothar Beine (SPD) war Architekt, Dreh- und Angelpunkt der Ampel.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Herr Beine, Ihre beiden Kollegen duzen sich. Sie sind mehr für das ,Sie'?

BEINE Ja. Ich höre oft von Bürgern, dass es sie befremdet, wenn man sich im Rat erst hart angeht und hinterher dann einen auf Kumpel macht. In der Politik und anderen Funktionen halte ich eine gewisse Distanz für geboten. Duzen sagt für mich nichts über das persönliche Verhältnis aus. Das gilt im Übrigen auch für meine eigene Partei.

Die Ratssitzung am Mittwoch ist für Sie alle die letzte. Wird das nach all den Jahren ein komisches Gefühl?

 Rolf Besten (v.l.) führte die CDU-Fraktion bis zur letzten Kommunalwahl.

Rolf Besten (v.l.) führte die CDU-Fraktion bis zur letzten Kommunalwahl.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

BESTEN Ich weiß es noch nicht. Irgendwo wird mich das sicher berühren. Aber ich habe den Zeitpunkt meines Ausscheidens ja frühzeitig selbst bestimmt.

 Dr. Anno Jansen-Winkeln (FDP) war seit Ende der 90er Jahre an verschiedenen Mehrheiten beteiligt.

Dr. Anno Jansen-Winkeln (FDP) war seit Ende der 90er Jahre an verschiedenen Mehrheiten beteiligt.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

BEINE Ich habe kein wehmütiges Gefühl dabei. Wohl würde ich mich freuen, wenn der gesamte Rat nach der Sitzung vielleicht noch ein Bier trinken gehen würde. So etwas vermisse ich in Gladbach gelegentlich. Vielleicht ist das auch ein kleiner Wink für die künftigen Kollegen im Rat.

(Besten greift nach einem Gummibärchen und bietet auch seinen beiden Kollegen welche an.)

BEINE (scherzhaft) Nein danke. Ich möchte nicht so viel zunehmen wie Sie, Herr Besten.

BESTEN (grinst) Dann schauen Sie doch mal in den Spiegel!

BEINE (lacht) Das tue ich doch!

JANSEN-WINKELN Ich habe diese 15 Jahre in der Politik sehr geliebt. Jetzt freue ich mich aber auch auf mein Ausscheiden. Man gewinnt dadurch sehr viel Freiheit zurück. Denn als Politiker muss man stets extrem diszipliniert sein. Man hat permanent die Schere im Kopf.

Herr Jansen-Winkeln, Sie haben sowohl mit der CDU als auch mit der SPD regiert. Was war schwieriger?

JANSEN-WINKELN Es war mit beiden gleich schwierig, weil wir alle unterschiedliche Weltanschauungen haben. Aber im Prinzip wollen wir natürlich alle dasselbe, die Stadt nach vorne zu bringen. Und deswegen gab es auch mit allen eine Basis zur konstruktiven Zusammenarbeit.

Welchen Rat wollen Sie Ihren Nachfolgern mit an die Hand geben?

BEINE Dass sie beim Thema Finanzen nicht vom Pfad der Tugend abweichen. Und dass sie sich mit Versprechungen an die Bürger zurückhalten. Die Frage, was die Stadt sich künftig noch leisten kann, muss sich auch bei diesen noch mehr einprägen. Das war mir immer wichtig.

JANSEN-WINKELN Dass sie nicht aus dem Affekt heraus handeln, nicht aufgrund von Modetrends entscheiden. Es gilt, langfristige Perspektiven und Ziele zu verfolgen und zu vertreten.

Warum dauern die Ratssitzungen in Gladbach eigentlich so lange?

BESTEN Man müsste disziplinierter miteinander diskutieren.

JANSEN-WINKELN ... Wir sind da sicherlich ein Teil des Problems ...

BESTEN Ich mag es überhaupt nicht, wenn ein Thema zum siebten Mal durchgekaut wird, obwohl es in den Fachausschüssen und im Hauptausschuss ausdiskutiert wurde. Wenn dann etwas plötzlich doch wieder infrage gestellt wird und wieder jemand etwas erwidert ...

BEINE Man ist natürlich auch oft gezwungen, etwas zu erwidern, auch die eigenen Leute erwarten das. Wenn man etwas, auch wenn es überflüssig ist, unkommentiert stehen lässt, heißt es schnell: Das ist die Arroganz der Macht. Aber es gibt eindeutig zu viele dieser Fensterreden. Es wäre hilfreich, sich da von vornherein besser abzusprechen.

