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Mönchengladbach Die jüdische Geschichte Mönchengladbachs

Mönchengladbach · Einst fühlten sich die Juden in der Stadt heimisch. Dann kamen die Nazis, die Reichspogromnacht und die Deportationen.

 Die Synagoge in Mönchengladbach nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938.

Die Synagoge in Mönchengladbach nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938.

Foto: Stadtarchiv MG

Nach einer langen Zeit der Diskriminierung wurde den Juden im Rheinland endlich im Jahr 1869 rechtliche Gleichstellung gewährt. Auch fielen die beruflichen Beschränkungen weg (Im Mittelalter konnten Juden nur Geldwechsler, Viehhändler, Trödler usw. werden). Zur Zeit der Industrialisierung in Deutschland ab 1870 kam es dann auch zu ersten jüdischen Geschäftsgründungen, kurz vor 1900 entstand das erste jüdische Großkaufhaus in Mönchengladbach. Dass die Juden damals in der Stadt integriert waren, zeigt unter anderem auch ihre Mitgliedschaft in der Gesellschaft "Erholung".

 Ein jüdisches Denkmal auf dem Friedhof Hügelstraße (1952).

Ein jüdisches Denkmal auf dem Friedhof Hügelstraße (1952).

Foto: Stadtarchiv MG

Auch der Bau der Synagogen in Mönchengladbach (1882) und Rheydt (1876) kann in diesem Zusammenhang eingeordnet werden: Die Mönchengladbacher Synagogen-Einweihung wurde mit einem Festumzug und mit Festreden gefeiert, in denen die Verbundenheit mit dem Königtum gefeiert wurde. 1921 bekam die Gemeinde dann einen eigenen ausgebildeten Rabbiner.

Der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" rief zum Kriegsdienst im 1. Weltkrieg auf - insgesamt kämpften rund 100.000 Juden als Soldaten. Die antisemitische Hetze - die schon in der Kaiserzeit begonnen hatte, wurde zunächst unterdrückt. Mindestens zehn namentlich bekannten jüdischen Soldaten und Offizieren aus Mönchengladbach und Rheydt wurde das Eiserne Kreuz verliehen. Die antisemitische Propaganda hatte dennoch gewirkt - wie die berüchtigte "Dolchstoßlegende" beweist, die sich gegen die SPD, aber auch gegen Juden richtete. Dass die Juden sich als Deutsche fühlten, zeigen auch folgende Fakten: Jüdische Firmen zeichneten erhebliche Kriegsanleihen, vielerorts hielten Rabbiner den Sabbat-Gottesdienst als Kriegsandacht. 1919 kam es zur Gründung eines "Vereins jüdischer Frontsoldaten".

Unter den Juden fand wegen vieler Anfeindungen die Idee des Zionismus ab 1900 immer mehr Anhänger. Manche Gruppen unter den Juden gaben die Idee einer Emanzipation auf und betrieben das Projekt einer Ansiedlung in Palästina. Moses Hess (1812-1875), Mitbegründer der "Rheinischen Zeitung" in Köln, war Vertreter dieser Idee. Er forderte schon damals die Errichtung eines jüdischen Staates. 1896 erschien die programmatische Schrift von Theodor Herzl "Der Judenstaat". Der Zionismus fand allerdings in Mönchengladbach wenig Anhänger. Die Juden waren hier schon lange ansässig, die Mehrheit politisch liberal eingestellt. Erst als die NSDAP stärker wurde, öffnete man sich zionistischen Ideen, die Auswanderung blieb aber gering.

Bis 1930 spielten die Nationalsozialisten in Mönchengladbach politisch kaum eine Rolle. Die Weltwirtschaftskrise von 1930 brachte der NSDAP überall in Deutschland enormen Zulauf. Es kam zu Massenentlassungen, die Textilindustrie war besonders betroffen. Bei den Reichstagswahlen 1930 bekam überall in Deutschland die NSDAP großen Zulauf, in Altgladbach blieb aber die Zentrumspartei die führende Partei mit 32 Prozent.

Schon bald kam es dann zu ersten Gewaltaktionen und am 1. April 1933 zu einem allgemeinen Boykott der jüdischen Geschäfte. Besonders nach den Nürnberger Gesetzen 1935, die den Juden das Staatsbürgerrecht aberkannten, nahm das Tempo der antisemitischen Maßnahmen zu. Es gab finanzielle Schikanen, Banken stornierten Kredite. 1938 waren 60 Prozent der jüdischen Unternehmen und Geschäfte verkauft; die "Arisierung" hatte begonnen (ab Juli 1938 durch ein förmliches Gesetz). Ab April 1938 mussten alle jüdischen Vermögen über 5000 Mark angemeldet werden, die Steuerfreiheit der Synagogengemeinden wurde aufgehoben, so dass es nur noch eine Finanzierung über freiwillige Spenden gab.

Die Ereignisse der Reichspogromnacht selbst kamen für die gesamte Bevölkerung überraschend. Erst in der Nacht des 9. November 1938 kam der telefonische Einsatzbefehl aus Berlin, schnell stellte man Einsatztrupps zusammen, die die Synagogen in Gladbach und Rheydt anzünden sollten. Der Polizeipräsident (der SA-Mann war) forderte die Polizisten zur "Zurückhaltung" auf, die Feuerwehr war nicht eingeweiht und versuchte zunächst, den Brand der Gladbacher Synagoge zu löschen. Das Synagogengebäude und die jüdische Volksschule wurden völlig zerstört, ebenfalls die Rheydter Synagoge. In ganz Deutschland wurden damals 191 Synagogen in Brand gesteckt, rund 30.000 Juden verhaftet und in KZs verschleppt. In Altgladbach wurden 54 jüdische Männer festgenommen, sie kamen ins Gefängnis Spatzenberg, dann ins KZ Dachau. Viele Wohnhäuser und Geschäfte wurden zerstört.

Auf der berüchtigten "Wannseekonferenz" vom Januar 1942 wurde der Massenmord beschlossen, die Deportationen hatten aber schon vorher begonnen. 1941 und 1942 wurden die ersten Juden aus Mönchengladbach, Rheydt und Wickrath deportiert, nach Lodz, Riga, Theresienstadt und Izbica in Südpolen. Von dort wurden sie dann in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor "weitergeleitet". Die Transporte der Mönchengladbacher Juden starteten in Düsseldorf-Derendorf. Die Juden mussten vorher alle Dokumente abgeben, die Fahrkarte und das Reisegeld selbst bezahlen. Diese Beträge erhielt die Reichsbahn (knapp 70.000 bis 250.000 Reichsmark pro Transport). Die Deutsche Bahn hat als Rechtsnachfolger der Reichsbahn den Hinterbliebenen nie etwas gezahlt.

Die Deportationen fanden in aller Öffentlichkeit statt. Die Bevölkerung ahnte den Zweck; es fanden sich aber kaum Anzeichen einer Empörung. Gründe: unter anderem die langjährige Beeinflussung durch die NS-Propaganda. Einzelne Beispiele aktiver Hilfe für bedrohte Juden gab es dennoch überall - auch in Mönchengladbach: Juden wurden versteckt, man schloss für sie notarielle Scheinverträge.

Insgesamt wurden aus Mönchengladbach und Rheydt 774 Juden deportiert, 43 haben überlebt. Etwa 100 konnten emigrieren.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buchprojekt der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach: Migration und Mönchengladbach - Menschen kommen, gehen und verändern die Stadt, das im Juli 2018 im Klartext-Verlag erscheint: ISBN: 978-3-8375-1859-7

(RP)
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