JANSEN-WINKELN Außerhalb von Sitzungen wird zu wenig unter den Fraktionen geredet. Denn die verschiedenen Weltanschauungen, von denen ich sprach, die muss man im Gespräch zusammenbringen - und das ist immer schmerzhaft, deswegen weicht man dem Gespräch naturgemäß aus. Ich muss aber auch sagen: Die Beratungskultur und die Beratungszyklen, die die Verwaltung vorgibt, sind oftmals suboptimal. Wenn montags die Unterlagen für den Fachausschuss am Dienstag eintrudeln, ist schlichtweg nicht genug Zeit da, um sich abzustimmen oder auch nur ausreichend damit auseinanderzusetzen - selbst innerhalb der Fraktion, wohlgemerkt.

Es wird also zu wenig zwischen den Fraktionen und mit der Verwaltung kommuniziert?

BEINE Mich ärgert, dass die Politik die Augenhöhe mit der Verwaltung zu verlieren droht. Deren Experten erarbeiten über Monate komplexe Vorlagen, und wir müssen in kürzester Zeit qualifiziert darüber abstimmen. Die personelle Ausstattung der Fraktionen ist, wenn man sie mit anderen Kommunen vergleicht, dürftig, während die Probleme immer vielschichtiger werden. Das reine Ehrenamts-Modell in der Politik steuert angesichts dieser Umstände auf einen Schiffbruch zu.

BESTEN Auch mit mehr Personal bleibt die Zeit, die man zur Verfügung hat, ja dieselbe. Das politische Ehrenamt wird immer zeitraubend sein. Und an vielen Stellen muss man einfach schnell sein - sonst ist ein Investor schon in der nächsten Stadt. Aber man sollte definitiv die Verantwortung des Verwaltungsvorstands deutlicher machen. Die Dezernenten müssen noch mehr als bisher Ansprechpartner für die Politik sein.

JANSEN-WINKELN ... Und die vom OB initiierten Treffen der Fraktionsvorsitzenden waren leider von Anfang an nicht als neutrales Gremium konzipiert, sondern dienten eher einer vorgezogenen Meinungsabfrage.

BEINE Die Fraktionen, die den Rat tragen, müssen im Vorfeld von Sitzungen definitiv mehr miteinander reden.

Und dann wären wechselnde Mehrheiten für volle sechs Jahre denkbar?

BESTEN Ich bezweifle das stark. Eine verlässliche, sichere Politik ist auf Dauer so nicht möglich. Die Neigung, sich plötzlich aus der Verantwortung zu stehlen, weil Kritik laut wird, würde überwiegen.

JANSEN-WINKELN Nein, das ist nicht machbar. Spätestens beim Haushalt würde das scheitern. Denn jeder nimmt gern - und gibt ungern.

Schauen wir mal in die Glaskugel. Wie sieht die politische Landschaft nach dem 25. Mai aus? Stärkste Fraktion war eigentlich immer die CDU. Herr Beine, Herr Jansen-Winkeln: Können Sie die Grünen als Partner empfehlen?

JANSEN-WINKELN Alle demokratischen Parteien können miteinander koalieren. Jede hat ihre Empfindlichkeiten. Ich sage es mal so: Die der Gladbacher Grünen sind die, die am schwierigsten handzuhaben sind.

BEINE (lacht) Dass die FDP besser handzuhaben ist, unterschreibe ich so nicht. Aber es ist sinnlos, sich vor der Wahl den Kopf zu zerbrechen. Erst nach der Wahl sieht man, was rechnerisch möglich ist. Ich sehe vielmehr das Problem, dass im Falle einer Stichwahl nur eine Woche Zeit für Sondierungs- und Koalitionsgespräche bis zur konstituierenden Sitzung des Rats bleibt. 2009, als sich die Ampel zusammenfand, hatten wir dafür mehrere Wochen Zeit.

BESTEN Ach, sicher kann man schon Gespräche führen, auch wenn es zu einer Stichwahl kommt. Wenn es eine starke CDU und eine gute FDP gibt, sogar schon am Wahlabend. Wer Oberbürgermeister wird, ist für die Frage der Koalition ja eigentlich unerheblich. Gibt es allerdings Ergebnisse wie 2009, teile ich Herrn Beines Einschätzung.

JANSEN-WINKELN Vor allem über das Personal kann man dann nicht sprechen. Je nachdem, wer OB wird und damit in die Aufsichtsräte der städtischen Gesellschaften rutscht, kommt da ja ein ganz unterschiedliches Paket zusammen.

Wen wählen Sie denn, falls es zu einem zweiten Wahlgang kommt?

JANSEN-WINKELN Nicole Finger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mönchengladbacher sich gegen eine Oberbürgermeisterin aussprechen.

Und im Ernst? Bude oder Reiners?

JANSEN-WINKELN (lacht) In dem unwahrscheinlichen Fall habe ich vielleicht an dem Tag frei.

Werden Sie denn im Rathaus sein?

JANSEN-WINKELN Ich werde dort sein, aber mich dann nicht gegenüber der Presse äußern. Ich bin da als Privatperson.

BESTEN Ich bin auch dort - und freue mich darauf, dass Hawi Reiners den ersten Wahlgang gewinnt.

BEINE Ehrlich, ich weiß es noch nicht. Was ich aber weiß: Ich werde sicher keine graue Eminenz, die im Hintergrund noch die Strippen zieht. Die Friedhöfe sind voll mit Menschen, die sich für unentbehrlich hielten. Ich bin es nicht. Ich sehne mich nach der Freiheit, die Herr Jansen-Winkeln erwähnte. Ich werde ein politischer Mensch bleiben, aber mit gesundem Abstand.

BESTEN Ich mache noch zwei Jahre im Ortsverband weiter. Ich schließe nicht mit der Politik ab, nur mit der aktiven Ratsarbeit.

Eigentlich hätten Sie Drei jetzt die ideale Position, um zu sagen: Wir schließen uns als Bürger zusammen und engagieren uns gemeinsam für etwas.

JANSEN-WINKELN Das ist ja etwas ganz anderes. Im karitativen, sozialen oder kulturellen Bereich werde ich mich auf jeden Fall bewegen, aber nicht mehr unter dem Label Politik.

Gäbe es ein konkretes Thema?

BESTEN Man könnte mal mit Bernd Gothe reden, ob es nächstes Jahr zu Karneval ein Dreigestirn gibt ...

BEINE ... Dann sind Sie aber der mit der Strumpfhose!

BESTEN Das würde ich dann glatt auch noch machen.

Und im Ernst? Zweiter Bauabschnitt Museum Abteiberg, wäre das zum Beispiel was?

BESTEN Ich würde mich gerne weiterhin dafür einsetzen, dass die vor Ort tätigen Bankhäuser einen Immobilienfonds zur Finanzierung von wünschenswerten Gebäuden - zum Beispiel den zweiten Bauabschnitt des Museums - schaffen. Damit wäre es möglich, Gebäude zu errichten oder zu sanieren, die im Haushalt der Stadt nicht darstellbar sind. Darüber hinaus kann ich mir gut vorstellen meine Mitwirkung bei "Aktiv für MG" zu intensivieren.

JANSEN-WINKELN Oder das Thema Bürgerstiftung, das schon lange schlummert. Das Geld liegt bereit, es müsste sich nur jemand engagieren. Vielleicht wäre das ja etwas für einen oder mehrere der Ausscheidenden?

BEINE Das Thema Bürgerstiftung empfinde ich jetzt spontan als sehr interessant. Aber erstmal muss ich Luft holen - ich will nicht von einem Hamsterrad direkt ins nächste steigen. Aber ich setze mich auch sicher nicht in den Schaukelstuhl und schaukele erstmal ein Jahr.

Herr Jansen-Winkeln, Sie wollten mal ein Buch schreiben über den Politikbetrieb. Wie weit sind Sie?

JANSEN-WINKELN Den Plan gibt es, einige Fragmente auch bereits.

BEINE Sie haben also schon etwas ausgegraben?

JANSEN-WINKELN (lacht) Als guter Archäologe...

Was werden Sie an der Politik am wenigsten vermissen?

BESTEN Sitzungen, in denen man zum siebten Mal dasselbe hört.

JANSEN-WINKELN Den enormen Arbeitsdruck.

BEINE Sitzungen, die Stunden dauern und von denen man schon vorher weiß, dass nichts dabei herumkommt.

Und am meisten?

IRGENDJEMAND Karl Sasserath (alle lachen).

BEINE Ich glaube, für uns alle überwiegt in der Rückschau das Schöne. Auch innerhalb der Ampel hatten wir im Übrigen viel Spaß. Auch mit Herrn Sasserath.

Und was jetzt?

BEINE Jetzt warten wir darauf, dass in zehn Jahren O. E. Schütz um die Ecke kommt und fragt: Waren Sie nicht mal Lothar Beine?

RALF JÜNGERMANN, JAN SCHNETTLER UND DIETER WEBER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH, DETLEF ILGNER FOTOGRAFIERTE.

(RP)
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